Manchen mögen die spektakulären Interviews und Auftritte von
Václav Klaus, dem letzten Präsidenten Tschechiens in Erinnerung sein. Klaus war
ein Streiter gegen die Haftungsunion, ein Streiter gegen den Brüsselerer
Zentralismus und Bürokratismus. Und er hatte, entgegen der Darstellung in
vielen deutschen Medien, die Mehrheit der Tschechen hinter sich. Klaus war von 1992 bis 1998 Ministerpräsident, von 1998 bis 2002 Vorsitzender des
Abgeordnetenhauses und von 2003 bis 2013 Staatspräsident.
Insbesondere Klaus' Kritik an der EU führten bei vielen
linken deutschen Politiker zur Abneigung. Sogar Zettel hat sich einmal mit diesem Thema beschäftigt.
Klaus Nachfolger als Staatspräsident wurde erstmalig
gewählt. Der Wahlkampf, das Wahlergebnis und die nachfolgenden Wochen zeichnen
ein deutliches Bild des heutigen Tschechien.
Klaus war ein Patriot (was heute gern in Deutschland mit
herabwürdigendem Unterton als "Nationalpatriot" bezeichnet wird).
Klaus fühlte sich immer und zuerst der tschechischen Nation verbunden. Weil
Patriotismus in Deutschland in den öffentlichen Medien verpönt ist, gab es
in den deutschen Medien auch keinerlei Verständnis dafür, als Klaus bei der
Wahl seines Nachfolgers den Kandidaten Schwarzenberg kritisierte, weil dieser zu
lange im Ausland gelebt habe. Außerdem gab es eine Auseinandersetzung um die
Benes-Dekrete.
Ich versuche gar nicht erst, die patriotische Denkweise der
Tschechen dem deutschen Leser zu erklären, überspringe den aus deutscher Sicht
sensationell peinlichen und schmutzigen Wahlkampf zwischen den
Präsidentschaftskandidaten Schwarzenberg und Zeman. Beispielhaft sei nur
erwähnt, dass sich sogar das tschechische Verwaltungsgericht damit beschäftigt
hat, dann aber zu dem Schluss kommt:
"Nejvyšší správní soud vyřešil dalších 20 stížností na přímou volbu prezidenta, žádné z nich nevyhověl. Pisatelé stížností často poukazovali na údajně neférovou kampaň. Soud sice v některých případech uznal, že námitky jsou opodstatněné, ale zdůraznil, že nemůže "pískat všechny volební fauly" a že zjištěné nezákonnosti nemohly změnit celkový výsledek.“
"Das Höchste Verwaltungsgericht hat weitere 20 Beschwerden hinsichtlich der Direktwahl des Präsidenten abschließend bearbeitet, keiner von ihnen hat es entsprochen. Die Beschwerdeführer hatten häufig auf den angeblich unfairen Wahlkampf hingewiesen. Das Gericht hat zwar in einigen Fällen anerkannt, dass die Vorwürfe begründet seien, betonte jedoch, dass es nicht "alle Wahl-Fouls abpfeifen könne" und dass die festgestellten Gesetzwidrigkeiten das Gesamtwahlergebnis nicht verändern könnten."
Springen wir gleich bis zum Ergebnis: die nationale Karte
war das Zünglein an der Waage, mit der Zeman knapp zum neuen Präsidenten
gewählt wurde.
Die Wahl von Zeman hatte allerdings einen von vielen tschechischen
Wählern nicht gewollten Nebeneffekt: Zeman ist erheblich stärker ein
EU-Befürworter als das Klaus war. Diese EU-Begeisterung brachte Zeman bereits
wenige Wochen nach seiner Amtseinführung zum Ausdruck, in dem er am 3. April
auf dem Hradschin neben der tschechischen Fahne auch die EU-Fahne hissen ließ,
die seitdem dort weht. Damit löste er in Tschechien einigen Widerstand aus.
