14. Februar 2023

Eine Himmelsbegegnung





(Venus und Jupiter am westlichen Abendhimmel. Aufnahme von Stephen Harley in Punta Mala, Costa Rica, am 12. Februar 2023)

Der Satz, daß man mit Vorhersagen vorsichtig sein soll, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen, wird zumeist Mark Twain zugeschrieben – oder wahlweise dem dänischen Physiker Niels Bohr oder Yogi Berra (es gibt auch, passenderweise, eine Zuschreibung an Nostradamus). Ungeachtet der ungeklärten Vaterschaftsfrage ist der Wahrheitsgehalt dieses Mems evident. Und für konkrete Wettervorhersagen gilt dies in noch weit höherem Maß. Auf Supercomputer können für einen Zeitraum, den mehr als fünf Tage in er Zukunft liegt, höchstens noch einen allgemeinen Trend ermitteln, und für den Blick um eine Woche dürfte Lesen im Kaffeesatz treffsicherer sein. (Der Fachausdruck dafür lautet übrigens Tasseographie, oder im Arabischen قراءة الفنجان / qirāʾat al-finjān, bei dem nach Mustern oder Ähnlichkeiten zu Buchstaben gesucht wird – Lettern, die in der linken Hälfte des Bodensatzes erkannt werden, gelten als negative, in der rechten Hälfte als positive Antworten.) Dennoch wage ich einem die Voraussage, daß das Wetter in 15 Tagen, am Nachmittag und frühen Abend des 1 März 2023, in dem Teil des nördlichen Münsterland, in dem ich dies hier schreibe, ein ausgesprochenes Sauwetter sein wird – wenn nicht ganztägig verregnet, so doch trübe und wolkenverhangen.

Der Grund für diese Zuversicht ist schlicht. Am Mittwoch in zwei Wochen kommt es nämlich am westlichen Abendhimmel zu einer höchst sehenswerten scheinbaren Begegnung zweier heller Planeten, die in diesen Wochen den Anblick des Abendhimmels kurz nach Sonnenuntergang beherrschen und die – bei klarem Himmel – nicht zu übersehen sind. Schon gleich nachdem die Sonne unter den Horizont gesunken ist – heute war dies um 17:39 der Fall , fallen dort zwei helle Sterne auf; man braucht dazu gar nicht erst das Ende der „bürgerlichen Dämmerung“ 25 Minuten später abzuwarten, bei der sich das Tagesgestirn 6 Grad unter dem Horizont befindet, schon gar nicht das Ende der „astronomischen Dämmerung“ gut zwei Stunden später, vor der Astronomen nicht an ihr Tagewerk gehen, wenn diese Winkel auf 18 Bogengrad angewachsen ist. (Zur Definition der bürgerlichen Dämmerung gehört es, daß man zu dieser Zeit im Freien noch eine Zeitung lesen kann. Für Leser, die die Lektüre per App auf dem Telefon bevorzugen, gilt dies natürlich nicht. Aber der technische Fortschritt hat ja neben der klassischen Zeitungslektüre auch den Bürger, den Bourgeois, entsorgt.)

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Bei dem unteren, helleren Punkt handelt es sich um die Venus in ihrer klassischen Rolle als Abendstern; bei dem links darüber stehenden Punkt um Jupiter. Zurzeit befindet sich die Venus in einer Entfernung von 215 Millionen Kilometern von uns; ihre Helligkeit beträgt -3,86 Größenklassen; das Licht, durch unsere Netzhaut im optischen Kortex des Großhirns einen visuellen Eindruck hervorruft, hat eine Laufzeit von 11 Minuten hinter sich; Jupiter, 841 Millionen Kilometer oder 5,7 Astronomische Einheiten entfernt, weist zurzeit eine Helligkeit von -1,94 Magnituden auf; sein weißes Licht war 46 Minuten unterwegs. Und im 15 Tagen, am 1. März 2023, werden sich die beiden Planeten auf einen (scheinbaren) Abstand von 32 Bogenminuten einander annähern – also gut auf den Durchmesser des Vollmondes (natürlich auch des Neumonds, dessen Durchmesser aber vergleichsweise schlecht auszumachen ist). Und da es zu den Angewohnheiten des himmlischen Wetterbeauftragten gehört, bei solchen Gelegenheiten Sch**twetter auf den Tagesplan zu setzen, fällt mir eine solche Prognose nicht gerade schwer.



