It was in Crimea, in the ancient city of Chersonesus or Korsun, as ancient Russian chroniclers called it, that Grand Prince Vladimir was baptised before bringing Christianity to Rus.
In addition to ethnic similarity, a common language, common elements of their material culture, a common territory, even though its borders were not marked then, and a nascent common economy and government, Christianity was a powerful spiritual unifying force that helped involve various tribes and tribal unions of the vast Eastern Slavic world in the creation of a Russian nation and Russian state. It was thanks to this spiritual unity that our forefathers for the first time and forevermore saw themselves as a united nation. All of this allows us to say that Crimea, the ancient Korsun or Chersonesus, and Sevastopol have invaluable civilisational and even sacral importance for Russia, like the Temple Mount in Jerusalem for the followers of Islam and Judaism.
Natürlich werden wir über die prägenden Ereignisse dieses Jahres reden. Sie wissen, dass im März ein Referendum auf der Krim abgehalten wurde, bei dem die Bewohner ihrem Wunsch, sich Russland anzuschließen, Ausdruck verliehen haben. Danach verabschiedete das Parlament der Krim - hervorzuheben ist, dass es sich um ein legitimiertes, 2010 gewähltes Parlament handelt - eine Resolution über die staatliche Souveränität. Und dann erlebten wir die historische Wiedervereinigung der Krim und Sevastopols mit Russland. Dieses Ereignis war von besonderer Bedeutung für das Land und das Volk, denn auf der Krim lebt unser Volk, und die Halbinsel ist für Russland wichtig als der geistige Ursprung für die Entwicklung einer facettenreichen, aber stabilen russischen Nation und eines russischen Zentralstaates.
Es war auf der Krim, in der ehemaligen Stadt Chersones, oder Kurson, wie frühe russische Chronisten sie nannten, wo Großfürst Vladimir getauft wurde, bevor er das Christentum in die Rus brachte.
Über die ethnische Verwandtschaft, eine gemeinsame Sprache, gemeinsame Elemente in der materiellen Kultur, und die Entstehung einer gemeinsamen Wirtschaft und Staatsgewalt hinaus war das Christentum ein starker Motor der geistigen Einheit, der zahlreiche Stämme und Stammesverbände der gesamten ostslawischen Welt zur Errichtung einer russischen Nation und eines russischen Staates bewegte. Diese geistige Einheit ermöglichte es, das unsere Ahnen sich zum ersten Mal und fürderhin als gemeinsame Nation betrachteten. All dies lässt uns zu der Aussage kommen, dass die Krim, das frühere Kurson oder Chersones und Sevastopol von unschätzbarer zivilisatorischer, ja sogar sakraler Bedeutung für Russland sind, wie der Tempelberg in Jerusalem für die Anhänger von Islam und Judentum.
(Wladimir Putin in seiner Rede an die Föderationsversammlung, 4.12.2014)
Kommentar:
Dieser Teil der Rede "zur Lage der Nation" klingt für den unvoreingenommenen Zuhörer zwar pathetisch, aber im Grunde genommen harmlos. Die Sehnsucht nach Mütterchen Russland, in viel nationalmythologisches Schmalz getaucht. Aber haben nicht auch die Türken Amerika entdeckt?
Diejenigen im Westen, die die Annexion sowieso legitim fanden, werden zwar mit dem Nationalismus ihre Schwierigkeiten haben; aber der russische Bär kommt nun mal nicht aus dem Streichelzoo, da muss man Verständnis haben. Die sie als völkerrechtswidrig beurteilen, mögen eine an den Haaren herbeigezogene Begründung für eine unrechtmäßige territoriale Expansion darin sehen. Und der Vergleich mit dem Tempelberg passt doch, schließlich ist der auch umstritten, oder nicht?
Um es vorwegzunehmen: diese Passage, wie ich sie interpretiere, hat es faustdick in sich.
Denn dieses Ereignis der Taufe von Wladimir dem Großen [eventuelle Parallelen sind reiner Zufall] ist historisch gesehen gar nicht so spannend, und dass es angeblich auf der Krim stattfand, ist reiner Zufall. Wladimir ist der Urenkel des je nach Legende von Wikingern oder Finnen abstammenden ersten Fürsten der Rus namens Rorik und Sohn von Fürst Sviatoslav mit einer nordischen Dienerin.
Als überzeugter slawischer Heide geboren, wurde er nicht etwa durch ein Erweckungserlebnis zum Christentum bekehrt, sondern musste sich auf Druck der angrenzenden Völker (der teils jüdischen Chasaren, der teils muslimischen, teils christlichen Bulgaren und der christlichen Byzantiner) für eine der monotheistischen Religionen entscheiden. Dass es letzendlich das Christentum wurde, hatte wenig spirituelle, aber handfeste kulturelle und politische Gründe. Den Islam lehnte er aus pragmatisch völlig überzeugenden Gründen ab:
Upon the meeting with Muslim Bulgarians of the Volga, Vladimir found their religion unsuitable due to its requirement to circumcise and taboos against alcoholic beverages and pork; supposedly, Vladimir said on that occasion: "Drinking is the joy of the Rus', we can't go without it."
