4. November 2019

"Ballade en novembre": Feuille commémorative Anne Vanderlove



Es bleibt mir die Erinnerung
An die Lieben, die vergehn
Es ist jetzt Zeit, die Tür zu schließen
Es ist jetzt Zeit, schlafen zu gehn.
Ich war nicht immer nett und gut
Mit Haar, das in die Augen stieb
Doch hat er mich so akzeptiert
Und vielleicht sogar etwas lieb.

Auf Strand und Garten fällt der Regen dicht...
Und sind jetzt meine Augen feucht
liegt es am Regen im Gesicht.

Der Nordwind fängt wild an zu wehn
Der mir im Spiel das Haar zerwühlt
Ich war nicht immer wirklich schön
Er wohl was für mich gefühlt.
Mein Kleid ist stets noch mitgenommen
Und mein Haar ist wie wild zerstiebt.
Er hat mich, wie ich war, genommen.
Ich hab ihn wirklich sehr geliebt.

Qu'on me laisse à mes souvenirs
Qu'on me laisse à mes amours mortes
Il est temps de fermer la porte
Il se fait temps d'aller dormir
Je n'étais pas toujours bien mise
J'avais les cheveux dans les yeux
Mais c'est ainsi qu'il m'avait prise
Je crois bien qu'il m'aimait un peu

Il pleut sur le jardin, sur le rivage
Et si j'ai de l'eau dans les yeux
C'est qu'il me pleut sur le visage

Le vent du Nord qui s'amoncelle
S'amuse seul dans mes cheveux
Je n'étais pas toujours bien belle
Mais je crois qu'il m'aimait un peu
Ma robe a toujours ses reprises
Et j'ai toujours les cheveux fous
Mais c'est ainsi qu'il m'avait prise
Je crois que je l'aimais beaucoup

Il pleut sur le jardin, sur le rivage
Et si j'ai de l'eau dans les yeux
C'est qu'il me pleut sur le visage

Si j'ai fondu tant de chandelles
Depuis le temps qu'on ne s'est vus
Et si je lui reste fidèle
À quoi me sert tant de vertu ?
Qu'on me laisse à mes amours mortes !
Qu'on me laisse à mes souvenirs
Mais avant de fermer la porte
Qu'on me laisse le temps d'en rire
Le temps d'essayer d'en sourire


Jetzt, da mit dem Übergang vom Oktober in den klassischen Totenmonat November, die Zeit der feuilles mortes," der melancholischen Talsenke des Jahresgangs angebrochen ist - ohne die festtägliche Aufladung des Jahresendfestes und ohne die wenn auch nur folkloristische Aufladung des Jahresauftakts mit Schneefreuden und Winterwäldern (denn "in Wirklichkeit" bildet natürlich des Januar den symbolischen Abschwung des saisonalen Taktes), ist es vielleicht angezeigt, an dieses kleine Chanson zu erinnern und die Frau, die es vor 52 Jahren, im Frühsommer 1967, komponiert und eingespielt: Anne Vanderlove. Natürlich kann eine unbeholfene Nachdichtung der schwerelosen Melancholie, der heiteren Gelassenheit, die das Stück auszeichnet, nicht gerecht werden. Der perlende Melodielauf, die solche Stücke vor dem Absturz in die kitschige Sentimentalität bewhrt, läßt sich eigentlich nur mit auf Französisch gesungenen Texten denken - schon im Englischen wird dies zu einer Gradwanderung, wie man an vergleichbaren Stücken jener Jahre von Joan Baez, Joni Mitchell, James Taylor, dem  frühen Neil Young (man denke hier an "Heart of Gold" vom Album After the Gold Rush), oder an die Klassiker des Metiers, Simon and Garfunkel - "The Boxer" käme dem Ideal noch am nächsten: "The Sound of Silence" reicht schon über das Umreißen der persönlichen Befindlichkeit hinaus und lappt in den bereich der Zeitgeisthymne - leicht sehen (beziehungsweise hören) kann. Im Deutschen zumal scheint dergleichen nachgerade apodiktisch unmöglich. (Es gibt genau zwei Ausnahmen: Hannes Waders "Rohr im Wind" und Reinhard Meys "Über den Wolken" vom 1974 - bei dem es sich aber, ungeachtet des Vermerks "Musik und Text: Reinhard Mey" um eine ziemlich dreiste Aneignung, in Melodie wie Versen, des zehn Jahre älteren "Early Morning Rain" von Gordon Lightfoot handelt.) Im Französischen hingegen sind die akustischen Bebilderungen dessen, wöfür der Portugiesische die Vokabel saudade bereitstellt, das Italienische nostalghia kennt und das man auf Türkisch hüzün nennt (wobei Native Speakers aller drei Idiome Stein und Bein schwören, es handele sich um eine völlig unübersetzbare Begriff- beziehungsweise Befindlichkeit, die in keine anderen Sprache ihr Äquivalent kenne) hingegen Legion: angefangen mit Jean Sablons Version von "J'attendrai" von 1938 über die Signatur-Songs von Edith Piaf oder, nach dem Abklingen der Jéjé-Mode Anfang der Sechziger Jahre etwa Francoise Hardy. Daß dieses Metier mit dem Anbruch des neuen Jahrtausends, wie so viele Bereiche des Populärkultur, seinen Abschluß gefunden zu haben scheint und nicht wie im Verlauf des 20. Jahrhunderts Jahrzehnt um Jahrzehnt üblich, keine neuen Interpreten, keine Evergreens mehr hervorgebracht hat, kann man als Kennzeichen für einen bedenklichen Wandel, viellicht ein Verlöschen der westlichen kulturellen Impulse sehen. Aber das soll hier und heute nicht das Thema sein.

