Skandale haben es sich an sich, Skandälchen zu zeugen. Hat erst einmal ein Thema richtig die Gemüter aufgewühlt, dann sind sie noch eine Zeitlang empfänglich für alles, was in seinen Umkreis gehört. Was zuvor eine Randnotiz wert gewesen wäre, wird jetzt zum "Fall". Der "BSE-Skandal" Mitte der neunziger Jahre beispielsweise hatte eine ganze Kette von "Fleischskandalen" zur Folge, die sozusagen auf seinem Humus gediehen. Noch jahrelang.
Es ist also nicht verwunderlich, daß der Guttenberg-Skandal, der für einige Wochen unsere Schlagzeilen beherrscht hatte, nun weitere Dissertations-Plagiats-Skandale nach sich zieht. Wie beispielsweise den "Fall" Koch-Mehrin.
Silvana Koch-Mehrin hat bei ihrer Dissertation offenkundig plagiiert. Es ist aufgedeckt worden, sie hat - anders und sehr viel nobler als Guttenberg - schnell und gründlich die Konsequenzen gezogen. Normalerweise wäre es das gewesen: "Koch-Mehrin hat ihr Amt als Vorsitzende der FDP in Brüssel abgegeben, den stellvertretenden Posten als Vizepräsidentin des europäischen Parlaments, den Platz im Präsidium der Freidemokraten". So lesen wir es in Jan Fleischhausers Kolumne "Der schwarze Kanal" bei "Spiegel-Online". Titel des heute erschienen Artikels: "Gerechtigkeit für Silvana Koch-Mehrin!"
Als ich das las, habe ich nun allerdings gestutzt. "Gerechtigkeit für Silvana Koch-Mehrin!" Nanu? Hat jemand Silvana Koch-Mehrin denn ungerecht behandelt?
Verwundert begann ich den Text des von mir sehr geschätzten Jan Fleischhauer zu lesen. Als ich fertig war mit Lesen, wußte ich immer noch nicht, in welcher Hinsicht es denn aus des Autors Sicht an Gerechtigkeit für Silvana Koch-Mehrin gemangelt haben sollte. Noch weniger konnte ich die anklagende Ausrufezeichen-Überschrift à la Émile Zola nachvollziehen.
Fleischhauer bestreitet nicht, daß Koch-Mehrin plagiiert hat. Er sagt auch nicht, daß die Konsequenzen, die sie gezogen hat, unangemessen gewesen wären. Das einzige, was man vielleicht als Unrecht an Koch-Mehrin deuten könnte (Fleischhauer sagt das aber nicht explizit), ist der Umstand, daß ein "paar besonders eifrige Aufpasser ... auch den Verzicht auf das Abgeordnetenmandat" verlangen.
Sie wird es wahrscheinlich behalten, ihr Mandat in Brüssel und Straßburg. Ob es allerdings eine kluge Idee von ihr war, nach dieser Plagiatsgeschichte nun ausgerechnet in den Forschungsausschuß des Europäischen Parlaments zu gehen, darf füglich bezweifelt werden. Im Haus des Gehenkten spricht man nicht vom Strick, sagt der Volksmund.
Also, was Koch-Mehrin angeht, stößt Fleischhauer ins Leere. Aber der größere Teil seiner Kolumne befaßt sich auch gar nicht mit ihrem Fall, sondern mit dem deutschen Hochschulwesen. Und da nun liegt Fleischhauer arg daneben. Um darauf hinzuweisen, schreibe ich diesen Artikel.
Wenn ich ihn nicht falsch verstehe, dann will Fleischhauer uns sagen: Es geht in den deutschen Hochschulen doch seit Jahrzehnten - seit der Zeit der Achtundsechziger, genauer gesagt - generell lax zu. Da soll man sich jetzt nicht derart über ein Plagiat aufregen.
Fleischhauer kritisiert im wesentlichen die Art, wie man nach seiner Meinung heutzutage Professor wird. Das hat nun zum einen mit Plagiaten in einer Dissertation sehr wenig zu tun. Von dort eine Brücke zu einem "Unrecht" an der Plagiatorin Koch-Mehrin zu schlagen, dürfte nicht ganz einfach sein; und Fleischhauer versucht es ja auch gar nicht. Vergessen wir also Koch-Mehrin. Zum anderen stimmt aber auch Fleischhauers Kritik als solche nicht.
Fleischhauer bemängelt
Im ersten zitierten Absatz meint Fleischhauer die Ernennung zum Honorarprofessor. Sie kann Personen zuteil werden, die nicht habilitiert und die auch nicht hauptberuflich an einer Universität tätig sind. Das Institut des Honorarprofessors ist keine Erfindung der Achtundsechziger, sondern deutsche Tradition. Auch zur Zeit des Kaisers Wilhelm war es schon nicht selten, daß verdiente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sich mit dem Titel eines Honorarprofessors schmücken durften. Mit einem "vereinfachten Prüfungsverfahren" hat das exakt nichts zu tun.
