22. April 2021

Der nächste Sargnagel

Das Geschichte sich schon mal wiederholt ist eine Kalenderweisheit. Und auch diese Woche lässt sie uns nicht hängen, diesmal allerdings mit umgekehrten Protagonisten. Am 3. Oktober 1995 wurde O.J. Simpson im Prozess um den Mord an seiner Frau frei gesprochen. Im Zuge des Prozesses kam es zu massiven Unruhen, die amerikanischen Polizeieinheiten waren auf massive Ausschreitungen vorbereitet und über 100 Millionen Menschen sahen den Urteilsspruch live. Simpson wurde frei gesprochen und die befürchteten Unruhen blieben aus.
Aus Sicht der Jury war das vermutlich, unabhängig von Simpsons Schuld, die auch im Laufe der kommenden Jahre immer deutlicher werden sollte, die richtige Entscheidung. Wer will schon verantwortlich sein, wenn ganze Städte in Flammen versinken und wer will sein Leben riskieren, hier einen Schuldspruch zu vertreten. Geschworene sind auch nur Menschen, und es ist um Rahmen der Aufladung dieses Prozesses nicht unwahrscheinlich, dass die Geschworenen im Falle eines Schuldspruches entweder untertauchen oder zumindest sehr lange unter intensivem Polizeischutz hätten leben müssen.

Szenenwechsel: Am vorgestrigen Tage wurde Derek Chauvin, der Polizist der wegen Mordes an George Floyd angeklagt war, in allen Anklagepunkten (Mord 2.Grades, Mord 3.Grades, Totschlag 2. Grades) für schuldig befunden. Für das deutsche Publikum, das Berichterstattung aus dem deutschen Medienkonglomerat erhält, ist der Schuldspruch nicht unerwartet. Aus eher neutraler, bzw. auch aus konservativer Sicht ist es schon deutlich fragwürdiger. Das Verfahren war kompliziert und eine Beratungszeit von knapp 10 Stunden nahezu aberwitzig kurz. Die eigentliche Sachfrage, ob Chauvin wirklich schuldig im Sinne der Anklage ist oder war, soll an dieser Stelle nicht allzu tief behandelt werden. Dieser Autor hat erhebliche Zweifel an der Schuld des Polizisten, zumindest im Bezug auf die Mordanklagen. Doch, wie gesagt, darum soll es gar nicht gehen.


Man vergleiche jedoch das erste, oben erwähnte Verfahren, mit dem aktuellen, denn es weist deutliche Parallelen, teilweise Verschärfungen auf. Wieder ist das Land gespalten, und wieder gab es ganz reale und massive Drohungen mit Plünderungen und Gewalt. Black Lives Matter, eine an und für sich schon sehr fragwürdige und radikale Organisation, hatte die Gewalt im Falle eines Freispruchs angekündigt und es besteht eigentlich kein Zweifel daran, dass Minneapolis in diesen Stunden brennen würde, hätte es einen Freispruch gegeben. Diesmal noch unterstützt von einem breiten Bündnis bis zu Kongressabgeordneten, alle mit der mehr oder weniger deutlichen Gewaltdrohung im Köcher. Und die Geschworen lieferten. Und das auch sehr schnell. 

Hat dieses Urteil einen Gerechtigkeitswert? Kaum. Einfach deswegen, weil es den Geschworenen an der Stelle völlig unmöglich war zu einem Freispruch zu gelangen. Denn auch diese hängen an ihrem Leben und ihrer Existenz. Wenn die Innenstadt von Minneapolis brennt, dann spüren das 12 Bürger aus Minneapolis am eigenen Leib. So lange sie überhaupt noch am Leben wären, denn auch hier kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie alle 12 in ganz realer Lebensgefahr schweben würden, wären sie zu einem Freispruch gelangt. D.h. ein anderes Urteil war von vorneherein nicht wirklich möglich. Entsprechend brauchte sie auch keine Zeit für lange Beratungen. 

