12. April 2013

Das unbeugsame Dorf: die Tschechen und ihr Verhältnis zur EU

Manchen mögen die spektakulären Interviews und Auftritte von Václav Klaus, dem letzten Präsidenten Tschechiens in Erinnerung sein. Klaus war ein Streiter gegen die Haftungsunion, ein Streiter gegen den Brüsselerer Zentralismus und Bürokratismus. Und er hatte, entgegen der Darstellung in vielen deutschen Medien, die Mehrheit der Tschechen hinter sich. Klaus war von 1992 bis 1998 Ministerpräsident, von 1998 bis 2002 Vorsitzender des Abgeordnetenhauses und von 2003 bis 2013 Staatspräsident.
Insbesondere Klaus' Kritik an der EU führten bei vielen linken deutschen Politiker zur Abneigung. Sogar Zettel hat sich einmal mit diesem Thema beschäftigt.
Klaus Nachfolger als Staatspräsident wurde erstmalig gewählt. Der Wahlkampf, das Wahlergebnis und die nachfolgenden Wochen zeichnen ein deutliches Bild des heutigen Tschechien.
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Klaus war ein Patriot (was heute gern in Deutschland mit herabwürdigendem Unterton als "Nationalpatriot" bezeichnet wird). Klaus fühlte sich immer und zuerst der tschechischen Nation verbunden. Weil Patriotismus in Deutschland in den öffentlichen Medien verpönt ist, gab es in den deutschen Medien auch keinerlei Verständnis dafür, als Klaus bei der Wahl seines Nachfolgers den Kandidaten Schwarzenberg kritisierte, weil dieser zu lange im Ausland gelebt habe. Außerdem gab es eine Auseinandersetzung um die Benes-Dekrete.
Ich versuche gar nicht erst, die patriotische Denkweise der Tschechen dem deutschen Leser zu erklären, überspringe den aus deutscher Sicht sensationell peinlichen und schmutzigen Wahlkampf zwischen den Präsidentschaftskandidaten Schwarzenberg und Zeman. Beispielhaft sei nur erwähnt, dass sich sogar das tschechische Verwaltungsgericht damit beschäftigt hat, dann aber zu dem Schluss kommt:
"Nejvyšší správní soud vyřešil dalších 20 stížností na přímou volbu prezidenta, žádné z nich nevyhověl. Pisatelé stížností často poukazovali na údajně neférovou kampaň. Soud sice v některých případech uznal, že námitky jsou opodstatněné, ale zdůraznil, že nemůže "pískat všechny volební fauly" a že zjištěné nezákonnosti nemohly změnit celkový výsledek.“
"Das Höchste Verwaltungsgericht hat weitere 20 Beschwerden hinsichtlich der Direktwahl des Präsidenten abschließend bearbeitet, keiner von ihnen hat es entsprochen. Die Beschwerdeführer hatten häufig auf den angeblich unfairen Wahlkampf hingewiesen. Das Gericht hat zwar in einigen Fällen anerkannt, dass die Vorwürfe begründet seien, betonte jedoch, dass es nicht "alle Wahl-Fouls abpfeifen könne" und dass die festgestellten Gesetzwidrigkeiten das Gesamtwahlergebnis nicht verändern könnten."
Springen wir gleich bis zum Ergebnis: die nationale Karte war das Zünglein an der Waage, mit der Zeman knapp zum neuen Präsidenten gewählt wurde.
Die Wahl von Zeman hatte allerdings einen von vielen tschechischen Wählern nicht gewollten Nebeneffekt: Zeman ist erheblich stärker ein EU-Befürworter als das Klaus war. Diese EU-Begeisterung brachte Zeman bereits wenige Wochen nach seiner Amtseinführung zum Ausdruck, in dem er am 3. April auf dem Hradschin neben der tschechischen Fahne auch die EU-Fahne hissen ließ, die seitdem dort weht. Damit löste er in Tschechien einigen Widerstand aus.
