Als ich im ersten Teil aus dem Artikel von Toralf Staud im Wissenschaftsteil der "Zeit" zitiert habe, kannte ich noch nicht den Kommentar, den der Autor inzwischen seinem Artikel hinterhergeschickt hat; diesmal nicht in der gedruckten "Zeit", sondern nur in "Zeit-Online". Titel: "Fritz Vahrenholt - Vorhang auf für den Sarrazin der Klimadebatte".
Dieser Kommentar klingt nun allerdings anders als der Artikel für das Wissenschaftsressort; nämlich zum Beispiel so:
Ich hatte das erwähnt, um den Mangel an naturwissenschaftlichem Denken in Stauds "Widerlegung" zu erklären; dazu gleich mehr. Der Kommentar in "Zeit-Online" zeigt nun allerdings auch, daß Staud die typischen Probleme von Journalisten mit einem solchen linken Engagement hat: Er neigt zu selbstgefälliger Arroganz; er vermag mit Andersdenkenden nicht sachlich umzugehen.
Darauf einzugehen hat keinen Sinn. Gegen Agitation kann man nicht mit Argumenten diskutieren. Mit dem Artikel Stauds in der gedruckten "Zeit", den ich schon im ersten Teil erwähnt habe, möchte ich mich aber nun befassen.
Stauds "Widerlegung" krankt vor allem daran, daß er als Nicht-Naturwissenschaftler nicht zwischen der Datenebene und der Ebene der theoretischen Formulierungen unterscheidet.
Ich habe diesen Unterschied deshalb im ersten Teil ausführlich dargelegt und bin insbesondere auf die in der Wissenschaftsgeschichte häufig anzutreffenden Situation eingegangen, in der sich gegenwärtig die Theorie der menschengemachten globalen Erwärmung (anthropogenic climate change; ACC) befindet: Es häufen sich Daten, die von der Theorie nicht vorhergesagt worden waren. Diese hat einen - von Zufallsschwankungen abgesehen - monotonen Anstieg der jährlichen Temperaturen vorhergesagt; aber seit 1997 steigen sie nicht mehr.
Das bedeutet noch nicht, daß ACC "widerlegt" wäre. Aber mit jedem Jahr, in dem die Temperatur nicht ansteigt, wächst die Wahrscheinlichkeit, daß diese Theorie nicht stimmt.
Lassen Sie mich das mit einer Analogie illustrieren:
Ein Fonds hat ein bestimmtes Anlagemodell (entsprechend ACC), das über einige Jahrzehnte hohe Kursgewinne lieferte (jährlich ansteigende Temperaturen in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts). Käufer erwerben Anteile an diesem Fonds, weil ihnen ein weiteres monotones Wachstum versprochen wird (die Vorhersage einer weiteren globalen Erwärmung).
Nun stellt sich aber heraus, daß über mehr als ein Jahrzehnt der Wert des Fonds nicht mehr wächst (das Plateau bei den globalen Temperaturen). Die Fondsmanager werden sagen: "Das ist eine vorübergehende Pause, verursacht durch unglückliche Faktoren. Unser Anlagemodell ist aber dennoch gut; der Wert des Fonds wird bald wieder kräftig steigen". Aber mit jedem Jahr, in dem das nicht eintritt, wird man ihnen weniger glauben. Es wird immer unwahrscheinlicher, daß sie eine gute Anlagestrategie haben. Vielleicht war umgekehrt ihr anfänglicher Erfolg nur zufälligen Einflüssen geschuldet; so wird man zunehmend vermuten.
Analog können in der Klimadiskussion Vertreter von ACC argumentieren, daß ihr Modell nach wie vor stimme - nur hätten eben seit 1997 entgegenwirkende Faktoren den Anstieg, wie man sagt, "maskiert" (masked).
Ähnlich war es mit dem geozentrischen Weltbild: Die Beobachtungen waren nicht mit der Annahme von Kreisbahnen der Planeten um die Erde vereinbar. Wenn man aber annahm, daß sie auf ihrer Kreisbahn noch einmal kleine kreisende Bewegungen (Epizykel) ausführen, dann paßte es wieder. Man kann Theorien retten, indem man sie durch Zusatzannahmen "ausschöpft".