Was nun die Habilitation angeht, so wurde auch nach 1968 keineswegs auf sie verzichtet. Es gab und gibt allerdings die Möglichkeit, auch Nichthabilitierte zu berufen, wenn sie habilitationsadäquate oder -äquivalente (nicht "-ähnliche") Leistungen nachweisen können; in der Regel in Form von Buch- oder Zeitschriftenpublikationen.
In den siebziger und teilweise noch den achtziger Jahren, als die Zahl der Professorenstellen schnell wuchs, hat man von dieser Ausnahmeregelung häufig Gebrauch gemacht. Inzwischen wird fast durchweg wieder die Habilitation als Voraussetzung für eine Berufung verlangt.
Eine Ausnahme sind die sogenannten Juniorprofessuren, die ausdrücklich eine Berufung auch ohne Habilitation ermöglichen sollten. Sie waren und sind kein rechter Erfolg; und da sie erst 2002 eingeführt wurden, wird man sie schwerlich den Achtundsechzigern anlasten können.
Noch kräftiger vertut sich Fleischhauer bei der kumulativen Habilitation. Sie hat mit der Möglichkeit, habilitationsadäquate Leistungen statt der Habilitation als Voraussetzung für die Berufung anzuerkennen, nichts zu tun. Schon gar nicht geht es dabei darum, "sich nicht nur Probleme mit Fußnoten zu ersparen". Die kumulative Habilitation ist vielmehr eine vollwertige Habilitation; keineswegs wissenschaftlich weniger anspruchsvoll als die klassische Schrift.
Die kumulative Habilitation ist vor allem in den Naturwissenschaften verbreitet, und zwar aus einem simplen Grund: Dort spielt sich die Forschung - d.h. ihr schriftlicher Niederschlag - fast ausschließlich in den internationalen Fachzeitschriften ab. Ein Nachwuchswissenschaftler kann es sich in der Regel nicht leisten, Jahre seiner Karriere mit der Arbeit an einer - am Ende gar noch deutschsprachigen! - Schrift zu verbringen, deren Resonanz in der internationalen Fachwelt nahezu null wäre.
Er muß vielmehr gerade in den Postdoc-Jahren, in denen sich seine Karriere entscheidet, viele und qualifizierte Publikationen vorlegen. Das ermöglicht die kumulative Habilitation. Statt Experiment um Experiment aneinanderzureihen und das alles in einer voluminösen Schrift erst nach Jahren zu publizieren (wenn es möglicherweise schon veraltet ist), veröffentlicht man fortlaufend seine jeweils aktuellen Ergebnisse.
Für eine kumulative Habilitation wird verlangt, daß dies in Form von begutachteten (peer-reviewed) Artikeln in hinreichend renommierten Zeitschriften geschieht. Damit ist die Qualität der schriftlichen Habilitationsleistung sogar besser gesichert als bei einer Schrift. Der Kumulus wird von den Gutachtern im Rahmen des Habilitationsverfahrens im übrigen nach denselben wissenschaftlichen Standards beurteilt wie eine Schrift.
Nichts gegen Kritik an den Fehlentwicklungen des deutschen Hochschulwesens seit den siebziger Jahren. Universitäten zu "demokratisieren" war und ist ein Unding. Die damit einhergehende Aufblähung der Gremien stiehlt auch heute noch den Hochschullehrern wertvolle Zeit. Es stimmt auch, daß bei dem erwähnten schnellen Ausbau der Hochschulen nach 1970 nicht selten miserabel Qualifizierte auf deutsche Lehrstühle gelangt sind. Das war einige Jahre so und dann schnell wieder vorbei.
Aber das hat nichts mit Honorarprofessuren zu tun. Es hat nichts mit kumulativen Habilitationen zu tun, die wiederum etwas völlig anderes sind als die Anerkennung habilitationsadäquater Leistungen.
Und das alles hat nun wieder exakt nichts mit Promotionsverfahren, mit Promotionsordnungen und mit dem Verstoß gegen diese zu tun, wenn jemand Plagiate in seine Dissertation hineinsetzt.
Und schon gar nicht rechtfertigt es die vollmundige Forderung "Gerechtigkeit für Silvana Koch-Mehrin!" Da hat der sonst so klug schreibende Jan Fleischhauer zusammengerührt, was nicht zusammengehört.
Es ist also nicht verwunderlich, daß der Guttenberg-Skandal, der für einige Wochen unsere Schlagzeilen beherrscht hatte, nun weitere Dissertations-Plagiats-Skandale nach sich zieht. Wie beispielsweise den "Fall" Koch-Mehrin.