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Ein von einem Privatmann gedrehtes Video zeigt eine Gruppe von vielleicht hundert Tschechen, die das feierlich Ereignisse mit einem engagierten Pfeifkonzert und „Schande“-Rufen begleiten.
Noch deutlicher wird das gespaltene Verhältnis der Tschechen zur EU in einer aktuellen Diskussion zwischen Radko Hokovský und Marek Loužek sichtbar. Radko Hokovský ist Direktor des Bildungszentrums Europäische Werte und vertritt die Pro-Europäische Position. Als Vertreter der Gegenposition ist Marek Loužek erschienen, Leiter des Zentrums für Wirtschaft und Politik (gegründet durch Klaus). 
"Teoreticky by to nemělo mít na praktickou zahraniční politiku, kterou nakonec vytyčuje vláda, nicméně je to symbol, podle mě dost nešťastný symbol. To, že tam visí cizí vlajka, se mi zdá, že je nešťastné, že by tam měla být jen česká vlajka."
"Theoretisch sollte das keinen Einfluss auf die praktische Auslandspolitik haben, die letztendlich von der Regierung bestimmt wird. Nichtsdestotrotz ist es ein Symbol, meiner Meinung nach ein ziemlich unglückliches Symbol. Dass dort eine fremde Fahne hängt, erscheint mir sehr unglücklich. Dort sollte nur die tschechische Fahne hängen."
Ein Überblick über die tschechischen Medien lässt den Schluss aufkommen, dass etwa zwei Drittel der Tschechen die neue Pro-Europäische Position von Zeman hinnimmt, während ein Drittel vehement dagegen ist. Im Gegensatz zu Deutschland meldet sich dieses eine Drittel Opposition aber viel lauter zu Wort und hat in der öffentlichen Diskussion auch mehr Gewicht. Damit bleibt in der tschechischen Politik immer eine deutliche wahrnehmbare EU-kritische Opposition, die ganz schnell auch ein Zünglein an der Waage werden kann. 
Die Tschechen haben beispielsweise noch nicht vergessen, dass die Brüsseler Bürokraten ihnen einige traditionsreiche Namen verboten haben. Es gibt einige typisch tschechische und beliebte Lebensmittel, deren Namen gegen EU-Verordnungen verstießen und die jetzt ein Namensverbot haben. Insbesondere die "Streichbutter" war den Brüsseler Beamten ein Dorn im Auge (obwohl eine Verwechslungsgefahr mit Butter völlig ausgeschlossen war). Dazu sagt der tschechische Landwirtschaftsminister Bendl
 „Rozsudek posuzujeme a je třeba jej respektovat, nicméně dosud nejsme přesvědčeni o správnosti postupu Evropské komise, která v minulosti zamítla zápis označení "pomazánkové máslo" na seznam výjimek, aniž by provedla řádný komitologický postup, (...)" 
„Das Urteil (…) werden wir respektieren müssen, dennoch sind wir bislang nicht überzeugt von der Richtigkeit des Vorgehens der Europäischen Kommission, die es in der Vergangenheit abgelehnt hat, die Bezeichnung „ Streichbutter“ in das Verzeichnis der Ausnahmen aufzunehmen, ohne ein ordnungsgemäßes komitologisches Verfahren(*) durchzuführen, (...)“ 

Selbst Zeman wollte in der Öffentlichkeit nicht als "EU-Lakai" dastehen und hat Kritik an der EU geäußert (namentlich an der Glühbirnenverordnung).

Es bleibt ein Element, das nicht vernachlässigt werden darf: der tschechische Patriotismus. In dem Moment, da die EU zu stark mit dem tschechischen Patriotismus kollidiert, kann aus dem einen Drittel Opposition ganz schnell eine Mehrheit werden.
Presseschau+Übersetzung der tschechischen Quellen: Baukel

Frank2000,
Baukel.


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