In einer solchen Lage ist jetzt die Klimatologie, seit die globalen Temperaturen nicht mehr steigen.
Es muß nicht so sein, daß es auch hier zu einem Paradigmenwechsel kommt; aber er wird wahrscheinlicher, je länger ein Anstieg der globalen Temperatur ausbleibt. So, wie umgekehrt dann, wenn im kommenden Jahrzehnt die Temperaturen wieder linear steigen sollten, sich ACC als sehr wahrscheinlich doch richtig erwiesen hätte. In der Analogie: Am Ende wäre die Fonds-Strategie doch richtig gewesen; trotz eines Jahrzehnts der Flaute.
Sehen wir uns nun die "Widerlegung" an. Staud schreibt:
Es stimmt, daß "Klima" das Wetter über einen längeren Zeitabschnitt ist. (30 Jahre sind natürlich eine weitgehend willkürliche Definition; man könnte ebenso 20 oder 40 Jahre wählen). Aber das ändert ja nichts an der Aussagekraft der jetzigen Daten: Wenn es, wie von ACC unterstellt, einen Trend zu einem linearen Anstieg der Temperaturen gibt, dann ist es unwahrscheinlich (wenn auch nicht ausgeschlossen!), daß die Temperaturen dennoch mehr als ein Jahrzehnt lang konstant bleiben. Lassen Sie mich das ein wenig genauer erläutern.
Warum kann es überhaupt zu einem Plateau ("Hiatus") kommen, obwohl die Temperatur "eigentlich" steigen müßte? Das kann im Prinzip zwei Ursachen haben: Erstens Zufallsschwankungen, so wie sie auch das jährliche Wetter bestimmen. Zweitens könnte es sein, daß bestimmte Faktoren, die als wetterbestimmend bekannt sind, dem ACC entgegenwirken.
Die erste Möglichkeit kann man sich an diesem Beispiel klarmachen:
Stellen wir uns ein (vermutlich nicht besonders spannendes) Würfel-Brettspiel vor, bei dem jeder Spieler pro Runde zunächst zwei Felder vorrücken darf. Anschließend würfelt er. Würfelt er eine Sechs, dann darf er zwei weitere Felder vorrücken. Würfelt er eine Eins, dann muß er wieder zwei Felder zurück, also auf seine vorige Position ziehen; er ist in dieser Runde nicht vorangekommen. Bei allen anderen Augenzahlen bleibt es unverändert bei dem Vorrücken um zwei Felder.
Der wahrscheinlichste Fall ist, daß der Spieler im Schnitt gleichmäßig um zwei Felder pro Runde vorrückt, mit kleinen Ausschlägen nach oben und unten; denn die Wahrscheinlichkeit für eine Eins und eine Sechs ist gleich groß. Aber das ist eben nur der wahrscheinlichste Fall; andere sind möglich. Würfelt der Spieler nur Sechsen, dann eilt er mit vier Feldern pro Runde den anderen davon. Würfelt er nur Einsen, dann kommt er nicht vom Fleck.
Er bleibt dann auf einem Plateau - so wie die globale Temperatur seit 1997. Und das trotz der Regel, daß zunächst jeder Spieler Runde für Runde zwei Plätze vorrückt. Die Temperatur kann konstant bleiben, obwohl die vom ACC angenommenen Faktoren eine ständige Erwärmung hervorbringen sollten.
Das Plateau könnte es also geben, obwohl ACC stimmt. Nur: Dieser Fall ist unwahrscheinlich; so, wie es unwahrscheinlich ist, daß ein Spieler Runde für Runde immer wieder eine Eins würfelt.
Irgendwann wird er mißtrauisch werden, der Unglücksrabe, und sich fragen, ob der Würfel denn auch in Ordnung ist. Irgendwann wird man, wenn die globale Temperatur weiter auf ihrem Plateau verharrt, an ACC zweifeln.
Die zweite Möglichkeit, innerhalb von ACC das Plateau zu erklären, besteht darin, entgegenwirkende Ursachen ins Feld zu führen. In unserer Analogie könnte es zum Beispiel so sein, daß immer dann, wenn der Spieler nicht hinschaut, ein tricksender Mitspieler seine Figur heimlich zurückschiebt. Als solche entgegenwirkenden Faktoren werden genannt: Die Wettererscheinung El Niño im südlichen Pazifik, die Sonnenflecken-Aktivität und Vulkanismus.