Nach dem Treffen mit den muslimischen Bulgaren an der Wolga hielt Wladimir deren Religion aufgrund des Beschneidungsgebotes und der Verbote von alkoholischen Getränken und Schweinefleisch für ungeeignet; angeblich sagte er bei dieser Gelegenheit: "Trinken ist das Vergnügen in der Rus, wir können es nicht aufgeben".Die Wahl fiel aufs Christentum, weil er durch seine Heirat mit einer byzantinischen Kaisertochter seine politische Position verbessern konnte. Der Kaiser willigte in diese Mésalliance ein, weil Wladimir ihm militärisch aus der Patsche geholfen und, um den Druck noch zu verstärken, die von Putin erwähnte Stadt Chersones oder Kurson (auf dem Gebiet des heutigen Sewastopol) besetzt und als Faustpfand für seine Heirat gesichert hatte. Ob Wladimir sich übrigens tatsächlich dort taufen ließ, ist historisch nicht geklärt.
Jeder Russe - und auch jeder Ukrainer - weiß das. Genau wie er weiß, dass bis zur Annexion des Khanats der Tartaren auf der Krim durch das Russische Reich im Jahr 1783 kaum Russen bzw. Slawen dort ansässig waren. Denn die hielten sich nach der Rückgabe von Kurson lediglich im Westen der Halbinsel noch ungefähr hundert Jahre lang. Das heutige Sewastopol haben sie achthundert Jahre lang nicht mehr besiedelt. Und die Byzantiner waren bekannt dafür, alle Slawen, die ihnen in die Hände fielen in die Knechtschaft zu verkaufen. Das Wort "Sklave" stammt daher.
Wenn also die Krim als Teil Russlands erst im ausgehenden 18. Jahrhundert eine Rolle spielt und ihre historisch belegbare und theologische Bedeutung bei der nationalen Genese Russlands so gering ist; warum benutzt Putin sie in einer Parlamentsrede, in der er den beiden Kammern sein politisches Vorgehen erklärt?
Weil er - so meine Spekulation - sich möglicherweise gar nicht nur auf die Krim bezogen hat. Die Historiker sind sich - wie erwähnt - gar nicht sicher, ob die Taufe Wladimirs überhaupt in Kurson stattfand. Die andere Möglichkeit wäre seine damalige Hauptstadt. Kiew.
Wenn es nämlich ein geistiges und politisches Zentrum der Einigung ostslawischer Stämme zur Kiewer Rus gab, so war es die namensgebende Hauptstadt. Bevor Moskau oder gar St. Petersburg existierten, war Kiew mit 50.000 Einwohnern unter Wladimirs Sohn Jaroslaw dem Weisen eine Metropole. Die Christianisierung hatte dort ihren Ursprung.
Die Kiewer Rus hat für die Völker der heutigen Staaten Russland, Weißrussland und Ukraine eine ähnliche Bedeutung wie beispielsweise das Habsburgerreich für Österreicher, Ungarn und Tschechen. Eine gemeinsame Wurzel. Der Fürst Wladimir ist auf ukrainischen Geldscheinen abgebildet. Das Territorium umfasste zu seiner Blütezeit den Westen Russlands, fast ganz Weißrusslands und große Teile der Ukraine.
Wladmirs Namensvetter im Präsidentenamt sieht die Kiewer Rus nicht nur als Vielvölkerstaat an, der die Wurzel verschiedener Nationen bildet. In seiner Rede zum Beitritt der Krim sagte er:
...we are not simply close neighbours but, as I have said many times already, we are one people. Kiev is the mother of Russian cities. Ancient Rus is our common source and we cannot live without each other.
...wir sind nicht einfach enge Nachbarn, sondern, wie ich schon viefach gesagt habe, wir sind ein Volk. Kiew ist die Mutter der russischen Städte. Die Rus ist unser gemeinsamer Ursprung und wir können ohne einander nicht leben.In dieser Rede bekräftigt Putin zwar noch die ukrainische Souveränität (natürlich mit Ausnahme der Krim), macht aber deutlich, dass alle russischsprachigen Ukrainer unter dem Schutz Russlands stehen. Einen Monat später wurden die Volksrepubliken Donezk und Lugansk ausgerufen. Auch wenn Putin diese Gebiete noch nicht nach Russland eingegliedert hat (das wäre historisch noch schwerer zu begründen, da die beiden Städte erst im 18. bzw. im 19. Jahrhundert gegründet wurden), so ist trotzdem erkennbar, dass er politisch seine Hand über die Separatisten hält. Denn sie setzen seine Anschauung der russischen Nation in die Tat um.
Wenn also Putin vor dem Hintergrund einer nationalen, historisch-theologisch begründeten Annexion der Krim durch Russland gleichzeitig die Kiewer Rus als Wiege der unteilbaren russischen Nation und eines russischen Zentralstaats religiös überhöht, ist das eine eindeutige Ansage Richtung Kiew, die man verkürzt zusammenfassen kann:
Gott will keine unabhängige Ukraine.
Meister Petz
© Meister Petz. Titelvignette: Karte - Das Kiewer Reich (»Kiewer Rus«) 1015-1113. Original version (russian): Koryakov Yuri. German translation and minor corrections: KaterBegemot. Veröffentlicht unter CC BY-SA 2.5. Für Kommentare bitte hier klicken.