18. Februar 2023

UFO über dem Yukon





I.

Ein Nachtrag zu den „geheimnisvollen Flugobjekten“ im Luftraum der Vereinigten Staaten, in deren Rahmen am 4. Februar vor der Küste des Bundesstaats North Carolina ein als zweifelsfrei identifizierter chinesischer Höhenballon abgeschossen wurde – und auf den an folgen Wochenende zwischen dem 10. Und 12. Februar im Zeitraum von 48 Stunden drei weitere Abschüsse folgten – ohne daß bislang Trümmer geborgen worden sind oder definitiv von offizieller Seite bestätigt wurde, um was es sich dabei gehandelt haben mag, weil sie die Trümmersuche in den tief verschneiten Gebirgsgegenden als schwierig erwiesen hat. Am vorigen Freitag wurde „ein Objekt in der Größe eines Kleinwagens“ an der Nordküste Alaskas mit einer Sidewinder-Luft-Luft-Rakete in der Nähe der Siedlung Deadhorse getroffen; am Samstag ein weiters, das als „kleiner silbiger Zylinder beschrieben wurde, im Yukongebiet nahe der kanadisch-amerikanischen Grenze, und am Sonntag eine drittes über Montana, über der Flüche des Huron-Sees. Alle „UFOs“ bewegten sich in einer Höhe von gut 40.000 Fuß, also 12 Kilometern, und zeigten nach den Pressemitteilungen keine eigenständige Manövrierfähigkeit. (Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß ich dieses Kürzel strikt in seiner eigentlichen Bedeutung verwende, als Abkürzung für ein „Unidentified Flying Objekt,“ also ein Fluggerät, dessen Identität nicht geklärt ist. Daß es sich um Sendboten außerirdischer technisch hochentwickelte Zivilisation handeln könnte darf nach allem, was wir über unsere galaktische Nachbarschaft, die Gültigkeit der Naturgesetze besonders in Bereich der Physik und das jetzt seit 75 Jahren anhaltende Medienphänomen „Fliegende Untertassen“ wissen, mit hauchdünn an die absolute Gewißheit andockende Wahrscheinlichkeit ausschließen. Natürlich lassen sich negative Befunde nicht „endgültig beweisen,“ aber die Probabilität der „ET“-Hypothese dürfte sich auf annähernd 0,00000000001 Prozent belaufen.

Zumindest für das mittlere dieser Objekte, über dem klassischen Goldrausch-Bezirk des Yukon, dürfte die Identität seit gestern geklärt sein. Aller Wahrscheinlichkeit handelt(e) es sich dabei nämlich um einen sogenannten „Piko-Ballon,“ einen gut einen Meter im Durchmesser messenden Funkballon einer Amateurvereinigung von Luftfahrtbegeisterten, der Northern Illinois Bottlecap Balloon Brigade, also der „Kronkorken-Ballonbrigade aus Nord-Illinois“ (abgekürzt NIBBB), die gestern auf der Webseite ihrer Klubs bekannt gab, daß sie einen ihrer Ballons vermißt, weil der Ballon mit der Funkkennung K9YO-15 seit dem 10. Februar kein Peilzeichen mehr gesendet hat – zu einem Zeitpunkt, als seine Position und seine Höhe recht gut mit den Koordinaten des rätselhaften Objekts übereinstimmte.

­ Von den vier zur Strecke gebrachten Zielen hatte die Meldung vom Samstag zunächst einmal am ehesten einem Mysterium, wie nach es aus tausenden von Sichtungsmeldungen, aber auch Filmen wie „Begegnung der dritten Art“ oder Serien wie den „X-Akten“ her kennt. Wetterballons, die in Höhen von mehr als 10 Kilometern fliegen, dehnen ihre Hülle infolge des geringen Luftdrucks auf Dutzende von Metern aus – von „einem Meter Durchmesser“ kann hier kaum die Rede sein. (Wobei ich nicht weiß, ob Wetterballons tatsächlich „fliegen.“ Ballonfahrer im Korb von heliumgefüllten Aerostaten bestehen recht hartnäckig darauf, daß sie „fahren“ und nicht „fliegen,“ um sich von der Variante „schwerer als Luft“ abzugrenzen.) Und Luftfahrzeuge, die ihren Auftrieb mit Hilfe von Tragflächen oder Rotoren erzeugen, müssen notwendigerweise über einen höchst auffälligen Antrieb verfügen. Das Aussetzen oder Erzeugen der hartnäckigen Schwerkraft funktioniert bislang nur an Bord der „USS Enterprise“ und ähnlichen Fahrzeugen, weil die Simulation von Schwerelosigkeit zu aufwendig wäre und der dramaturgischen Zweck des spannenden Geschichtenerzählens nur unnötig stören würde.