Die Wirkung jedes dieser Faktoren - und die anderer wie zum Beispiel der Änderung von Meeresströmungen - kann allenfalls im Nachhinein geschätzt werden; wäre sie bekannt, dann hätte man sie ja von vornherein in die Modelle einarbeiten können. Bei einer solchen Schätzung ist man in der Gewichtung der Parameter weitgehend frei (in der Analogie: Niemand weiß, wie oft jemand heimlich die Spielfiguren verschoben hat; man kann dazu beliebige Annahmen machen).
Man kann die Schätzungen, wenn man geschickt ist, so vornehmen, daß diese entgegenwirkenden Faktoren das Plateau hinwegzaubern und wieder eine schön linear ansteigende Temperatur zu sehen ist. Sie können das zum Beispiel hier bewundern. Die annähernd linear ansteigenden Kurven, die Sie dort sehen, zeigen - obwohl sie so aussehen - keine Meßergebnisse, sondern sind Resultate einer derartigen Manipulation.
Man muß sich klarmachen, daß diese beiden Möglichkeiten, das Plateau mit ACC in Einklang zu bringen, sich gegenseitig ausschließen. Entweder basiert die Abweichung auf Zufall, also "Rauschen"; oder sie ist bestimmten identifizierbaren Faktoren zuzurechnen, in Bezug auf die man die Daten korrigieren muß, um den "eigentlichen" Temperaturverlauf zu ermitteln.
Unter der Hypothese "Rauschen" kann man bestimmte statistische Überlegungen dazu anstellen, wie groß jeweils die Wahrscheinlichkeit ist, daß eine bestimmte Abweichung auftritt. Das haben zum Beispiel an einem kalifornischen Institut Benjamin Santer und Mitautoren gemacht. Staud verweist auf eine einschlägige Pressemitteilung und kommentiert das so:
Beide Möglichkeiten, die Daten mit ACC vereinbar zu machen - die Annahme von "Rauschen" und die Annahme von entgegenwirkende Faktoren - beinhalten also weitere Annahmen und beliebige Festlegungen. Sie zeigen, daß man mit Hilfe dieser Annahmen und Festlegungen die ACC-Theorie beibehalten kann. Sie liefern natürlich überhaupt keine Belege dafür, daß sie stimmt.
Staud weiter:
Staud schließlich:
Es ist bedauerlich, daß die "Zeit" nicht einen Naturwissenschaftler als Autor gewonnen hat, der sich mit dem Buch von Vahrenholt und Lüning auf eine angemessene Weise auseinandersetzt.
Es geht eben nicht um ein "Widerlegen". Weder "widerlegt" eine Periode des Nicht-Anstiegs ACC, noch lassen sich Zweifel an ACC durch den Hinweis darauf "widerlegen", daß ACC aber diese Daten integrieren kann. Der simple Sachverhalt ist der, daß die Temperaturen seit 1997 nicht so verlaufen sind, wie dies die Anhänger von ACC erwartet hatten; daß aber auch der Verlauf, so wie er eingetreten ist, noch mit dieser Theorie vereinbar ist, wenn man Zusatzannahmen macht.
Ob ACC sich am Ende behauptet; oder ob sich herausstellt, daß diese Theorie den Einfluß der steigenden CO2-Konzentration auf das Weltklima überschätzt hat und daß die "klassischen" Faktoren wie die Sonnenflecken-Aktivität eine größere Rolle spielen, das kann beim gegenwärtigen Kenntnisstand niemand sagen.
Auch nicht der Nicht-Naturwissenschaftler Toralf Staud, der - das durchzieht den ganzen Artikel - eine wissenschaftliche Auseinandersetzung so darstellt, als ginge es darum, Ketzerei gegen eine offenbarte Wahrheit abzuwehren. Der eine wissenschaftliche Frage in eine Glaubensfrage verwandeln möchte; mit der Bereitschaft, alle Diejenigen mit Invektiven wie "Humbug" herabzuwürdigen, die nicht seinen, Toralf Stauds, Glauben teilen.