*     *     *

Anne Vanderlove, am 11. Dezember 1943 als Kind eines niederländischen Künstlers und einer bretonischen Mutter im holländischen Scheveningen geboren, wuchs nach der Scheidung ihrer Elten bei ihren Großeltern mütterlicherseits in den Bretagne auf. Diese Prägung durch des nordwestlichen Küstenbereich merkt man vielen ihrer Lieder an. Ihr Künstlername ist eine Abwandlung ihrer Geburtsnamens Anna van der Leeuw. Die "Novemberballade", die sich auf ihrer ersten Single. mit 23 eingespielt, findet, gab ein paar Monate später den Titel ihrer ersten LP, Ballades en novembre, ab, der, in ziemlichen Abständen, bis 2010 14 weitere Alben folgten. Anne Vanderlove (deren Name bei uns ziemlich unbekannt sein dürfte) gehörte nie zu den großen Stars im Geschäft, Ihre Auftritte fanden meist auf kleinen Bühnen, im bescheidenem Rahmen statt - etwa in Altersheimen, in Gefängnissen und Sanatorien.




Du Cote De Maine-Montparnasse
Une gare, un train qui s'en va
Elle reste à quai, plantée là
Comme un rocher mélancolique
Sur une plage désertique
Ou dans un ciel à marée basse
Avec des nuages qui passent
Du côté de Maine-Montparnasse

Depuis elle déteste les gares, 
Les arrivées et les départs, 
La solitude dans la foule
Et ses pauvres larmes qui coulent
Dans ses deux mains, devant sa face, 
Du côté de Maine-Montparnasse

Auf "J'tai vois partout" läßt sich sehr schön der bretonische folkloristische Einfluß hören (einschließlich des lokalen Zungenschlags der Ch'tis):



Das Titelstück ihrer LP von 1974: "Ich bin die Verrückte, die am Ende des Kais wartet ... auf ein Schiff, das niemals kommen wird..."



Und, um im maritimen Bereich zu bleiben, "La grand marée", die Große Flut, von ihrem Album von 1981, La vie s'en va, für das sie den "Oscar de la chanson française" erhielt.



Un colosse aux pieds d'argile surveille la frontière 
Des gosses aux mains fragiles jouent avec la poussière 
Des veuves aux longs doigts fébriles distillent le thé 
Un vieillard au regard tranquille sort de la fumée
C'est la grande marée, la grande marée, la grande marée 

Un café, une pendule, un bout de trottoir 
Un réveil sinistre et drôle sur l'épaule d'un ouvrier 
Qui s'en va au bout du môle, vers l'éternité   
C'est la grande marée, la grande marée, la grande marée 

 Il n'y a plus d'amoureux, plus de bancs publics   Nous sommes éternellement bronzés 
  Notre vocabulaire est réduit à 50 mots 
  Nous branchons nos sexes dans le secteur 
  Et nos spermatozoïdes sont calibrés et placés dans des banques 
  Ils servent de monnaie d'échange aux eunuques qui nous gouvernent   Notre société d'abondance fait merveille, il n'y a plus qu'un classe 
  Quoiqu'en y réfléchissant bien il y en a une autre 
  Mais il est déconseillé de réfléchir   Nous ne faisons plus jamais l'amour, sauf de temps en temps 
  Avec les gardiens qui nous surveillent 
  Le mien est frigide   C'est la grande marée, la grande marée, la grande marée 

"Les tours der St Malo":




2013 wurde sie zum Chevalier des Arts et des Lettres ernannt. Am 30 Juni 2019 ist Anne Vanderlove im Alter von 75 Jahren in Finisterre, wo sie seit 1972 lebte, an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben. 


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U.E.

© Ulrich Elkmann. Für Kommentare bitte hier klicken.