Heute hat auch das Magazin „Aviation Week“ die Mitteilung der NIBBB aufgegriffen. Danach befand sich der gut 32 Zoll im Durchmesser messende Piko-Ballon am Freitag, den 10. Februar 2023 vor der Westküste Alaska in einer Höhe von 38,910 Fuß (umgerechnet 11.860 Meter); gemäß den vorherrschenden Windstärken und -richtungen war zu erwarten, daß der Ballon am folgenden Tag auf das zentrale Gebiet des Yukon-Territoriums getrieben werden würde. Bislang hat die amerikanische Luftwaffe sich noch nicht in dieser Sache geäußert.



Ich muß an dieser Stelle einen Lapsus eingestehen: bis zum Lesen der Mitteilung auf der Webseite des Klub hatte ich den Begriff „Piko-Ballon“ noch nie gehört. Wie sich herausstellt, handelt es sich um tatsächlich im Vergleich zu den genannten „richtigen“ fliegenden Wetterstationen um winzige Objekte: bei den meisten weist die Nutzlast, sie sie tragen müssen, nur ein Gewicht zwischen 8 und 15 Gramm auf. Die Ballons, die der NIBBB verwendet, haben in voll ausgeblasenem Zustand eine Durchmesser von 32 Zoll, also gut 82 Zentimetern. Die Ballonhülle besteht aus Mylarfolie, die sich beim Aufstieg nicht ausdehnt, also ihre Größe beibehält. Darunter hängt an einem schwarzen Kabel ein Mikrokontroller, ein Arduino-Board des Typs S15351, mit GPS-Empfänger, das als Sender des Typs WSPR (Weak Signal Propagation Reporter, um auch sehr schwache Signale noch deutlich übermitteln zu können) und APRS (Automatic Packet Reporting System) dient, plus eine kleine Solarzelle mit einer Leistung von 20 Milliwatt (0,02 Watt), die während des Tags Prozessor und Sender mit Energie versorgt. Das Gewicht dieser Solarzelle beträgt 2 Gramm, das Gesamtgewicht der Nutzlast 16,4 Gramm. Die Kosten für einen solchen Sender liegen bei etwa umgerechnet 120 Euro; je nach Modell verlangen Hersteller für den Ballon zwischen 150 und 300 Dollar; das kostspieligste Element für dieses Hobby stellt die Heliumfüllung dar, für die jeweils gut 200 € (oder US$) veranschlagt werden müssen. Solche Ballons halten sich, einmal gestartet, drei bis vier Monate in der Luft in Höhen bis zu 38.000 Fuß, also gut 12 Kilometern. Mit anderen Modellen, die oft auch im Selbstbau gefertigt werden, lassen sich noch größere Höhen erzielen. Da das Gesamtgewicht von Ballon und Sonde (weit) unter 4 englischen Pfund, umgerechnet 1,8 kg, liegt, braucht man zum Start in den USA sowie den allermeisten Ländern dieser Erde keine Zulassung oder Genehmigung zum Start (der Kleine Zyniker geht davon aus, daß sich das in nächsten Zukunft ändern wird). Nur drei Länder – das englische Königreich, der Jemen und Nordkorea verbieten das Senden von Signalen aus ihrem Luftraum; zu diesem Zweck der Mikrokontroller so programmiert, daß er den Funkbetrieb in diesen Weltregionen unterbricht.



(Berechneter Kurs von K9YO-15)



(Schaltplan der Nutzlast)

K9YO-15 war am 10. Oktober 2022 von Illinois aus gestartet worden und befand sich nach 123 Tagen Flug am Anfang seiner siebten Erdumkreisung. Der Klub hat im Jahr 2006 seinen ersten Ballon auf Weltreise geschickt. Das letzte Peilzeichen setzte am 10. Februar um 18:10 Greenwichzeit aus, also die Sonnenzelle keinen Strom mehr für den Sender lieferte.