(Venus und Jupiter am Abend des 22. Februar, gesehen von Frankfurt a.M.)



(Ich spreche hier übrigens aus Erfahrung. Bei der letzten totalen Sonnenfinsternis, die von Deutschland aus sichtbar war, am 11. August 1999, deren Totalitätszone etwa südlich von Stuttgart aus verlief, gab es nicht nur in Süddeutschland Regen und dichte hohe Bewölkung – auch hier im Münsterland herrschte in der Höhe Dunst vor, der die Sonne nur als blasse Scheibe erkennen ließ – allerdings reichte es, um zeitweise die gut 80-prozentische Bedeckung der Sonnenscheibe nachzuverfolgen. Sowohl bei den „großen Kometen“ Hiyakutake im März 1996 und Hale-Bopp im Jahr darauf gab es nach dem Auftauchen nach ihrer Sonnenumrundung jeweils drei geschlagene Wochen lang keine klare Sicht auf den Nachthimmel; dasselbe galt für den Kometen McNaught von 2006, der den spektakulären Staubschweif, der ihn auf den Bildern so unverkennbar auszeichnet, allerdings erst entwickelte, als er von uns aus schon unter dem Horizont verschwunden war. Allerdings gibt es auch mitunter Ausnahmen von dieser Regel – den ersten Venusdurchgang am 8. Juni 2004 konnte ich mit meinem dreizölligen Refraktor und einem weißen Karton als Projektionsfläche gut über seine fünf Stunden Dauer verfolgen.)



(Venus und Jupiter heute Abend, 14. Febr., um 19:20, vom Münsterland aus gesehen)



(AM 26. Februar; gleicher Ort und gleiche Zeit)



(1. März)



(1. März; Ausschnittsvergrößerung; alle Darstellungen sind mit Stellarium berechnet)



(Anblick der beiden Planeten am 1. März im Teleskop bei 200-facher Vergrößerung)

Es ist übrigens schon verschiedentlich vermutet worden, daß sich die letzte mit einem präzisen Datum versehene „Prophetie“ der schon oben genannten Michel des Notre-Dame auf diese Sonnenfinsternis beziehen könnte. Im Quatrain LXXII der 10. Zenturie heißt es (nach den typographischen Gepflogenheiten der Spätrenaissance sin hier ‚v‘ und ‚u‘ vertauscht):

L’an mil neuf cens nonante neuf sept mois,
Du ciel viendra vn grand Roy d’effrayeur :
Resusciter le grand Roy d’Angolmois,
Auant apres Mars regner par bon-heur.

„Am siebten Monat des neunzehnhundertneunundneunzisgetn Jahr / Wird ein König des Schreckens vom Himmel steigen. / Den großen König von Angolmois wiedererwecken /vor dem März mit Glück regieren.“ – Typisch für Maître Michel ist, daß niemand so recht weiß, welcher Landstrich mit Angolmois gemeint sein könnte; obwohl mitunter dahinter die Mongolei vermutet worden ist.

Ich schreibe diese Miszelle aber nicht nur, um den zahllosen kurzen Erwähnungen zurvorzukommen, die in zwei Wochen sicherlich in zahlreichen Nachrichtensendungen erwähnt werden (und damit eben keine „nouvelles“ mehr darstellen), sondern weil es morgen, am 15. Februar, zu einer weiteren Begegnung dieser Art kommt: dann nämlich nähert sich der sonnenfernste „richtige“ Planet, der Neptun, der Venus bis auf 47 Bogensekunden (richtig gelesen: Sekunden), kommt ihr also um das vierzigfache näher als der Königsplanet zwei Wochen später. Der geringe Durchmesser der beiden Planetenscheiben sorgt trotzdem dafür, daß sich die beiden Gestirne nicht berühren. In dem halben Jahrtausend zwischen 1700 und 2200 kommt eine solche Bedeckung nur ein einziges Mal vor, nämlich am Montag, dem 21. August 2104, an dem er um 2:26 Mitteleuropäischer Zeit, hinter ihrer Scheibe verschwindet. Zur nächsten Bedeckung dieser Art kommt es dann am 16. Februar 2469. (Allerdings wird Neptun im nächsten Jahr, am 21. August, von der Mondscheibe bedeckt werden.)



