10. Dezember 2011

Zitat des Tages: Die gute alte DDR. Wie freundlich sich die Brandenburger an die SED-Diktatur erinnern. Und zugleich gute Demokraten sind

15 Prozent der Brandenburger fällt 2011 zur "DDR" ein, dass alle Arbeit hatten. 13 Prozent nennen die soziale Absicherung bzw. Sicherheit der DDR und 12 Prozent den besseren Zusammenhalt der Menschen zur Zeit der DDR.

An die Kinderfreundlichkeit und bessere Kinderbetreuung denken 10 Prozent der Befragten in Verbindung mit der DDR. Ebenso viele denken an die Mauer – 17 Prozent der 14- bis 34- Jährigen, aber nur 4 Prozent der über 60-Jährigen. An das aus ihrer Sicht bessere Bildungssystem denken 8 Prozent der Befragten. (...)

Bei den heute über 45 Jahre alten Bürgern des Landes überwiegen die positiven Assoziationen, während nur von relativ wenigen in dieser Altersgruppe negative Aspekte des Lebens in der DDR genannt werden.
Aus dem Bericht "Das DDR-Bild der Bevölkerung des Landes Brandenburg", den das Institut Forsa im Auftrag der Enquete-Kommission 5/1 des Landtags Brandenburg "Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg" erstellt hat.

Kommentar: Diesen Bericht hat Forsa-Chef Manfred Güllner gestern den Mitgliedern der Enquete-Kommission vorgestellt.

Das Zitat finden Sie auf Seite 10 des Berichts. Auf Seite 11 sind alle Ergebnisse zu dieser Frage tabellarisch aufgelistet. Man sieht dort, daß die positiven Assoziationen zur DDR in allen Altersgruppen die negativen bei weitem überwiegen.

Bei den 14- 34jährigen betrug die Summe der positiven Assoziationen 50, die der negativen Assoziationen 35. Bei den 35- 44jährigen war das Verhältnis 54 zu 37, bei den 45- 59jährigen 87 zu 29. Bei denjenigen Befragten schließlich, die 60 Jahre oder älter waren, betrug es bemerkenswerte 96 zu 27. (Die Zahlen addieren sich nicht zu 100, weil Mehrfachnennungen möglich waren).



Dieses ganz überwiegend positive Bild der DDR steht in einem seltsamen Kontrast zu dem, was die Befragten zum politischen System der Bundesrepublik meinten. Zitat von Seite 24 des Berichts:
- Fast alle Brandenburger (96 %) sind der Meinung, dass jeder das Recht hat, für seine Meinung einzutreten, auch wenn die Mehrheit anderer Meinung ist.

- Dass jeder Bürger das Recht hat, für seine Meinung auf die Straße zu gehen, finden 92 Prozent.

- 84 Prozent sagen, dass eine lebensfähige Demokratie ohne Opposition nicht denkbar ist.

- 59 Prozent sehen es nicht als Aufgabe der politischen Opposition, die Regierung zu kritisieren, sondern sie in ihrer Arbeit zu unterstützen.

- Dass jede zur Wahl zugelassene Partei grundsätzlich die Chance haben sollte, an die Regierung zu kommen, finden 54 Prozent der Brandenburger.

- Dass Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Interessengruppen in der Gesellschaft und ihre Forderungen dem Allgemeinwohl schaden, glauben 37 Prozent.

- Dass es in jeder demokratischen Gesellschaft bestimmte Konflikte gibt, die mit Gewalt ausgetragen werden müssen, meinen 8 Prozent der Brandenburger.
Diese seltsame Widersprüchlichkeit - jeweils eine große Mehrheit der Befragten schätzt die Demokratie, beurteilt aber zugleich die Diktatur im Rückblick mindestens ebenso positiv - durchzieht die gesamte Umfrage.

Es lohnt sich, die Ergebnisse dazu im einzelnen in Augenschein zu nehmen. Beispielsweise sehen nur 38 Prozent der Befragten die DDR als einen Unrechtsstaat; 57 Prozent halten sie für keinen Unrechtsstaat (Seite 78). Andererseits lehnen 67 Prozent die Beschäftigung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter im öffentlichen Dienst ab (Seite 67); sogar 73 Prozent sind dagegen, daß diese öffentliche Ämter ausüben.

Ja, wenn diese Leute einem Rechtsstaat gedient haben - warum sollten sie denn dann von Tätigkeiten und Ämtern ferngehalten werden?



Auf eine Interpretation der Daten verzichtet das Institut Forsa; diese war auch nicht seine Aufgabe.

Mir fällt es angesichts der widersprüchlichen Meinungen schwer, mir ein Bild von der Einstellung der Mehrheit der Brandenburger zu Diktatur und Demokratie zu machen.

Ist es schlicht nur der Gute-alte-Zeit-Effekt? Geraten die Unterdrückung, die Armut, die Unfreiheit, die Gängelei in der DDR schlicht in Vergessenheit; während die Erinnerungen an Kinderkrippen und den niedrigen Brotpreis sich im kollektiven Gedächtnis immer mehr breitmachen?

Vielleicht. Vielleicht gibt es auch andere Erklärungen. Jedenfalls scheint mir dieses Befundmuster eine Herausforderung an die politische Psychologie zu sein.
Zettel



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