(Karte der aktiven Missionen)

Auch bei den beiden anderen „kleinen Objekten“ dürfte es sich um solche Ballons handeln. Eine handfeste Ironie liegt in der Tatsache, daß nach Aussage von General Glen VanHerck, dem Oberkommandierenden von NORAD, der North American Aerospace Defense Command, der für die Luftüberwachung des nördlich gelegenen Luftraums zuständig ist, bislang bis zu 98 Prozent aller Radarechoes ignoriert hat, weil es sich dabei in aller Regel um Vogelschwärme, Echos von Inversionsluftschichten (bei der „Invasion von Washington“ im Juli 1952 handelte es sich um dieses Phänomen) oder eben kleinere und größere Wetterballons handelt. Im Nachgang zum „chinesischen Spionageballon“ vom 28 Januar bis zum 4. Februar habe man solche Signale dann nicht mehr „automatisch herausgefiltert,“ um die Wachsamkeit zu erhöhen. Es liegt natürlich eine handfeste Ironie darin, daß hier ein Tarnkappenjäger der fünften Generation vom Typ F-22 (Stückpreis: 200 Millionen US) eine AIM-Sidewinder-AIM-9X-Rakete (Stückpreis 381.000 US-$) dazu verwendet wurde, um ein harmloses Hobbygerät im Wert von insgesamt vielleicht 400 Dollar abzuschießen. (Vielleicht hält sich das Verteidigungsministerium nicht allein wegen der fehlenden Auswertung von Trümmerstücken etwas bedeckt.)

II.

Auf den Spuren eines solchen Hobbys bin ich gestern auch auf diesen Netzauftritt eines deutschen Herstellers von Wetterballons für privaten Nutzungen gestoßen. Dort verfolgt man ein etwas anderes Konzept. Hier steigen tatsächliche „klassische“ Heliumballons, mit einer oder mehreren GoPro-Kameras ausgestattet bis in ziemlich eindrucksvolle Flughöhen, bis die Hülle an einer vorgesehenen Sollbruchlinie reißt und samt der Nutzlast an einem Fallschirm sicher wieder zur Erde zurückkehrt . nach dem Thermoschweißen der Hülle kann der Ballon mehrmals zum Einsatz kommen.



Das kleinste Modell der Firma Stratoflights ist der „Wetterballon 1600“ mit einem Komplettpreis von 249,00 Euro, einem Gesamtgewicht von 1,7 kg, einem Datenlogger, einer Himmelkamera und einer maximalen Flughöhe von 36 Kilometern. Um die 2700 Gramm Nutzlast tragen zu können, benötigt man den Inhalt von 2,35 20-Liter-Kartuschen mit Helium. Das Modell „Wetterballon 300“ für 799 € trägt eine Nutzlast von 3 kg bis eine Höhe von 40 Kilometern. Und die Kundenbewertungen sind auch nicht von schlechten Eltern:





Wetterballon 1600
Artikelnummer: 100150
249,00 €
Komplettset
Versandgewicht: 1,7 kg
Beschreibung
Dieser Wetterballon ist für maximale Flughöhen optimiert und erreicht eine maximale Platzhöhe von 36.000m! Damit ist er unser Bestseller. Mit einer Nutzlast von bis zu 1600g kann er auch mehrere Kameras mit auf eine Reise in die Stratosphäre nehmen. Wenn Du wissen möchtest, wie viel Helium Du benötigst, gibt es hier unseren Helium-Rechner.

Christoph Neulinger – 7. Juli 2021 Bereits vier erfolgreiche Missionen in Folge mit diesem Wetterballon. Einfach mal lieben Dank für das tolle Projekt, die ausführlichen und hilfreichen Anleitungen sowie die Erreichbarkeit, falls doch mal eine Frage auftritt. Unserem Projektkurs hat es sehr gut gefallen und wir werden das Projekt auch in 2022 wieder an unserer Schule anbieten.

Space-Star – 15. April 2016 Toller Wetterballon, hat unsere Sonde sicher auf 34.780 Meter (mit einem Datenlogger gemessen) getragen und uns tolle Aufnahmen geliefert!