Dieser Kommentar klingt nun allerdings anders als der Artikel für das Wissenschaftsressort; nämlich zum Beispiel so:
Keinem Impfgegner würde so viel Raum eingeräumt wie Vahrenholt – dabei sind seine Thesen ähnlich krude. Bestritte da beispielsweise ein Tabaklobbyist den Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs, würden selbst Politik- und Wirtschaftsredakteure gähnen.Ich habe im ersten Teil darauf aufmerksam gemacht, daß Staud in dem Artikel in der gedruckten "Zeit" nicht so sachlich argumentiert, wie man das aus deren Wissenschaftsteil kennt; und ich habe mich verwundert gezeigt, daß das Ressort Wissenschaft das Thema nicht einem Fachjournalisten gegeben hat, sondern eben Staud. Einem Autor also, der neben Journalistik im Nebenfach lediglich Philosophie studiert hat, und der durch Mitarbeit beim "Neuen Deutschland" und durch seine Tätigkeit für "Greenpeace" als ein, sagen wir, linksökologisch engagierter Journalist ausgewiesen ist.
Beim Klimawandel aber lassen sie einen Spitzenmanager des zweitgrößten CO2-Verursachers in Europa wissenschaftlichen Humbug zur Klimawirksamkeit von Kohlendioxid verbreiten. Sie glauben wohl, dass sich so etwas gut verkauft.
Ich hatte das erwähnt, um den Mangel an naturwissenschaftlichem Denken in Stauds "Widerlegung" zu erklären; dazu gleich mehr. Der Kommentar in "Zeit-Online" zeigt nun allerdings auch, daß Staud die typischen Probleme von Journalisten mit einem solchen linken Engagement hat: Er neigt zu selbstgefälliger Arroganz; er vermag mit Andersdenkenden nicht sachlich umzugehen.
Darauf einzugehen hat keinen Sinn. Gegen Agitation kann man nicht mit Argumenten diskutieren. Mit dem Artikel Stauds in der gedruckten "Zeit", den ich schon im ersten Teil erwähnt habe, möchte ich mich aber nun befassen.
Stauds "Widerlegung" krankt vor allem daran, daß er als Nicht-Naturwissenschaftler nicht zwischen der Datenebene und der Ebene der theoretischen Formulierungen unterscheidet.
Ich habe diesen Unterschied deshalb im ersten Teil ausführlich dargelegt und bin insbesondere auf die in der Wissenschaftsgeschichte häufig anzutreffenden Situation eingegangen, in der sich gegenwärtig die Theorie der menschengemachten globalen Erwärmung (anthropogenic climate change; ACC) befindet: Es häufen sich Daten, die von der Theorie nicht vorhergesagt worden waren. Diese hat einen - von Zufallsschwankungen abgesehen - monotonen Anstieg der jährlichen Temperaturen vorhergesagt; aber seit 1997 steigen sie nicht mehr.
Das bedeutet noch nicht, daß ACC "widerlegt" wäre. Aber mit jedem Jahr, in dem die Temperatur nicht ansteigt, wächst die Wahrscheinlichkeit, daß diese Theorie nicht stimmt.
Lassen Sie mich das mit einer Analogie illustrieren:
Ein Fonds hat ein bestimmtes Anlagemodell (entsprechend ACC), das über einige Jahrzehnte hohe Kursgewinne lieferte (jährlich ansteigende Temperaturen in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts). Käufer erwerben Anteile an diesem Fonds, weil ihnen ein weiteres monotones Wachstum versprochen wird (die Vorhersage einer weiteren globalen Erwärmung).
Nun stellt sich aber heraus, daß über mehr als ein Jahrzehnt der Wert des Fonds nicht mehr wächst (das Plateau bei den globalen Temperaturen). Die Fondsmanager werden sagen: "Das ist eine vorübergehende Pause, verursacht durch unglückliche Faktoren. Unser Anlagemodell ist aber dennoch gut; der Wert des Fonds wird bald wieder kräftig steigen". Aber mit jedem Jahr, in dem das nicht eintritt, wird man ihnen weniger glauben. Es wird immer unwahrscheinlicher, daß sie eine gute Anlagestrategie haben. Vielleicht war umgekehrt ihr anfänglicher Erfolg nur zufälligen Einflüssen geschuldet; so wird man zunehmend vermuten.