.
Ein von einem Privatmann gedrehtes Video zeigt eine Gruppe
von vielleicht hundert Tschechen, die das feierlich Ereignisse mit einem
engagierten Pfeifkonzert und „Schande“-Rufen begleiten.
Noch deutlicher wird das gespaltene Verhältnis der Tschechen
zur EU in einer aktuellen Diskussion zwischen Radko Hokovský
und Marek Loužek sichtbar. Radko Hokovský ist Direktor des Bildungszentrums
Europäische Werte und vertritt die Pro-Europäische Position. Als Vertreter der
Gegenposition ist Marek Loužek erschienen, Leiter des Zentrums für Wirtschaft
und Politik (gegründet durch Klaus).
"Teoreticky by to nemělo mít na praktickou zahraniční politiku, kterou nakonec vytyčuje vláda, nicméně je to symbol, podle mě dost nešťastný symbol. To, že tam visí cizí vlajka, se mi zdá, že je nešťastné, že by tam měla být jen česká vlajka."
"Theoretisch sollte das keinen Einfluss auf die praktische Auslandspolitik haben, die letztendlich von der Regierung bestimmt wird. Nichtsdestotrotz ist es ein Symbol, meiner Meinung nach ein ziemlich unglückliches Symbol. Dass dort eine fremde Fahne hängt, erscheint mir sehr unglücklich. Dort sollte nur die tschechische Fahne hängen."
Ein Überblick über die tschechischen Medien lässt den
Schluss aufkommen, dass etwa zwei Drittel der Tschechen die neue
Pro-Europäische Position von Zeman hinnimmt, während ein Drittel vehement
dagegen ist. Im Gegensatz zu Deutschland meldet sich dieses eine Drittel
Opposition aber viel lauter zu Wort und hat in der öffentlichen Diskussion
auch mehr Gewicht. Damit bleibt in der tschechischen Politik immer eine
deutliche wahrnehmbare EU-kritische Opposition, die ganz schnell auch ein
Zünglein an der Waage werden kann.
Die Tschechen haben beispielsweise noch nicht vergessen, dass die Brüsseler Bürokraten ihnen einige traditionsreiche Namen verboten haben. Es gibt einige typisch tschechische und beliebte Lebensmittel, deren Namen gegen EU-Verordnungen verstießen und die jetzt ein Namensverbot haben. Insbesondere die "Streichbutter" war den Brüsseler Beamten ein Dorn im Auge (obwohl eine Verwechslungsgefahr mit Butter völlig ausgeschlossen war). Dazu sagt der tschechische Landwirtschaftsminister Bendl:
„Rozsudek posuzujeme a je třeba jej respektovat, nicméně dosud nejsme přesvědčeni o správnosti postupu Evropské komise, která v minulosti zamítla zápis označení "pomazánkové máslo" na seznam výjimek, aniž by provedla řádný komitologický postup, (...)"
„Das Urteil (…) werden wir respektieren müssen, dennoch sind wir bislang nicht überzeugt von der Richtigkeit des Vorgehens der Europäischen Kommission, die es in der Vergangenheit abgelehnt hat, die Bezeichnung „ Streichbutter“ in das Verzeichnis der Ausnahmen aufzunehmen, ohne ein ordnungsgemäßes komitologisches Verfahren(*) durchzuführen, (...)“
Selbst Zeman wollte in der Öffentlichkeit nicht als "EU-Lakai" dastehen und hat Kritik an der EU geäußert (namentlich an der Glühbirnenverordnung).
Es bleibt ein Element, das nicht vernachlässigt werden darf: der tschechische Patriotismus. In dem Moment, da die EU zu stark mit dem tschechischen Patriotismus kollidiert, kann aus dem einen Drittel Opposition ganz schnell eine Mehrheit werden.
Presseschau+Übersetzung der tschechischen Quellen: Baukel
Frank2000,
Baukel.
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