Falls jemand Lust darauf verspürt, sich so etwas im Bastelkeller zuzulegen, gibt es hier folgende nützliche Anleitung:

Größe Durchmesser Volumen Eigengewicht
250er 80 cm 0.26 m³
3 ft. 91 cm 0.4 m³
350er 111 cm 0.73 m³
450er 143 cm 1.54 m³
Folie Weil Latex-Ballons für Float-Versuche untauglich sind, wurden bei 0x01 und 0x02 Qualatex 36" Microfoil-Ballons Im Qualatex HeliumChart findet man die technischen Daten für den 'Solid-color Microfoil® Balloon 36 inch Round': 0.125 m³ Volumen. Vollgefüllt (was man zum Floaten natürlich nicht macht) soll der Ballon 66 g heben können (Spalte 'Lift Ability').
Eigengewicht Variante silber: 38g

Eigengewicht Variante weiss: 41g
Folie

Ballonfolie kann man offenbar hier kaufen: balloonkits.com, vorher aber mit Rettungsdecken, Haushaltsfolie versuchen, Ergebnisse Dokumentieren eine ältere Rettungsdecke 160 cm x 210 cm (2004), gerade hier vorhanden, wiegt 63g –> das sind 1,875 mg/cm², bei einer Dichte von 1.38 g/cm³ für PET ergibt sich eine Foliendicke von 13,6 µm, hier sind 12 µm angegeben.
eine weitere 160 cm x 210 cm (1999) 59.5 g –> 1.77 mg/cm²
ein Folieballon 36„ besteht aus 13100 cm² Folie und wiegt 38g –> das sind 2,9 mg/cm²
–> Folieballons bestehen aus dickerer Folie als Rettungsdecken?!
in mehreren Baumärkten arg konspirativ Rettungsdecken gewogen: 63g ist scheinbar gängig.
ein Müllbeutel (die transparenten, etwas matten von der Rolle, die so rascheln) scheint ~28 µm zu haben: so oft zusammengefaltet, dass sich 64 Lagen übereinander ergeben, mit dem Messschieber 1.8 mm gemessen.
Der Ballon, der Baumgartner 2012 in die Stratoshäre trug, ist mit 20 µm angegeben
es gibt 'Malerfolien' (Abdeckplanen) mit der Angabe '10 my, besonders reissfest' , nach solchen würde ich mal Ausschau halten
Schweißgerät handelsübliches Bügeleisen soezielle Folienschweißgeräte
angeschafft wurde ein Privileg Folienschweißgerät von ebay
relativ einfach aufgebaut - ein Heizdraht, Gummilippe für gleichmäßiges Andrücken, durch draufdrücken auf den oberen Rahmen wird der Schweißvorgang begonnen und hört selbstständig nach ~8 Sekunden wieder auf
Folie ist danach immer durchtrennt, d.h. man kann mit diesem Gerät nicht mehrere „Bahnen“ zusammenschweißen



Man muß sich das einmal im historischen Maßstab vor Augen führen: bei dem ersten Ausflug von Menschen in die höheren Bereiche der Stratosphäre am 27. Mai 1931 erreichten August Piccard und Max Kipfer in der Schweiz eine Gipfelhöhe von 15.700 Meter bei einem Flug von 17 Stunden, ein Jahr später im August 1932, eine Höhe von 16.200 Metern. Mit einem Düsenflugzeug wurde erst im Dezember1959 eine Flughöhe von 30 Kilometern erreicht (mit einer F-4 I Phantom). Der erste benannte Ballon, der höher als 30 km stieg, war im August 1957 über Nevada Major Davin Simmons im Rahmen des Projekts Manhigh. (Da der Name „Enterprise“ schon gefallen ist: August Piccard war bekanntlich nicht nur das Vorbild für Professor Bienlein – oder Tournesol, wie es im Original von „Tintin“ heißt – sondern auch der Namenspatron von Jean-Luc Picard.)

Ich habe in meinem Posting zum „geheimnisvollen Luftschiff“ vom 7. Februar Nenas „99 Luftballons“ als Soundtrack gewählt. Ich kann also, wenn ich bereit bin, für mein Hobby einen guten halben Tausender zu investieren (was für ein zünftig gerittenes Steckenpferd ja Peanuts darstellen), in Wochenfirst bei Amazon ein Gerät erwerben, das tatsächlich die Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt und mit einer Rakete vom Himmel geholt wird. Frau Kerner konnte vor 40 Jahren, als sie ihr kleines Kinderlied einspielte, gar nicht ahnen, WIE prophetisch sie damals unterwegs war. Und: Bei dem unbemannten Ballon, den sich John Munro in seinem Text „Die Entdeckung des Nordpols“ vor fast 130 Jahren ausgemalt hat, mit automatischer Datenaufzeichnung, automatischer Positionsbestimmung und Kameras an Bord, auf einer Reise um und über den Pol, dürfte es sich jetzt um einen antizipierenden Volltreffer handeln, dem sonst nur noch die Beschreibung des Internets in Murray Leinsters Erzählung „A Logic Named Joe“ (erschienen in Astounding Science Fiction, März 1946) gleichkommt.