Analog können in der Klimadiskussion Vertreter von ACC argumentieren, daß ihr Modell nach wie vor stimme - nur hätten eben seit 1997 entgegenwirkende Faktoren den Anstieg, wie man sagt, "maskiert" (masked).
Ähnlich war es mit dem geozentrischen Weltbild: Die Beobachtungen waren nicht mit der Annahme von Kreisbahnen der Planeten um die Erde vereinbar. Wenn man aber annahm, daß sie auf ihrer Kreisbahn noch einmal kleine kreisende Bewegungen (Epizykel) ausführen, dann paßte es wieder. Man kann Theorien retten, indem man sie durch Zusatzannahmen "ausschöpft".
In einer solchen Lage ist jetzt die Klimatologie, seit die globalen Temperaturen nicht mehr steigen.
Es muß nicht so sein, daß es auch hier zu einem Paradigmenwechsel kommt; aber er wird wahrscheinlicher, je länger ein Anstieg der globalen Temperatur ausbleibt. So, wie umgekehrt dann, wenn im kommenden Jahrzehnt die Temperaturen wieder linear steigen sollten, sich ACC als sehr wahrscheinlich doch richtig erwiesen hätte. In der Analogie: Am Ende wäre die Fonds-Strategie doch richtig gewesen; trotz eines Jahrzehnts der Flaute.
Sehen wir uns nun die "Widerlegung" an. Staud schreibt:
These: "Seit 1998 erwärmt sich die Erde nicht mehr, der Klimawandel hat gestoppt."Der Nicht-Naturwissenschaftler Staud versteht nicht den Unterschied zwischen Daten und theoretischen Aussagen. Vahrenholt und Lüning konstatieren die Daten. Was sie schreiben, ist schlicht so. Staud glaubt, sie würden damit eine theoretische Aussage machen, was sie aber gar nicht tun. Sie ziehen gar keinen Schluß, also auch keinen Fehlschluß; sie stellen einen Sachverhalt fest.
Ein Fehlschluss. Hier werden kurzfristige Temperaturschwankungen mit langfristigen Klimatrends vermischt. Forscher verstehen unter "Klima" nicht den 10- oder 14-jährigen Temperaturdurchschnitt des Wetters, sondern den 30-jährigen Mittelwert. So hat es die Klimaforschung definiert – was Vahrenholt schlicht ignoriert.
Es stimmt, daß "Klima" das Wetter über einen längeren Zeitabschnitt ist. (30 Jahre sind natürlich eine weitgehend willkürliche Definition; man könnte ebenso 20 oder 40 Jahre wählen). Aber das ändert ja nichts an der Aussagekraft der jetzigen Daten: Wenn es, wie von ACC unterstellt, einen Trend zu einem linearen Anstieg der Temperaturen gibt, dann ist es unwahrscheinlich (wenn auch nicht ausgeschlossen!), daß die Temperaturen dennoch mehr als ein Jahrzehnt lang konstant bleiben. Lassen Sie mich das ein wenig genauer erläutern.
Warum kann es überhaupt zu einem Plateau ("Hiatus") kommen, obwohl die Temperatur "eigentlich" steigen müßte? Das kann im Prinzip zwei Ursachen haben: Erstens Zufallsschwankungen, so wie sie auch das jährliche Wetter bestimmen. Zweitens könnte es sein, daß bestimmte Faktoren, die als wetterbestimmend bekannt sind, dem ACC entgegenwirken.
Die erste Möglichkeit kann man sich an diesem Beispiel klarmachen:
Stellen wir uns ein (vermutlich nicht besonders spannendes) Würfel-Brettspiel vor, bei dem jeder Spieler pro Runde zunächst zwei Felder vorrücken darf. Anschließend würfelt er. Würfelt er eine Sechs, dann darf er zwei weitere Felder vorrücken. Würfelt er eine Eins, dann muß er wieder zwei Felder zurück, also auf seine vorige Position ziehen; er ist in dieser Runde nicht vorangekommen. Bei allen anderen Augenzahlen bleibt es unverändert bei dem Vorrücken um zwei Felder.