Neben Gemeinsamkeiten hat dieses Urteil aber auch ein paar ordentliche Unterschiede in seiner Wirkung. Der Freispruch von Simpson hinterließ bei dem größten Teil der weißen Bevölkerung ein Gefühl der Unfairness, aber keine persönlichen Animositäten. Für die Familien der beiden Opfer war es sicher ein starkes Gefühl der Ungerechtigkeit, aber so brutal es sein mag, das sind am Ende Einzelschicksale und der Rechtsstaat bringt nicht immer dem einzelnen auch Gerechtigkeit. Diesmal wird der Schuh aber ein bischen größer. Natürlich gibt es eine Unfairness Derek Chauvin gegenüber, aber die wäre im Ergebnis vermutlich nicht einmal kleiner gewesen, wenn er nur wegen Totschlags (dem Anklagepunkt, den man noch am ehesten hätte vertreten können) verurteilt worden wäre. Er wird seine Gefängniszeit mit aller Wahrscheinlichkeit ohnehin nicht lange erleben. 

Die größere Wirkung dürfte sich in der amerikanischen Gesellschaft an sich entfalten. 

Zunächst mal ist das Urteil ein politisches, was man schon daran ersehen kann, dass es ganz offiziell vom amerikanischen Präsidenten und seiner Vizeregentin begrüsst wird. Aber auch die amerikanischen Linke, derzeit sowieso in einem Machttaumel, feiert frenetisch ein durchaus aufgeladenes Urteil. 
Für den amerikanischen Rechtsstaat ist das ganze verheerend, denn hier wird deutlich das Limit des Systems aufgezeigt. Es war kein Schauprozess im Stile des Volksgerichtshofes, aber es war ein politischer Prozess, dessen Ergebnis durch den politischen Druck der Linken bereits determiniert war. Der tobende und plündernde Mob konnte ein Urteil erzwingen, vollkommen unabhängig von den den Fakten eines Falles. Die daraus resultierende Lehre kann bei vielen Menschen nur lauten, dass sich der Rechtsstaat dem Mob unterwirft, wenn der nur stark genug auftritt. 

Das wird zum einen die weiße, bzw. konservative Bevölkerung diesmal deutlich mehr verunsichern, weit schlimmer noch dürfte aber die Wirkung auf die Polizei sein. Dazu muss man wissen, dass seit den ersten Unruhen um den Tod von George Floyd die amerikanische Polizei ohnehin gewaltige Probleme hat. Die "defund the police" Kampagnen haben enormen Zuspruch gefunden, und in vielen Großstädten wurden jede Menge Polizisten entlassen, bzw. ihre Verdienste eingeschränkt.
Das hat in der Folge dazu geführt, dass die Straße für Polizisten noch einmal deutlich gefährlicher wurde, zum anderen ist die Verbrechensrate in den Städten geradezu explodiert, mit Steigerungen im höheren, zweistelligen Prozentbereich bei den schwersten Straftaten, insbesondere Mord- und Totschlag. Die amerikanischen "Cops" hatten schon vorher den Eindruck mit dem Rücken zur Wand zu stehen und das Urteil wird das noch gewaltig verstärken. Wer will schon Polizist sein, wenn er nicht nur schlecht bezahlt und einem großem Risiko auf der Straße ausgesetzt ist, sondern gleichzeitig das Risiko eingeht bei einer Verkettung unglücklicher Umstände als Mörder verurteilt zu werden? 

Wenn die Cops aber entweder ganz aufhören oder in Zukunft dann lieber auf Einsätze verzichten, wird sich die Sicherheit auf Amerikas Straßen nicht erhöhen, was noch verheerender ist, wenn gerade die Lehre gezogen wird, dass man mit gewaltsamen Mobs seine Machtvorstellungen durchsetzen kann. Man kann sicher unterschiedlicher Meinung sein, ob das Verhalten von Chauvin vertretbar war oder nicht (das Gericht war der Meinung, dass es das nicht war), was man aber nicht vergessen sollte, ist, dass George Floyd ein verurteilter, drogensüchtiger Gewaltkrimineller war. Das gibt sicher keinem das Recht ihn umzubringen, es stellt sich die Frage, ob die Polizei in Zukunft, wenn sie mit solchen Leuten konfrontiert ist, es schlicht ignoriert, um sich keinem Risiko auszusetzen. Derek Chauvin hatte keinen persönlichen Vorteil George Floyd zu fixieren. Er tat das, weil das sein Job war. Wenn wir unterstellen, dass er das falsch machte, dann stellt sich trotzdem die Frage: Wird der zukünftige Cop es richtig machen oder es lieber gar nicht machen?

Und natürlich ist es billig zu sagen: Dann soll er es lieber gar nicht machen. Bis man selber in den Lauf einer Waffe schaut. 