(Start eines Wetterballons in der Antarktis)

III

Ich habe in meinem Beiträgen der letzten Wochen immer wieder auf solche „vorweggenommenen Echos“ aus der spekulativen Trivialliteratur verwiesen. Auch diesmal bleibt das dem Leser nicht erspart. Denn dieser „Abschuß eines Unbekannten Flugobjekts“ markiert, nur um 5 Wochen versetzt, den 50. Jahrestag der berüchtigsten Zwischenfalls aus der Frühzeit der „Fliegenden Untertassen“ – den Tod des Captain Mantell. Die erste Welle von Sichtungen begann im Sommer zuvor, als der Versicherungsvertreter Kenneth Arnold, der Farmen im nördlichen Kalifornien, von seiner einmotorigen CallAir A in der Nähe des Mount St Rainier am 24 Juni 1947 eine Kette von „neun leuchtenden in Formation fliegenden Scheiben“ sah, deren Geschwindigkeit er auf etwa 3000 km/h einschätzte. Nachdem der Augenzeugenbericht, den er nach seiner Landung an eine Lokalzeitung berichtet hatte, als Sommerlochthema von den großen Zeitungen des Landes aufgenommen worden war, häuften sich bis Anfang September weitere vergleichbare Meldungen, um dann im Lauf des Septembers wieder abzuflauen - so wie etwa Berichte über das Monster von Loch Ness bei früheren Gelegenheiten. Die Zeitungsberichte machten die Frage „haben wir Besuch aus dem Weltall?“ recht schnell zum A und O dieser Miszellen, was nicht gerade dazu beitrug, daß das Thema ernst genommen wurde. Die Air Force war immerhin soweit interessiert, am 23. September einen Stab unter der Leitung von Generalleutnant Nathan F. Twining einzurichten, das „Project Sign,“ das mit der Sammlung und Auswertung der Medienberichte und wenn möglich auch direkter Augenzeugenberichte beauftragt wurde. Die Air Force interessierte sich dabei nicht für Kleine Grüne Männlein, sondern eher um die Frage, ob es sich hier um Aufklärungsflüge feindlicher Mächte handeln könnte (chinesische Spionageballons!). Im Sommer 1946 hatte die Air Force in Nevada selbst mit Starts von V2-Raketen begonnen, die sie aus der Konkursmasse des Dritten Reichs erbeutet hatte (nebst den dafür zuständigen Technikern und Entwicklern). Im Zeichen des sich anbahnenden kalten Kriegs galt es hier, zumindest einen möglichen wahren Kern von der Spreu des „Mediengeschreis“ (Albert Einstein) zu trennen.



Am 7. Januar 1948 änderte sich der Status der „Fliegenden Untertassen“ von Status „Wolpertinger“ zu einer konkret lauernden Bedrohung.“ An diesem frühen Vormittag waren vier Flugzeuge von Typ Mustang F-51 zu einem Trainingsflug in der Nähe der Luftwaffenbasis Marietta in Kentucky unter der Leitung von Hauptmann Thomas F. Mantell unterwegs. Mantell, 25 Jahre als und dekorierter Kriegspilot, hatte eine Flugerfahrung von fast 2900 Stunden hinter sich, davon allerdings erst 67 Stunden mit dieser Maschine. Um 13:20 wurde die Flugleitung für den gesamten Bundesstaat in Fort Know durch die Polizei in Kenntnis gesetzt, daß im Luftraum über Mansville „ein kreisrundes Flugobjekt mit einem Durchmesser von ungefähr 250 bis 300 Fuß Durchmesser“ gesichtet worden war. Im Lauf der nächsten Stunde trieb das Objekt, das eine gut erkennbaren Durchmesser zeigte, langsam in Richtung, bis die drei Wachhabenden im Kontrollturm des Flugfelds der Godman AFB es sichteten und entsprechend notierten. Als sich Mantell und seine Staffel um 14:45 ihrem Flugziel Godman näherten, wurden sie vom Tower gebeten, Kurs darauf zu halten und es sich näher anzusehen. Mantell begann einen Steigflug in der angegebenen Richtung aus einer Höhe von 2300 Metern in südöstlicher Richtung, ging in 4200 m Höhe in vollen Anstieg und meldete um 14:45 bei 4600 Metern: „das Objekt befindet direkt vor mir und über mir und bewegt sich halb so schnell wie ich. Es ist riesig, und es sieht aus, als ob Metall die Sonne spiegeln würde.“ Seine letzte Meldung erfolgte um 15:15: „Es befindet vor mir und über mir, und fliegt mit meiner Geschwindigkeit. Ich versuche, näher heranzukommen.“ Bei 6700 Metern gaben seine Begleiter die Verfolgung auf, da die Mustangs über keine Druckkabinen verfolgen und keine von ihnen Sauerstoff für die Atemmasken an Bord hatte. Mantell setzte den Steigflug fort und verlor bei 7600 m das Bewußtsein; in 9200 m Höhe kippte seine Maschine aus dem Steigflug und begann einen unkontrollierten Fall, wobei die Seitenleitwerke und die Tragflächen abgerissen wurden. Der Aufschlag erfolgt um 15:18.