Der wahrscheinlichste Fall ist, daß der Spieler im Schnitt gleichmäßig um zwei Felder pro Runde vorrückt, mit kleinen Ausschlägen nach oben und unten; denn die Wahrscheinlichkeit für eine Eins und eine Sechs ist gleich groß. Aber das ist eben nur der wahrscheinlichste Fall; andere sind möglich. Würfelt der Spieler nur Sechsen, dann eilt er mit vier Feldern pro Runde den anderen davon. Würfelt er nur Einsen, dann kommt er nicht vom Fleck.
Er bleibt dann auf einem Plateau - so wie die globale Temperatur seit 1997. Und das trotz der Regel, daß zunächst jeder Spieler Runde für Runde zwei Plätze vorrückt. Die Temperatur kann konstant bleiben, obwohl die vom ACC angenommenen Faktoren eine ständige Erwärmung hervorbringen sollten.
Das Plateau könnte es also geben, obwohl ACC stimmt. Nur: Dieser Fall ist unwahrscheinlich; so, wie es unwahrscheinlich ist, daß ein Spieler Runde für Runde immer wieder eine Eins würfelt.
Irgendwann wird er mißtrauisch werden, der Unglücksrabe, und sich fragen, ob der Würfel denn auch in Ordnung ist. Irgendwann wird man, wenn die globale Temperatur weiter auf ihrem Plateau verharrt, an ACC zweifeln.
Die zweite Möglichkeit, innerhalb von ACC das Plateau zu erklären, besteht darin, entgegenwirkende Ursachen ins Feld zu führen. In unserer Analogie könnte es zum Beispiel so sein, daß immer dann, wenn der Spieler nicht hinschaut, ein tricksender Mitspieler seine Figur heimlich zurückschiebt. Als solche entgegenwirkenden Faktoren werden genannt: Die Wettererscheinung El Niño im südlichen Pazifik, die Sonnenflecken-Aktivität und Vulkanismus.
Die Wirkung jedes dieser Faktoren - und die anderer wie zum Beispiel der Änderung von Meeresströmungen - kann allenfalls im Nachhinein geschätzt werden; wäre sie bekannt, dann hätte man sie ja von vornherein in die Modelle einarbeiten können. Bei einer solchen Schätzung ist man in der Gewichtung der Parameter weitgehend frei (in der Analogie: Niemand weiß, wie oft jemand heimlich die Spielfiguren verschoben hat; man kann dazu beliebige Annahmen machen).
Man kann die Schätzungen, wenn man geschickt ist, so vornehmen, daß diese entgegenwirkenden Faktoren das Plateau hinwegzaubern und wieder eine schön linear ansteigende Temperatur zu sehen ist. Sie können das zum Beispiel hier bewundern. Die annähernd linear ansteigenden Kurven, die Sie dort sehen, zeigen - obwohl sie so aussehen - keine Meßergebnisse, sondern sind Resultate einer derartigen Manipulation.
Man muß sich klarmachen, daß diese beiden Möglichkeiten, das Plateau mit ACC in Einklang zu bringen, sich gegenseitig ausschließen. Entweder basiert die Abweichung auf Zufall, also "Rauschen"; oder sie ist bestimmten identifizierbaren Faktoren zuzurechnen, in Bezug auf die man die Daten korrigieren muß, um den "eigentlichen" Temperaturverlauf zu ermitteln.
Unter der Hypothese "Rauschen" kann man bestimmte statistische Überlegungen dazu anstellen, wie groß jeweils die Wahrscheinlichkeit ist, daß eine bestimmte Abweichung auftritt. Das haben zum Beispiel an einem kalifornischen Institut Benjamin Santer und Mitautoren gemacht. Staud verweist auf eine einschlägige Pressemitteilung und kommentiert das so:
Ein Team um den kalifornischen Klimaforscher Benjamin Santer errechnete kürzlich, dass man eine mindestens 17-jährige Temperaturreihe brauche, um die An- oder Abwesenheit der menschengemachten Erwärmung in den natürlichen Klimaschwankungen erkennen zu können.Wenn Sie dem gefolgt sind, was ich erläutert habe, dann wissen Sie, wie fragwürdig eine solche Behauptung ist. Jede Abweichung von der Vorhersage ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verbunden; und je nachdem, welche Wahrscheinlichkeit man als Grenze ("Signifikanzgrenze") dafür festlegt, eine Abweichung als bedeutsam anzusehen, kann man zu dieser oder jener Zahl von Jahren kommen. Eine magische Zahl 17 gibt es nicht.
