4. Juli 2016

Die Atomverschwörung (3): Gesamtgesellschaftlicher Konsens

Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) sagte, sie sehe die Entscheidung als Bestätigung des gesamtgesellschaftlichen Konsenses über den Atomausstieg. "Am Atomausstieg wird nicht gerüttelt - spätestens 2022 geht der letzte Reaktor vom Netz." Der Rückbau der Kernkraftwerke sei nun eine der größten umweltpolitischen Aufgaben. "Der Schutz der Bevölkerung hat oberste Priorität - sowohl beim Betrieb der Kernkraftwerke als auch beim Rückbau. Es gibt bis zum letzten Tag keinen Sicherheitsrabatt."
Quelle

Im Gegensatz zu den Linkspopulisten Natascha Kohnen (SPD) und Ludwig Hartmann (Grüne), die in der E.on-Klage in gewohnter Manier lediglich einen Versuch sehen, die Steuerzahler zu melken, gab sich die Umweltministerin Scharf deutlich staatstragender: Nicht um den schnöden Mammon ging es ihr, sondern um den Schutz der Bevölkerung und den gesamtgesellschaftlichen Konsens. 
Leider hat die Ministerin nicht etwa die erfreuliche Idee, die Bevölkerung VOR dem Konsens zu schützen, sondern etwas anderes, und das ist bedenklich: Nimmt man die Ministerin beim Wort, so ist die Aufgabe eines Gerichtes nicht etwa, die Rechtmäßigkeit eines Anspruches zu bestätigen (oder eben nicht), sondern politische Vorstellungen gegen widersprüchliche Interessen durchzusetzen. Da das aber nicht so schön klingt, wird mit dem "gesamtgesellschaftlichen Konsens" argumentiert. Will man der Ministerin am Zeug flicken, so hat das ganz schalen Beigeschmack in Richtung "gesundes Rechtsempfinden".

Wie absurd diese Aussage aber in Wirklichkeit ist, zeigt sich, wenn man sich die Hintergründe anschaut, denn das Gericht stellte eindeutig klar, dass es keine inhaltliche Entscheidung gefällt hat. Vielmehr lautet die Begründung
Die Klägerin hätte, um einem Anspruchsausschluss gemäß § 839 Abs. 3 BGB entgegenzuwirken, gegen die Verfügungen vom 17. März 2011 Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO erheben müssen. Die Anfechtungsklage hätte, da die Bescheide nicht mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung versehen waren, von Gesetzes wegen gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung gehabt (sog. Suspensiveffekt), die sofort eingetreten wäre und aufgrund dessen die Klägerin ihre Kernkraftwerke hätte nicht herunterfahren müssen bzw. zumindest wieder hätte sofort hochfahren dürfen. Zu einer Ausnutzung dieses Suspensiveffektes sei die Klägerin im Hinblick auf ihre Schadensminderungspflicht gemäß § 254 BGB auch verpflichtet gewesen. Die Gefahr erheblicher und risikobehafteter Aufwendungen der Klägerin zur Schadensvermeidung sei nicht ersichtlich. Sie hätte vielmehr nur ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit nachgehen und die Kernkraftwerke weiter betreiben bzw. sofort wieder hochfahren müssen, wobei ihr die dadurch erzielten Gewinne unabhängig von der späteren Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügungen zugestanden hätten.
Konkret heißt das, dass es weder um gesellschaftlichen Konsens noch um den Schutz der Bevölkerung geht, sondern darum, dass der E.ON kein Schaden hätte entstehen müssen, wenn sie (wie RWE in Hessen, ich hatte damals ausführlich berichtet) gleich geklagt hätte. Das Gericht hatte auch (im Gegensatz zum von der Ministerin beschworenen Konsens) keineswegs was dagegen, dass Kernkraftwerke betrieben werden und damit Geld verdient wird.

Überhaupt ist der "Schutz der Bevölkerung" im zweiten Teil von Scharfs Zitat nicht weniger perfide. Denn auch dieser ist nicht Aufgabe des Landgerichts Hannover, sondern:
Die atomrechtliche Aufsicht über kerntechnische Anlagen wird gemäß § 24 Atomgesetz in Verbindung mit Artikel 85 des Grundgesetzes von den zuständigen Landesbehörden im Auftrag und auf Weisung des Bundes ausgeübt. In Bayern ist das Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit dafür zuständig. 
Also die Ministerin selber! Bzw. ihr Vorgänger Söder, dessen Vorstellung vom Schutz der Bevölkerung vor der pöhsen Kernkraft in einer Laufzeitverlängerung von acht Jahren für das damals schon knapp vierzig Jahre alter Kraftwerk Isar 1 bestand. Nun stellt das Gericht eindeutig fest, dass ein Kernkraftwerk betrieben werden darf (und sogar muss, wenn man nicht auf den Kosten sitzenbleiben will), solange eine Betriebsgenehmigung besteht. 

Also muss sich die Ministerin schon fragen lassen: Wenn ein Kernkraftwerk so unsicher ist, dass man die Bevölkerung davor schützen muss, wieso erteilt man ihm dann als verantwortliche Aufsichtsbehörde eine Betriebsgenehmigung und verlängert sie auch noch um acht Jahre? Wenn es dagegen sicher ist, wieso braucht man die Hilfe des Landgerichts Hannover, um einen "Sicherheitsrabatt" zu vermeiden?

Ich bin ja ein großer Freund von Hanlon's razor, und glaube auch, dass er hier Anwendung finden sollte. Was allerdings überhaupt nicht für die Ministrabilität der Frau Scharf spricht.

Meister Petz
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© Meister Petz. Titelvignette: Ulrike Scharf MdL (Bayern), Staatsministerin für Umwelt und Verbraucherschutz. Vom User Freud unter CC BY-SA 3.0 lizenziert. Für Kommentare bitte hier klicken.