25. Juli 2012

Marginalie: Assads Chemiewaffen: Wann würde der Westen intervenieren? Die Lage ist anders als in Libyen

Die Politik des Westens zielt auf den Sturz Assads; so, wie sie in Libyen auf den Sturz Gaddafis zielte. Aber der Übergang soll anders stattfinden.

In Libyen war der Westen damit einverstanden gewesen (und hat es militärisch unterstützt), daß die Rebellen die Militärmacht und die Herrschaftsstrukturen Gaddafis zerschlugen; eine Entwicklung in Richtung Demokratie werde sich dann schon ergeben. In Syrien aber sind intensive diplomatische Bemühungen im Gang mit dem Ziel, eine geordnete Machtübergabe zu erreichen; unter Inkaufnahme einer Übergangsregierung, in der Kräfte aus dem jetzigen Regime weiter Macht ausüben würden.

Woher diese unterschiedlichen strategischen Zielsetzungen? Ein wesentliches Motiv ist die Existenz von Chemiewaffen in Syrien.

Daran, daß das syrische Militär über Chemiewaffen verfügt, ist kaum zu zweifeln. Das Regime räumte das vorgestern erstmals selbst ein, als der Sprecher des Außenministeriums, Dschihad al-Makdissi, erklärte, man werde diese Waffen nur gegen einen Angriff von außen einsetzen, nicht aber gegen den Aufstand im Inneren.

Die Aussage des syrischen Sprechers ist glaubhaft; denn eine Verwendung dieser Waffen gegen Aufständische oder gar gegen Zivilisten würde eine internationale Intervention nachgerade erzwingen und wäre damit das Ende des Assad-Regimes. Das Problem liegt, wie Stratfor gestern analysierte, deshalb nicht in der Gefahr eines Einsatzes dieser Waffen durch das Regime. Sie liegt darin, daß sie nach dessen Ende in die Hände von Terroristen fallen könnten.

Es handelt sich vermutlich um die Kampfgase VX, Sarin, Tabun und Senfgas. Syrien soll über die Fähigkeit verfügen, mehrere hunder Tonnen davon pro Jahr herzustellen. Die Hauptorte für ihre Produktion und Lagerung liegen nahe Homs, Hama, Aleppo, Latakia, Palmyra sowie im Osten von Damaskus.

In Syrien operieren als Teil des Aufstands zahlreiche extremistische bewaffnete Gruppen, insbesondere die Hisbollah und Dschihadisten wie Jabha al-Nusra und Liwa al-Islam. Der Gedanke, daß sie sich nach einem Sturz des Regimes in den Besitz dieser Waffen bringen könnten, ist mehr als beunruhigend.

Was kann getan werden? Es gibt im wesentlichen zwei Möglichkeiten. Die eine ist eine militärische Intervention. Die andere besteht darin, daß eine Übergangslösung verhandelt wird, die es ermöglicht, daß diese Waffen von Assads Regime geordnet und unter Wahrung der Sicherheit an ein Nachfolge-Regime übergeben werden.

Dieses Letztere ist die vom Westen angestrebte Lösung. Sie könnte es Funktionären des Regimes ermöglichen, den Übergang zu überstehen und könnte sogar für Assad attraktiv sein, dem es darum gehen dürfte, nicht vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt zu werden (siehe Marginalie: Endspiel in Syrien. Der bevorstehende Fall Assads. Die starke Position Putins; ZR vom 20. 7. 2012).

Da es aber fraglich ist, ob alle zu beteiligenden Seiten bei einer solchen Lösung mitspielen, laufen inzwischen die Planungen für eine militärische Intervention. Vorbereitet werden zwei Varianten:
  • Ausschließlich Luftschläge gegen die Lager und Produktionsstätten. Sie würden mit einer Ausschaltung der syrischen Luftverteidigung beginnen, die im Westen des Landes konzentriert ist, wo - mit Ausnahme von Palmyra - auch die Produktions- und Lagerstätten liegen. Danach kämen Bomber und Marschflug­körper zum Einsatz. Diese Option hat allerdings zwei Nachteile: Erstens könnten durch die Angriffe Gifte freigesetzt werden. Zweitens gibt es keine Sicherheit, daß alle Lager vollständig zerstört werden. Gerade aus teilweise zerstörten Lagern könnten sich Extremistengruppen Chemiewaffen besorgen.

  • Bodenoperationen zusätzlich zu Luftangriffen. Es kämen vor allem Spezialtruppen zum Einsatz, nachdem ein syrischer Flughafen erobert wurde, von dem aus sie operieren können. Die Gefahr dieser Option liegt vor allem darin, daß sie zu einer unkalkulierbaren militärischer Verstrickung der beteiligten Mächte im Nahen Osten führen könnte. Das US-Militär rechnet nach den Informationen von Stratfor damit, daß ungefähr 75.000 Mann benötigt werden würden, um das gesamte syrische Netzwerk chemischer Waffen zu sichern. Wie bekommt man sie wieder aus Syrien heraus, wenn dort ein möglicherweise lang anhaltender Bürgerkrieg stattfindet?
  • Wegen dieser Unsicherheiten und Risiken wird an eine militärische Intervention nur als letzten Ausweg gedacht. Will man aber den anderen Weg gehen, dann ist der Westen auf die Kooperation Assads angewiesen - und nicht zuletzt auf diejenige Putins.­
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