Beide Möglichkeiten, die Daten mit ACC vereinbar zu machen - die Annahme von "Rauschen" und die Annahme von entgegenwirkende Faktoren - beinhalten also weitere Annahmen und beliebige Festlegungen. Sie zeigen, daß man mit Hilfe dieser Annahmen und Festlegungen die ACC-Theorie beibehalten kann. Sie liefern natürlich überhaupt keine Belege dafür, daß sie stimmt.
Staud weiter:
Ein Auf und Ab der Temperaturen von Jahr zu Jahr ist normal. Und genauso normal ist es, dass es während einer fortlaufenden Klimaerwärmung Zeiträume gibt, in denen die Temperatur an der Erdoberfläche nicht weiter steigt – oder gar sinkt. In solchen Perioden, das belegte eine Studie im Fachmagazin Nature vergangenen Herbst, saugen die Ozeane quasi Wärme auf.Wieder kann Staud nicht zwischen Daten und Theorien unterscheiden. Dieses "Aufsaugen" ist noch nie beobachtet worden. Der Fachaufsatz, auf den sich Staud beruft (Meehl et. al., 2011), analysiert vielmehr ausschließlich Klimamodelle und zeigt, daß sie eine Periode nicht steigender Temperaturen mit Temperaturänderungen in den Meeresschichten unter- und oberhalb von 300 Meter erklären könnten. Das ist exakt der Fall, den ich am Beispiel der Epizykel-Theorie erläutert habe: Daten, die einer Theorie zunächst widersprechen, können mit Hilfe von Zusatzannahmen in diese integriert werden.
Staud schließlich:
Obwohl 2005 und 2010 laut Nasa-Messungen schon wieder neue Rekordjahre waren, ist die Kurzzeitentwicklung von 1998 bis heute tatsächlich relativ stabil. Der Langfrist-Trend zeigt dennoch weiter nach oben.Das ist so trivial wie die Aussage der Fondsmanager in dem Beispiel: "Obwohl seit einem Jahrzehnt unser Fonds nicht mehr an Wert gewonnen hat, zeigt der Langfrist-Trend dennoch nach oben". Ja gewiß - der Fonds ist immer noch mehr wert als damals, als er aufgelegt wurde. Aber der Anleger interessiert sich ja nicht für den vergangenen Anstieg, sondern dafür, ob dieser extrapoliert, also in die Zukunft verlängert werden kann.
Es ist bedauerlich, daß die "Zeit" nicht einen Naturwissenschaftler als Autor gewonnen hat, der sich mit dem Buch von Vahrenholt und Lüning auf eine angemessene Weise auseinandersetzt.
Es geht eben nicht um ein "Widerlegen". Weder "widerlegt" eine Periode des Nicht-Anstiegs ACC, noch lassen sich Zweifel an ACC durch den Hinweis darauf "widerlegen", daß ACC aber diese Daten integrieren kann. Der simple Sachverhalt ist der, daß die Temperaturen seit 1997 nicht so verlaufen sind, wie dies die Anhänger von ACC erwartet hatten; daß aber auch der Verlauf, so wie er eingetreten ist, noch mit dieser Theorie vereinbar ist, wenn man Zusatzannahmen macht.
Ob ACC sich am Ende behauptet; oder ob sich herausstellt, daß diese Theorie den Einfluß der steigenden CO2-Konzentration auf das Weltklima überschätzt hat und daß die "klassischen" Faktoren wie die Sonnenflecken-Aktivität eine größere Rolle spielen, das kann beim gegenwärtigen Kenntnisstand niemand sagen.
Auch nicht der Nicht-Naturwissenschaftler Toralf Staud, der - das durchzieht den ganzen Artikel - eine wissenschaftliche Auseinandersetzung so darstellt, als ginge es darum, Ketzerei gegen eine offenbarte Wahrheit abzuwehren. Der eine wissenschaftliche Frage in eine Glaubensfrage verwandeln möchte; mit der Bereitschaft, alle Diejenigen mit Invektiven wie "Humbug" herabzuwürdigen, die nicht seinen, Toralf Stauds, Glauben teilen.
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Drei Bilder, die sich durch das Schütteln eines Kaleidoskops ergeben. Fotografiert und in die Public Domain gestellt von rnbc.