(Die Absturzstelle der F-51)

Zu den Zeitungsüberschriften vom Tenor „Fliegende Scheibe für Tod des Piloten verantwortlich gemacht“ gesellten sich sehr schnell Gerüchte: Mantells Leiche und der Flugzeugrumpf seien von Einschußlöchern zersiebt gewesen; oder: seine Leiche sei überhaupt nicht am Absturzort auffindbar gewesen, die Maschine sei während des Absturzes komplett zerbrochen; das Wrack sei radioaktiv. In der unkritischen Literatur zum Thema finden sich solche Behauptungen noch Jahrzehnte später.

Zwei Tage später, am 9. Januar, gab die Leitung von Project Sign eine Pressemeldung heraus, in der es hieß,Mantell und die anderen Zeugen hätten die Venus mit einem Flugobjekt verwechselt. Das Problem war nur, daß die Venus zwar knapp zu dem fraglichen Zeitpunkt knapp über dem Horizont stand, im hellen Sonnenglast aber kaum auszumachen war und vor allem nicht als deutlich Scheibe mit einem ins Rötliche spielenden Rand erscheinen würde.





(Der Südhimmel von Kentucky am 7. Januar 1948 um 14:45, mit ein- und ausgeblendeter atmosphärischer Aufhellung)

Nachdem einige Astronomen auf diesen kleinen Umstand hingewiesen hatten, stand für den Teil der Öffentlichkeit, der bereit war, an solche Mysterien zu glauben, zweierlei fest: zum einen, daß die Fliegenden Untertassen nicht nur wirklich, sondern eine handfeste Bedrohung waren – und daß „die Regierung lügt.“

Ab dem Sommer 1950 begann das Interesse der „offiziellen Stellen“ an diesen Berichten einzuschlafen, da sich aus den eintreffenden Meldungen keinerlei Hinweis ableiten liessen, daß es sich hier um mehr als falsch gedeutete Lichter am Himmel oder eben um Scherze handelte. Da es aber nach der formellen Auflösung von Project Sign keinerlei formell zuständige Anlaufstelle mehr gab, wurde am 27. Oktober 1951 das Nachfolgeprojekt Project Blue Books ins Leben gerufen, unter der Leitung des damals 28jährigen Hauptmanns Edwin J. Ruppelt. Ruppelts erste Amtshandlungen waren die Einführung des Ausdrucks „Unidentified Flying Object,“ eben UFO, für die obskuren Objekte des Begierde des der bisherigen „fliegenden Scheibe“ (flying disk), und die Sichtung und Neuauswertung der vor 1951 registrierten Fälle. Im Fall von Mantell kam er in seinem Memorandum „The Report on Unidentified Flying Objects“ (Doubleday Books, 1956) zu dem Schluß, daß es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Wetterballon des Skyhook-Programms gehandelt hat – mit einem Durchmesser von etwa 30 Metern und einer metallisch glänzenden Hülle. Zwei teleskopische Sichtungen des fraglichen Objekts an diesem Nachmittag benennen es zudem ausdrücklich als „Ballon.“ Allerdings konnte Ruppelt von den zuständigen Stellen keine Liste mit den Daten der jeweiligen Starts und Flugrichtungen erhalten, so daß es ihm nicht möglich war, hier eine paßgenaue Abgleichung durchzuführen.

