23. Januar 2011

Marginalie: Zuckerbrot und Peitsche à la Teheran. Anmerkung zum Fiasko von Istanbul

Zur Zeit des legendären sowjetischen Außenministers Andrej Gromyko - er amtierte nicht weniger als 28 Jahre; von 1957 bis 1985 - gab es das Wort vom Zuckerbrot und der Peitsche. Gromykos Taktik war es, Zusagen zu machen, sie dann aber wieder zurückzuziehen, anschließend vielleicht zu drohen, dann wieder überraschend kompromißbereit zu erscheinen und so fort.

Mal winkte er mit dem Zuckerbrot, mal schwang er die Peitsche. Um einen Kompromiß in der Sache ging es ihm nie; die Gegenseite sollte nur verunsichert und von Entscheidungen abgehalten werden. Das war so bis zum Prozeß von Helsinki, in dessen Verlauf die UdSSR allerdings reale Zugeständnisse machte; sie läutete damit ihr Ende ein.

Gromykos Taktik ist das offenkundige Vorbild für den Iran in den seit Jahren laufenden Verhandlungen über sein Nuklearprogramm. Zugeständnisse hat er nie gemacht und wird er vermutlich auch nicht machen; worin sollten sie auch bestehen? Teheran will die Atombombe, und es will sie so schnell wie möglich. Verhandlungen dienen ausschließlich dazu, das abzusichern. Man muß also erreichen, daß es nicht zu wirklich schwerwiegenden Sanktionen kommt. Man versucht die Sechsergruppe zu spalten, wenn irgend man das kann.

Die Sechsergruppe: Jene sechs Staaten - nämlich die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats plus Deutschland -, die sich zusammengetan haben, um mit dem Iran über sein Nuklearprogramm zu verhandeln. Seit vorgestern saß man wieder am Verhandlungstisch, und zwar diesmal in Istanbul (siehe Der Iran, der Irak, die USA - und jetzt Tunesien; ZR vom 17. 1. 2011). Über den Verlauf und das abrupte Ende der Gespräche berichtet heute Andreas Ross in FAZ.Net.

Das Bemerkenswerte ist, mit welcher Verve der iranische Verhandlungsführer Said Dschalili diesmal die Peitsche schwang; weit und breit kein Zuckerbrot. Das letzte Zuckerbrot hatte es in der, wie Ross schreibt, "kurze[n] Phase der Hoffnung vom Oktober 2009" gegeben, als Teheran sich mit einem "Tauschgeschäft" einverstanden erklärt hatte, bei dem die Perser einen großen Teil ihres schwach angereicherten Urans abgeben sollten; man wollte ihnen im Gegenzug (für die zivile, aber nicht eine militärische Nutzung geeignete) Brennelemente liefern.

Jetzt also hatte sich Dschalili so stur gezeigt wie Gromyko in seinen "njet, njet, njet"-Phasen. Warum?

Man kann das nur vermuten, aber es gibt eine naheliegende Vermutung: Die Revolution in Tunesien stellt eine akute Bedrohung für die arabischen Regimes dar, die Gegner des Iran im Machtpoker um den moslemischen Teil des Nahen Ostens sind (siehe Die Gefahr eines Kriegs im Nahen Osten wächst; ZR vom 21. 8. 2010, und "Wir geraten unter iranische Besatzung". Präsident Obama erhält die Quittung für seine Irakpolitik; ZR vom 19. 10. 2010). Der Iran ist damit so stark wie lange nicht.

Er kann ruhig abwarten, wie sich die Dinge in den arabischen Ländern entwickeln. Der Westen und auch China sowie Rußland haben jeden Grund, in dieser Situation ein Hochschaukeln des Konflikts mit Teheran zu vermeiden. Also können sich die Iraner stur stellen. Ross zitiert eine Reaktion aus der europäischen Delegation:
Unverständlich bleibt europäischen Diplomaten, dass Iran nicht die "historische" Gelegenheit nutze, die ihm die amerikanische Führung unter Präsident Obama biete. Aber alles Drängen half nicht: Ein Einzelgespräch mit dem amerikanischen Staatssekretär William Burns lehnte Dschalili ab.
Die historische Gelegenheit. Sie besteht aus der Sicht des Iran aber nicht darin, daß Obama auch jetzt wieder offenbar bereit ist, die Hand auzustrecken. Sie besteht darin, daß es überhaupt den Präsidenten Obama gibt.

Er will raus aus dem Irak; er will damit die bisherige amerikanische Machtposition im Nahen Osten aufgeben. Je näher die Präsidentschaftswahlen im November 2012 rücken, umso weniger wird er die USA in häßliche Auseinandersetzungen in dieser Region verwickeln wollen. Solange bleibt für den Iran die "historische Chance" somit nicht nur bestehen, sondern sie dürfte sich mehr und mehr vergrößern. Das Zuckerbrot kann eingepackt bleiben.



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