Silvana Koch-Mehrin hat bei ihrer Dissertation offenkundig plagiiert. Es ist aufgedeckt worden, sie hat - anders und sehr viel nobler als Guttenberg - schnell und gründlich die Konsequenzen gezogen. Normalerweise wäre es das gewesen: "Koch-Mehrin hat ihr Amt als Vorsitzende der FDP in Brüssel abgegeben, den stellvertretenden Posten als Vizepräsidentin des europäischen Parlaments, den Platz im Präsidium der Freidemokraten". So lesen wir es in Jan Fleischhausers Kolumne "Der schwarze Kanal" bei "Spiegel-Online". Titel des heute erschienen Artikels: "Gerechtigkeit für Silvana Koch-Mehrin!"
Als ich das las, habe ich nun allerdings gestutzt. "Gerechtigkeit für Silvana Koch-Mehrin!" Nanu? Hat jemand Silvana Koch-Mehrin denn ungerecht behandelt?
Verwundert begann ich den Text des von mir sehr geschätzten Jan Fleischhauer zu lesen. Als ich fertig war mit Lesen, wußte ich immer noch nicht, in welcher Hinsicht es denn aus des Autors Sicht an Gerechtigkeit für Silvana Koch-Mehrin gemangelt haben sollte. Noch weniger konnte ich die anklagende Ausrufezeichen-Überschrift à la Émile Zola nachvollziehen.
Fleischhauer bestreitet nicht, daß Koch-Mehrin plagiiert hat. Er sagt auch nicht, daß die Konsequenzen, die sie gezogen hat, unangemessen gewesen wären. Das einzige, was man vielleicht als Unrecht an Koch-Mehrin deuten könnte (Fleischhauer sagt das aber nicht explizit), ist der Umstand, daß ein "paar besonders eifrige Aufpasser ... auch den Verzicht auf das Abgeordnetenmandat" verlangen.
Sie wird es wahrscheinlich behalten, ihr Mandat in Brüssel und Straßburg. Ob es allerdings eine kluge Idee von ihr war, nach dieser Plagiatsgeschichte nun ausgerechnet in den Forschungsausschuß des Europäischen Parlaments zu gehen, darf füglich bezweifelt werden. Im Haus des Gehenkten spricht man nicht vom Strick, sagt der Volksmund.
Also, was Koch-Mehrin angeht, stößt Fleischhauer ins Leere. Aber der größere Teil seiner Kolumne befaßt sich auch gar nicht mit ihrem Fall, sondern mit dem deutschen Hochschulwesen. Und da nun liegt Fleischhauer arg daneben. Um darauf hinzuweisen, schreibe ich diesen Artikel.
Wenn ich ihn nicht falsch verstehe, dann will Fleischhauer uns sagen: Es geht in den deutschen Hochschulen doch seit Jahrzehnten - seit der Zeit der Achtundsechziger, genauer gesagt - generell lax zu. Da soll man sich jetzt nicht derart über ein Plagiat aufregen.
Fleischhauer kritisiert im wesentlichen die Art, wie man nach seiner Meinung heutzutage Professor wird. Das hat nun zum einen mit Plagiaten in einer Dissertation sehr wenig zu tun. Von dort eine Brücke zu einem "Unrecht" an der Plagiatorin Koch-Mehrin zu schlagen, dürfte nicht ganz einfach sein; und Fleischhauer versucht es ja auch gar nicht. Vergessen wir also Koch-Mehrin. Zum anderen stimmt aber auch Fleischhauers Kritik als solche nicht.
Fleischhauer bemängelt
... ein radikal vereinfachtes Prüfungsverfahren, das auch Außenseitern den Aufstieg ermöglichte. Nicht nur, dass mittlerweile an nahezu jeder großen Universität Leute einen Professorentitel führen, deren bedeutendste Leistung oft darin besteht, in Talkshows eine gute Figur abgegeben oder mal eine Zeitung wie die "taz" geleitet zu haben.Daran ist sehr wenig richtig.
Zu den bedeutendsten Hinterlassenschaften der universitären Reformer, die sich nach 1968 daran machten, den Muff unter den Talaren hinwegzublasen, gehört der Verzicht auf das althergebrachte Habilitationsverfahren, das den Nachwuchs über Gebühr am Schreibtisch festhielt. An die Stelle der klassischen Habilitationsschrift traten in vielen Fachbereichen "habilitationsähnliche Leistungen", womit nun schon ein Bündel verstreut publizierter Aufsätze reichte, um als Professor an eine deutsche Universität berufen zu werden. Wer "kumulativ" habilitiert, erspart sich nicht nur Probleme mit Fußnoten.