So sehr ich die Geschworenen selber verstehen kann, und so sehr ich auch den kurzfristigen Vorteil sehe, dass man die erwarteten Unruhen damit erst einmal geschwächt hat, so verheerend sehe ich das Urteil in langfristiger Perspektive. Man mag von "brutalen" Cops nicht viel halten, aber das ändert nichts daran, dass es vielmals diese Cops sind die zwischen einem selbst und jemand ganz anderem stehen. Ein Sozialarbeiter schützt mich nicht vor den George Floyds dieser Welt. Und natürlich hätten wir alle lieber einen Riesenhaufen Supercops, die keinen Fehler machen, alles deeskalieren, und, wie sich manche Linke das vorstellen, "dem Bösen die Waffe aus der Hand schießen". Dummerweise gibt es davon offensichtlich nicht genug. Und vielleicht sollte das Policedepartment in Minneapolis dringend darüber nachdenken, wie es seine Angestellten besser schult, damit so etwas nicht passiert. Die Schuld bei dem Einzelnen zu suchen und in einem politischen Verfahren auf ihn einzudreschen, scheint mir ein absoluter Irrweg zu sein.

Und irgendwann sind wir wirklich in der Welt von MadMax. Ich kann mir vorstellen, dass Grupen wie BLM oder die Antifa wirklich gerne lieber das Land brennen sehen möchten. In der Hoffnung, dass danach durch ein Wunder alles ganz wunderbar wird. Aber real wird es nur brennen. Und was danach kommt, wird allenfalls schlimmer werden. 

Dabei bin ich selber nicht einmal ein großer Fan der Polizei. Ich finde beispielsweise den Corpsgeist bei der deutschen Polizei erschreckend massiv ausgeprägt, dass praktisch kein Polizist aus dem Dienst entfernt wird, wenn er wirklich bewusst gewalttätig wird, dass grundsätzlich jeder Polizist Anzeigen gegen sich selbst abwehren kann, in dem er selber eine Anzeige wegen "Widerstand" schreibt, das finde ich alles ziemlich furchtbar. Aber das macht es nicht richtig einen Polizisten, der einen Schwerkriminellen fixiert und womöglich(!) dabei auch umbringt, für sein restliches Leben einzusperren. Wenn George Floyd ein Unschuldiger gewesen wäre, dessen Venen nicht mit mehr Fentanyl gefüllt gewesen wären, um 3 normale Menschen umzubringen, der sich nicht gewehrt hätte und wenn Chauvin auf ihn bewusst so lange eingetreten hätte, bis er sich nicht mehr rührt, dann würde ich das vielleicht sehen. Und selbst dann würde ich noch darauf bestehen, dass auch ihm ein faires Verfahren zusteht, ohne Geschworene, die Angst um ihr Leben haben müssen und einen politischen und medialen Apparat, der ein bestimmtes Urteil fordert. Aber so. Eher nicht. Ich kann verstehen warum es so kam. Aber ich halte es auch für einen weiteren Sargnagel in der amerikanischen Gesellschaft. 

Und ich erlaube mir eine Prognose. Die Gewalt auf amerikanischen Straßen wird in den nächsten zwei Jahren massiv zunehmen, selbst ausgehend von dem ohnehin schon hohen Level. Hinter vorgehaltener Hand wird man auch unter den Bürgermeistern die helle Panik sehen, wenn immer mehr Cops den Dienst entweder quittieren, oder Sparmaßnahmen deren Dienst verhindern. Aber das wird die Explosion der Gewalt nicht aufhalten. Gleichzeitig werden Maßnahmen für private Sicherheit ebenso massiv mehr nachgefragt werden, angefangen von privaten Sicherheitsdiensten bis zu einer weiteren Bewaffnung der, insbesondere weißen, Bevölkerung. Letzteres wird man zu verhindern suchen, aber daran scheitern, weil etliche Staaten nicht mitmachen. Und wenn diese zwei Jahre um sind, und wieder Zwischenwahlen anstehen, dann wird man von all dem nichts mehr wissen wollen. Kandidaten werden es reihenweise von sich weisen, je die Abschaffung der Polizei gefordert oder gefördert zu haben. Am Ende wird es keiner gewesen sein wollen. Irgendjemand der die Wette hält?
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Llarian

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