18. Dezember 2011

Marginalie: Die Ukraine gerät immer mehr unter russischen Einfluß. Die Gasversorgung als außenpolitisches Druckmittel Moskaus

Die Ukraine gehört zu den Ländern, auf die sich eine Zeitlang die Aufmerksamkeit unserer Medien richtete und die dann bald wieder aus dem Fokus des Interesses verschwanden.

Die Zeit der ausführlichen Befassung mit der Ukraine war vor allem die Periode der "Orangenen Revolution" des Jahres 2004, als jeder politisch Interessierte Namen wie Juschtschenko, Janukowitsch und Timoschenko flüssig aussprechen konnte. Dann wurde es still um die Ukraine. Jüngst mag sich Mancher gewundert haben, daß die doch vom Volk so verehrte Julija Timoschenko nun auf einmal vor Gericht stand und zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde.

In den Jahren seit der "Orangenen Revolution" ist eben viel passiert; innenpolitisch und auch in der Außenpolitik. In der Ukraine sind sie miteinander verbunden wie zwei kommunizierende Röhren. Denn die zentrale innenpolitische Frage ist zugleich eine außenpolitische: Orientiert sich die Ukraine in Richtung Westen, wie es Juschtschenko und Frau Timoschenko wollten, oder kehrt sie in den Hegemonialbereich Rußlands zurück, zu dem sie ja einst als Sowjetrepublik gehörte?

Die Orientierung nach Westen hin war mit einer Demokratisierung einhergegangen; die jetzige Wendung in Richtung Moskau ist, wie die Verurteilung Timoschenkos zeigt, zugleich eine Rückkehr zum Politikstil der Kommunisten.

Für die Nähe zu Rußland steht Wiktor Janukowitsch, der bei den Wahlen Anfang 2010 im zweiten Wahlgang Julija Timoschenko schlug und seither Staatspräsident ist. Die Einschränkungen der Macht des Präsidenten, die der liberale Wiktor Juschtschenko durchgesetzt hatte, sind inzwischen wieder rückgängig gemacht. Wie Putins Rußland ist auch die Ukraine auf dem Weg zurück zu einem autoritären Staat in zaristisch-kommunistischer Tradition.



Außenpolitisch aber versuchte Janukowitsch zwischen der EU und Rußland zu lavieren. Darüber informierte kürzlich eine instruktive Analyse von Stratfor (nur Abonnenten zugänglich). Auf sie stütze ich mich im folgenden hauptsächlich.

Morgen findet ein EU-Gipfel statt, auf dem eigentlich ein Assoziationsabkommen mit der Ukraine unterzeichnet werden sollte. Am heutigen Sonntag um 14.46 Uhr meldete die Ukrainische Nachrichtenagentur, daß es dazu wahrscheinlich nicht kommen wird - wie von Stratfor am 16. Dezember vorhergesagt.

Der Weg der Ukraine in die EU war von jener Julija Timoschenko eingeschlagen worden, die inzwischen im Gefängnis sitzt. Ihr Nachfolger Wiktor Janukowitsch hatte die Kontakte zur EU keineswegs abgebrochen; im Gegenteil: Er sah in dem Flirt mit der EU eine Möglichkeit, seinen Handlungsspielraum gegenüber Moskau zu erweitern. Er wollte, mit anderen Worten, die eine Seite ein wenig gegen die andere ausspielen. Das ist gründlich mißlungen.

Der Hintergrund ist die Art, wie der Kreml den Gaspreis als Instrument seiner Außenpolitik einsetzt. Die Ukraine hatte 2010 noch rund 230 Doller für tausend Kubikmeter gezahlt. Im Lauf des Jahres 2011 wurde der Preis schrittweise auf rund 400 Dollar angehoben. Eine Rückkehr zu einem niedrigeren Preis wurde Kiew erst dann in Aussicht gestellt, wenn Janukowitsch bereit wäre, die nationale ukrainische Naftogaz in dem russischen Energieriesen Gazprom aufgehen zu lassen.

Trotz seiner Neigung zu Rußland lehnte Janukowitsch eine solche Knebelung der ukrainischen Energieversorgung ab. Er wandte sich folglich in Richtung EU, um dem Kreml zu zeigen, daß die Ukraine auch anders könne. Die Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen sowie eine Freihandelszone (DCFTA) kamen sogar besser voran als zuvor unter Juschtschenko und Timoschenko. Das war die Zeit, in der vereinbart wurde, die beiden Dokumente am morgigen 19. Dezember feierlich zu unterzeichnen.

Aber der Prozeß gegen Timoschenko kam dazwischen. Diese hatte als Ministerpräsidentin just jenes Abkommen mit Rußland ausgehandelt, das diesem die Erhöhung des Gaspreises im Lauf des Jahres 2011 ermöglichte. Indem sie wegen Korruption verurteilt wurde, wollte Janukowitsch die Rechtmäßigkeit dieses Abkommens in Frage stellen. Er hatte nicht bedacht, wie die EU auf diesen Schauprozeß à la Sowjetunion reagieren würde; nämlich höchst pikiert. Nach Informationen von Stratfor ist die EU nun vorerst überhaupt nicht mehr bereit, die Abkommen zu unterzeichnen.

Janukowitsch sitzt dadurch jetzt in der Klemme; denn die Russen nutzen die Entfremdung zwischen Kiew und der EU genüßlich, um die Verhandlungen über ein neues Gasabkommen hinauszuzögern. Ein Druckmittel dagegen hat Janukowitsch nicht mehr.

Der Kreml kann die Ukrainer zappeln lassen und wird - so Stratfor - nur dann von dem jetzigen, für die Ukraine unerträglich hohen Gaspreis heruntergehen, wenn sich Kiew nun doch bequemt, seine Energieversorgung an die Russen zu übertragen, indem Naftogaz in Gazprom integriert wird; vielleicht über ein gemeinsames Konsortium.

Das wird die Ukraine weiter vom Westen isolieren und an Rußland binden. Deutschland, meint Stratfor, könne wegen seinen eigenen engen Geschäftsbeziehungen zu Rußland durchaus zustimmen, daß die Ukraine sich stärker in Richtung Rußland orientiert.



Ich weise immer wieder einmal darauf hin: Der in einem Zustand kollektiver Besoffenheit beschlossene "Ausstieg aus der Atomenergie" wird sich nicht nur als ein Klotz am Bein für die deutsche Wirtschaft erweisen; sondern er hat auch weitreichende Auswirkungen, was unsere künftige Abhängigkeit von Rußland angeht. Und damit indirekt auch Auswirkungen auf Rußlands hegemoniale Bestrebungen in Osteuropa.
Zettel



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