Im ersten zitierten Absatz meint Fleischhauer die Ernennung zum Honorarprofessor. Sie kann Personen zuteil werden, die nicht habilitiert und die auch nicht hauptberuflich an einer Universität tätig sind. Das Institut des Honorarprofessors ist keine Erfindung der Achtundsechziger, sondern deutsche Tradition. Auch zur Zeit des Kaisers Wilhelm war es schon nicht selten, daß verdiente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sich mit dem Titel eines Honorarprofessors schmücken durften. Mit einem "vereinfachten Prüfungsverfahren" hat das exakt nichts zu tun.
Was nun die Habilitation angeht, so wurde auch nach 1968 keineswegs auf sie verzichtet. Es gab und gibt allerdings die Möglichkeit, auch Nichthabilitierte zu berufen, wenn sie habilitationsadäquate oder -äquivalente (nicht "-ähnliche") Leistungen nachweisen können; in der Regel in Form von Buch- oder Zeitschriftenpublikationen.
In den siebziger und teilweise noch den achtziger Jahren, als die Zahl der Professorenstellen schnell wuchs, hat man von dieser Ausnahmeregelung häufig Gebrauch gemacht. Inzwischen wird fast durchweg wieder die Habilitation als Voraussetzung für eine Berufung verlangt.
Eine Ausnahme sind die sogenannten Juniorprofessuren, die ausdrücklich eine Berufung auch ohne Habilitation ermöglichen sollten. Sie waren und sind kein rechter Erfolg; und da sie erst 2002 eingeführt wurden, wird man sie schwerlich den Achtundsechzigern anlasten können.
Noch kräftiger vertut sich Fleischhauer bei der kumulativen Habilitation. Sie hat mit der Möglichkeit, habilitationsadäquate Leistungen statt der Habilitation als Voraussetzung für die Berufung anzuerkennen, nichts zu tun. Schon gar nicht geht es dabei darum, "sich nicht nur Probleme mit Fußnoten zu ersparen". Die kumulative Habilitation ist vielmehr eine vollwertige Habilitation; keineswegs wissenschaftlich weniger anspruchsvoll als die klassische Schrift.
Die kumulative Habilitation ist vor allem in den Naturwissenschaften verbreitet, und zwar aus einem simplen Grund: Dort spielt sich die Forschung - d.h. ihr schriftlicher Niederschlag - fast ausschließlich in den internationalen Fachzeitschriften ab. Ein Nachwuchswissenschaftler kann es sich in der Regel nicht leisten, Jahre seiner Karriere mit der Arbeit an einer - am Ende gar noch deutschsprachigen! - Schrift zu verbringen, deren Resonanz in der internationalen Fachwelt nahezu null wäre.
Er muß vielmehr gerade in den Postdoc-Jahren, in denen sich seine Karriere entscheidet, viele und qualifizierte Publikationen vorlegen. Das ermöglicht die kumulative Habilitation. Statt Experiment um Experiment aneinanderzureihen und das alles in einer voluminösen Schrift erst nach Jahren zu publizieren (wenn es möglicherweise schon veraltet ist), veröffentlicht man fortlaufend seine jeweils aktuellen Ergebnisse.
Für eine kumulative Habilitation wird verlangt, daß dies in Form von begutachteten (peer-reviewed) Artikeln in hinreichend renommierten Zeitschriften geschieht. Damit ist die Qualität der schriftlichen Habilitationsleistung sogar besser gesichert als bei einer Schrift. Der Kumulus wird von den Gutachtern im Rahmen des Habilitationsverfahrens im übrigen nach denselben wissenschaftlichen Standards beurteilt wie eine Schrift.
Nichts gegen Kritik an den Fehlentwicklungen des deutschen Hochschulwesens seit den siebziger Jahren. Universitäten zu "demokratisieren" war und ist ein Unding. Die damit einhergehende Aufblähung der Gremien stiehlt auch heute noch den Hochschullehrern wertvolle Zeit. Es stimmt auch, daß bei dem erwähnten schnellen Ausbau der Hochschulen nach 1970 nicht selten miserabel Qualifizierte auf deutsche Lehrstühle gelangt sind. Das war einige Jahre so und dann schnell wieder vorbei.
Aber das hat nichts mit Honorarprofessuren zu tun. Es hat nichts mit kumulativen Habilitationen zu tun, die wiederum etwas völlig anderes sind als die Anerkennung habilitationsadäquater Leistungen.
Und das alles hat nun wieder exakt nichts mit Promotionsverfahren, mit Promotionsordnungen und mit dem Verstoß gegen diese zu tun, wenn jemand Plagiate in seine Dissertation hineinsetzt.
Und schon gar nicht rechtfertigt es die vollmundige Forderung "Gerechtigkeit für Silvana Koch-Mehrin!" Da hat der sonst so klug schreibende Jan Fleischhauer zusammengerührt, was nicht zusammengehört.
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