21. April 2011

Zahlenspiele: In 20 oder 25 Jahren ...

In seinem Bestseller "Deutschland schafft sich ab" äußert sich Thilo Sarrazin u. a. über die Bevölkerungszusammensetzung in Deutschland und stellt Modellrechnungen auf über den Anteil von Einwohnern mit und ohne Migrationshintergrund. Gerade diese Teile seines Werkes sind von den Kritikern angegriffen worden. - Dieser Tage gab es in den Nachrichten etwas versteckt einige Zahlen, die zu einigen Zahlenspielen einladen.

Ende März berichtete das Statistische Landesamt NRW [keine Veröffentlichung beim Landesamt selbst zu finden], dass im Jahr 2010 für rund 25 % der Kindergartenkinder "Deutsch nicht die Alltagssprache" sei (2008: 21 %). Dieser Anteil ist - wenig überraschend - regional unterschiedlich und schwankt zwischen 8,2 % im Kreis Coesfeld und 39,3 % in Duisburg (ähnlich: Gelsenkirchen 37,9 %, Wuppertal 34,6 %). Darüber hinaus haben insgesamt 34,3 % der Kindergartenkinder in NRW mindestens in nicht in Deutschland geborenes Elternteil (Duisburg: über 50 %).

Gestern (20.4.) berichtete die FAZ (S. 4) aus Baden-Württemberg, dass derzeit 35 % der Grundschulkinder und 41 % der Vorschulkinder in Baden-Württemberg einen (wie definierten?) Migrationshintergrund haben. Dieser Anteil werde in den nächsten zehn Jahren an den Grundschulen auf 50 bis 70 % steigen.

Diese Angaben geben besser Aufschluss über die demographische Entwicklung in Deutschland (bzw. NRW und BW) als etwa die jährlich veröffentlichten Zahlen über Ausländer in NRW, sind doch viele Migranten der zweiten und dritten Generation ihrer Staatsangehörigkeit nach keine Ausländer mehr. Die Angaben über die Sprachfähigkeit sind zudem besser als Angaben über den Migrationshintergrund, da zumindest in den Schulen in NRW ein Kind einen Migrationshintergrund hat, wenn es selbst oder ein Elternteil nicht in Deutschland geboren ist - mit dem Effekt, dass das Kind deutscher Akademiker, das während eines Studienaufenthalts der Eltern in den USA geboren wurde, einen Migrationshintergrund hat, ein Kind türkischer oder arabischer Abstammung, das zuhause kein Wort Deutsch spricht, aber keinen Migrationshintergrund hat, wenn die Eltern zufällig schon in Deutschland geboren sind.

Welche Rückschlüsse lassen die oben genannten Zahlen zu?

1a. Die 25 % der Kindergartenkinder in NRW, für die "Deutsch nicht die Alltagssprache" ist, stammen (überwiegend) aus schlecht bis gar nicht integrierten Familien und sind vermutlich eher türkischer oder arabischer als amerikanischer oder chinesischer Herkunft.

1b. Zahlenspiel: In 20 bis 25 Jahren wird ein Viertel der jungen Erwachsenen (der 20- bis 30-Jährigen) in NRW aus zumindest sprachlich, dann aber vermutlich auch kulturell eher schlecht integrierten Familien stammen.

2a. 34,3 % der Kindergartenkinder haben einen Migrationshintergrund gemäß Definition - rechnet man Einwandererkinder der dritten und vierten Generation hinzu, die u.U. ebenfalls schlecht integriert sind, dürfte schon jetzt der tatsächliche Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund zwischen 40 und 50 % liegen.

2b. Dies bedeutet wiederum, dass schon in 20 bis 25 Jahren bei den Bis-30-Jährigen in NRW der Anteil derer, die gar keinen Migrationshintergrund haben, unter 50 % liegen könnte.

3. In BW wird - entsprechend den oben genannten Zahlen - schon in 20 Jahren bei den Bis-30-Jährigen der Anteil derer mit Migrationshintergrund bei 40 % liegen, in 30 Jahren bei bis zu 70 %.

4. Für Länder wie das Saarland, Hessen und Rheinland-Pfalz dürften die Zahlen ähnlich liegen wie für NRW und BW. Für die Stadtstaaten (vgl. die Zahlen für Duisburg und Wuppertal) dürften diese Werte deutlich schneller erreicht werden, in den Flächenländern im Osten vielleicht langsamer oder gar nicht.

5. Dennoch sei die Vermutung gewagt, dass in einem Vierteljahrhundert bei den Bis-30-Jährigen in Deutschland die Menschen ohne Migrationshintergrund im weiteren Sinne in der Minderheit sein könnten.

Ergänzung: 6. In der Annahme, dass die Praxis der Vergabe der deutschen Staatsangehörigkeit nicht verschärft (allenfalls gelockert) wird, dürfte ein großer Teil der Bis-30-Jährigen mit Migrationshintergrund wahlberechtigt sein (auf kommunaler Ebene sowieso). Damit stellt diese Gruppe ein erhebliches Wählerpotential dar, um das die etablierten Parteien buhlen werden, mit einiger Wahrscheinlichkeit aber auch neue Parteien, die sich gezielt an diese Gruppe richten, um deren Interessen zu vertreten. Erste Versuche mit Parteien wie BIG in Bonn sind schon zu beobachten (mit Wahlergebnissen im deutlich zweistelligen Bereich, teils über 20 % in manchen Wahllokalen). Dies wird nicht ohne Auswirkung zunächst auf die Kommunalpolitik, dann aber auch auf die Landes- und Bundespolitik.
Gansguoter

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