15. September 2012

Die Münsteraner stimmen morgen über ihren Hindenburgplatz ab. Wie sich die politische Korrektheit jetzt der Straßennamen bemächtigen will


Seit 85 Jahren hat Münster seinen Hindenburgplatz. Jeder, der in Münster studiert hat, kennt ihn; denn wenn man vom Hauptgebäude der Universität - dem Schloß - in die Innenstadt möchte, dann überquert man ihn. Entweder geht es dann durch die Überwasserstraße oder durch die Frauenstraße ins Zentrum; man kann auch etwas weiter südlich die Universitätsstraße nehmen.

Nein, so ist es nicht ganz richtig. Nicht mehr. Denn am 21. März dieses Jahres beschloß der Rat der Stadt Münster, den Hindenburgplatz in Schloßplatz umzubenennen. In der Beschlußvorlage für diese Entscheidung heißt es:
Zentraler Punkt der Debatten um die Straßennamen im Allgemeinen und den Hindenburgplatz im Besonderen war die Frage der mit der Benennung verbundenen Ehrung des Namensgebers. Da eine Straßenbenennung immer auch eine Ehrung des Namensgebers bedeutet, sollte jede Generation ihre eigene Ansicht darüber haben und entsprechende Schlussfolgerungen ziehen dürfen, wem diese Ehre gebührt und wem nicht. Hindenburg gehört nach neuen Erkenntnissen nicht dazu. (...)

Es ist wichtig, aus der Geschichte gegen Extremismus in jeder Form zu lernen. Die freiheitliche, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung unseres Landes ist nicht selbstverständlich. Sie muss sich stets neu bewähren. Dabei können politische Vorbilder helfen. Deshalb widmen wir ihnen ein ehrendes öffentliches Gedenken. Hindenburg steht persönlich und unmittelbar im Verhängnis historischer Entscheidungen, die zu unermesslichem Leid und Elend geführt haben. Er kann kein politisches Vorbild sein. Ihm gebührt keine öffentliche Ehrung. Der Hindenburgplatz ist daher umzubenennen.
Zahlreiche Bürger Münsters sehen das anders. Sie organisierten ein Bürgerbegehren, das die nötige Zahl von Unterschriften zusammenbrachte. Morgen findet daraufhin ein Bürgerentscheid darüber statt, ob der Platz in Hindenburgplatz rückbenannt wird. Voraus ging eine heftige Auseinander­setzung zwischen Gegnern und Befürwortern der Umbenennung.



Interessant an dem Vorgang scheint mir die zitierte Begründung für die Entscheidung des Rats zu sein: Mit Straßennamen ehre man den Namensgeber; es fände damit ein "öffentliches Gedenken" statt. Im Fall eines Politikers solle er "Vorbild" sein; nur dann dürfe eine Straße nach ihm benannt werden. Und das solle "jede Generation" in ihrem Sinn neu entscheiden.

Ob diejenigen, die sich diesen Schmus ausgedacht haben, schon einmal, sagen wir, in Paris waren?

Vielleicht standen sie am Étoile, jetzt Place Charles de Gaulle. Ein Vorbild? Ja, vielleicht.

Wenn man dort startet, kann man beispielsweise die Avenue Foch nehmen. Ferdinand Foch war ein Marschall des Ersten Weltkriegs und unversöhnlicher Deutschenhasser, der nach 1918 für eine Zerstückelung Deutschlands eintrat.

Oder man wählt vielleicht die Avenue de la Grande Armée, benannt nach der Armee des großen Vorbilds Napoléon Bonaparte, der ganz Europa mit Kriegen überzog.

Man kann vom Étoile aus auch in die Avenue Mac-Mahon gehen, benannt nach dem Marschall Patrice de Mac Mahon, der sich als Kolonialkrieger auszeichnete, unter anderem in Algerien den Aufstand der Kabylen niederschlug und im Italienfeldzug von 1859 die Schlacht von Magenta gewann. Danach ernannte ihn sein Kaiser Napoléon III zum Herzog von Magenta.

Will man den Étoile in Richtung Nordosten verlassen, dann kann man die Avenue Wagram wählen; benannt nach einer der Schlachten Napoléon Bonapartes, des großen Vorbilds.

Oder man nimmt, etwas mehr nach Osten, die Avenue Hoche. Ihr Namensgeber ist der Revolutionsgeneral Lazare Hoche, der sich bei der blutigen Niederschlagung von Aufständen gegen die Französische Revolution in der Vendée und der Bretagne hervortat.

Fast schon direkt nach Osten führt vom Étoile die Avenue Friedland, wiederum benannt nach einer der Schlachten Bonapartes.

Die genannten Namen der Straßen, die vom Étoile ausgehen, beziehen sich auf die französische Geschichte zwischen der Revolution und dem Ersten Weltkrieg. Aber natürlich findet man auch Bezüge zu anderen Epochen; es gibt zum Beispiel eine Straße, die nach François 1er benannt ist, König Frankreichs von 1515 bis 1547; oder eine Rue Richelieu. Auch dieser Premierminister des Königs Louis XIII ist ja bekanntlich ein Vorbild für die heutige Generation.



Genug der Beispiele, die ja nur eine Trivialität illustrieren sollen: Es ist eben nicht so, daß bei Straßennamen "jede Generation ihre eigene Ansicht darüber haben und entsprechende Schlussfolgerungen ziehen dürfen" sollte, wie es sich der Rat der Stadt Münster in seiner Mehrheit vorstellt. Sondern Straßennamen spiegeln - so ist es weltweit - Geschichte wider. Man läßt sie so; auch wenn die Zeitläufte sich ändern.

Natürlich gibt es Ausnahmen und muß es sie geben. Nazigrößen auf Straßenschildern mußten nach 1945 selbstredend verschwinden. Kommunisten, nach denen in der DDR Straßen benannt wurden, sind freilich oft noch immer deren Namensgeber, wie man in diesem Artikel von Hubertus Knabe aus dem Jahr 2006 nachlesen kann.

Sogar eine Walter-Ulbricht-Straße gebe es noch, schrieb Knabe; und zwar in Chemnitz. Das freilich war ein Irrtum gewesen. Es gab zwar - und gibt sie immer noch - eine Ulbricht-Straße. Diese aber heißt seit 1908 so. Nach welchem Ulbricht sie benannt ist, konnte die Pressestelle der Stadt Chemnitz nicht ermitteln; aber offensichtlich nicht nach Walter Ulbricht.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelbild gemeinfrei gemäß § 5 Abs.1 UrhG. Für eine vergrößerte Ansicht bitte auf die Abbildung klicken. Der Schlußabschnitt wurde korrigiert, nachdem ich auf Anregung von AldiOn, dem ich dafür danke, weiter recherchiert habe.