Der Grund dafür ist aus heutiger Warte leicht erkennbar. Die Ballons der Skyhook-Programms dienten zwischen 1947 und 1949 zum Test des Projekts Mogul, bei dem in großer Höhe die Infraschall-Wellen registriert werden sollten, die beim Test einer – in diesem Fall sowjetischen – Atombombe entstehen würden. Dazu dienten Aluminium-Reflektoren an meterlangen hölzernen Stangen, die unter dem Ballon ein Gerüst bildeten. 1949 wurde dieses Vorhaben wegen zu geringer Meßempfindlichkeit wieder aufgegeben; aber zu Ruppelts Zeit unterlag es natürlich noch der höchsten Geheimhaltungsstufe.



(Start eines Skyhook-Ballons von der USS Norton Sound am 31. März 1948)

IV.



Daß ich weiter oben zweimal die Sternenflotte erwähnt habe, ist kein Zufall: in der allerersten Inkarnation um „die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise,“ in der Folge 19 der ersten Staffel mit dem Titel „Tomorrow Is Yesterday,“ zuerst ausgestrahlt auf NBC am 26. Januar 1967, findet sich eine überaus deutliche Referenz an den Fall Mantell. Durch das „schwere Gravitationsfeld eines schwarzen Sterns“ (ein schönes Beispiel für das Trek-übliche „Technobabbel“) findet sich die „Enterprise“ unter James T. Kirk in der Umlaufbahn der Erde des Jahres 1969 wieder und taucht in die Atmosphäre ein – ohne nennenswerten Schaden zu nehmen. Als das Schiff wortwörtlich wie aus dem Nichts gekommen auf dem Radarschirm der nächsten Air Force Basis auftaucht, schickt man einen Düsenjäger los, um es abzufangen und bei Gefahr abzuschießen. Was der Pilot hier über sich aus den Wolken auftauchen sieht, erinnert frappant an die populären Darstellung von Mantells „Begegnung der zweiten Art.“ Auf der Brücke der Enterprise hört man den Funkverkehr des Piloten mit der Flugleitung mit und ist keineswegs erbaut, mit ausgefallenem Warpantrieb und lädierten Schutzschilden vielleicht mit einer Atomraketen beschossen zu werden. Beim Versuch, den Verfolger mittels eines Traktorstrahls auf Abstand zu halten, führt dazu, daß die Maschine – richtig – beim Flug völlig zerbricht und abstürzt. Scotty gelingt es gerade noch, den Piloten an Bord zu beamen. Ironischerweise handelt es sich bei diesem Jet um eine F-104 „Starfighter,“ von dem genau in jenen Jahren in Westdeutschland der Witz umging: wie kann man in Deutschland Besitzer eines Starfighters werden? Man kauf sich ein Grundstück – und wartet. (Von den insgesamt 916 Maschinen, die die Bundeswehr angeschafft hatte, stürzten 269 ab; davon 18 innerhalb eines Zeitraums von 44 Monaten.)



An Bord der „Enterprise“ stellt sich heraus, daß der gerettete Pilot als zukünftiger Vater des Leiters des ersten bemannten Fluges zum Saturn seine Fußabdrücke im Sand der Zeit hinterlassen hat. Man kann ihm also kein Exil im Utopia des 23. Jahrhunderts anbieten, ohne diese Zeitlinie abzuändern und muß – irgendwie – diesen vorhergehenden Absturz ungeschehen machen.

Diese Folge gehörte zu den 13, die das ZDF Anfang 1973 aus dem Fundus der 79 der Produktionsfirma Desilu ankaufte, um sie dem duetschen Pub likum zu präsentieren. "Gestern ist morgen" war die erste Episode, die am 27. Mai 1972 synchrinonisiert ausgetrahlt wurde - und die nichtsahnenden Zuschauer, die das Raumschiff, das über dem Piloten auftauchten, noch nie gesehen hatten, waren ebenso veerdutzt wie dieser, als der im Transporterrraum materialisierte und statt von Kleinen Grünen Männlein von Kirk und Spock in Empfang genommen wurde. Ich war es jedenfalls, wie ich mich noch sehr gut erinnern kann.


(Allec Joshua Ibay, "Chasing the Unknown" - Computeranimation des Falls Mantell)






U.E.

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