(Anblick am 15. Februar mit einem Feldstecher 7x50)

Neptun ist zurzeit fast 31 Astronomische Einheiten, also die Distanz Erde-Sonne, von uns entfernt, gut 4,0 Milliarden Kilometer, sein Licht braucht mehr als 4 Stunden, um zu uns zu gelangen, und mit einer Helligkeit von 7,95 Größenklassen ist er bei weitem zu schwach, um mit unbewaffnetem Auge ausgemacht zu werden; man benötigt dafür ein einen größeren Feldstecher oder ein kleines Teleskop. Diese geringe Helligkeit macht es auch für Amateure, die nicht größere Summen in ihr Instrumentarium investiert haben, ziemlich aussichtslos, dieses kosmische Téte-à-tête live mitverfolgen zu wollen: die große Horizontnähe sorgt für schlechte Beobachtungsbedingungen; und der Untergang beider Planeten um 20:07 hat zur Folge, daß der Himmel noch zu aufgehellt ist, wenn Neptun noch 10 Grad hoch am Abendhimmel steht – unterhalb dieses Winkels sind teleskopische Beobachtungen aufgrund der Aberration der irdischen Atmosphäre nicht mehr sinnvoll.

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Ich schreibe diesen Beitrag aber auch zu diesem vorgezogenen Datum, weil sich heute, am 14. Februar 2023, zum 33. Mal der Tag jährt, an dem das bislang fernste Bild unsere kosmischen Heimat, der Erde entstanden ist: das "Pale Blue Dot"-Photo, die Aufnahme des "kleinen blauen Flecks" aus fast 6 Milliarden Kilometern, 40 Astronomischen Einheiten Entfernung, durch die Raumsonder Voyager 1. Carl Sagan hat dazu 1994 in seinem vorletzten Buch, das diesen Titel trägt, geschrieben:

Schauen Sie diesen Punkt noch einmal an. Das ist HIER. Das ist unsere Heimat. Das sind wir. Auf ihm hat jeder, den Sie lieben, jeder, den Sie kennen, jeder, dessen Namen Sie je gehört haben, jeder Mensch, der je gelebt hat, sein ganzes Leben verbracht. All unsere Freuden, alle Leiden, jeder Glaube, jede Ideologie und jede Lehre, jeder Jäger und Sammler, jeder Held und jedeer Feigling, jeder, der etwas geschaffen hat, jeder, der etwas zerstört hat, jeder König und Bauer, jedes junge Liebespaar, jeder Vater und jede Mutter, jedes Kind, jeder Erfinder und Entdecker, jeder Moralist, jeder korrupte Politiker, jeder "Superstar" und "oberste Führer," jeder Sündiger und Heilige in der ganzen Geschichte unserer Art hat dort gelebt - auf diesem Staubkkorn, das da im Sonnenlicht schwebt.




(Eine mit neuen Bildbearbeitungsprogrammen aufbereitete Version dees "Pale Blue Dot," die die NASA 2020 veröffentlicht hat.)

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PS. Ich schreibe dies natürlich nicht zuletzt als atropopäischen Abwehrzauber. Da meine Voraussagen, jedenfalls soweit sie die Zukunft betreffen, in schöner Regelmäßigkeit durch die eingangs genannten Verantwortlichen verhindert werden, hoffe ich, daß dies auch in Bezug auf das Wetter in 14 Tagen der Fall sein wird.

U.E.

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