Das Institute for Global Jewish Affairs bringt in der aktuellen Nummer seiner Publikationsreihe (Nr. 64 vom 16. Januar 2011) einen informativen Artikel von Noam Ivri zum Thema Moslems und Juden in den USA: American Muslims: The community and their relations with Jews. Es ist ein facetten- und faktenreicher Artikel, aus dem ich jetzt aber nur einen einzigen Aspekt herausgreifen möchte, weil er einen unmittelbaren Bezug zu einem auch für Deutschland zentralen Thema hat: Ansätze zu einem modernen Islam in den USA, der mit unseren westlichen Werten und mit dem demokratischen Rechtsstaat vereinbar ist.
Ivri schreibt dazu in der Zusammenfassung seines Artikels:
Diesem positiven Bild steht gegenüber, daß die großen islamischen Organisationen durchweg israelfeindlich sind, Moslems als Opfer von "Islamophobie" sehen und ambivalent gegenüber dem islamistischen Terror sind, auch wenn sie diesen offiziell verurteilen. Darauf gehe ich jetzt nicht ein, sondern nur auf den eingangs genannten Aspekt: Wie sieht es mit jenen amerikanischen Moslems aus, die dem säkularen, demokratischen Rechtsstaat positiv gegenüberstehen?
Diese Moslems sind in verschiedenen Gruppen organisiert, die sich unterschiedlich weit vom mainstream entfernt haben:
Sie fordern eine konsequente Säkularisierung des Islam und damit den Verzicht auf dessen allumfassenden, in die Gesellschaft hineinreichenden Anspruch. Er soll nur noch ein persönlicher, privater Glaube sein. Der Übergang zu einer völligen Loslösung vom Islam ist fließend. Wie im heutigen Christentum gibt es alle Abstufungen von einer geringeren bis hin zur ganz fehlenden Frömmigkeit.
So veranstaltete beispielsweise 2007 die aus Syrien stammende Psychiatrin Wafa Sultan mit anderen Intellektuellen (unter ihnen Ayaan Hirsi Ali) einen Secular Islam Summit in Florida, aus dem eine Gruppe Former Muslims United hervorging, in der sich Ex-Moslems zusammengefunden haben. Sie werden zwar von den traditionellen moslemischen Organisationen massiv abgelehnt und erhalten sogar Todesdrohungen, wirken aber doch, wie Naom Ivri meint, in die liberalen Strömungen des amerikanischen Islam hinein.
Um es noch einmal zu betonen: Diese Strömungen sind minoritär. Sofern die US-Moslems überhaupt religiös sind, neigen sie überwiegend einer der traditionell islamischen Organisationen zu. Immerhin zeigt die Existenz der Gruppen und Organisationen, die Ivri beschreibt, daß es innerhalb des Islam auch ein anderes als dieses traditionelle Glaubensverständnis geben kann.
In Europa wird diese Richtung bisher nur durch wenige Intellektuelle repräsentiert, wie etwa Bassam Tibi. Das mag mit der erwähnten unterschiedlichen sozialen Struktur zusammenhängen; gebildete Moslems sind eben in Europa (sieht man von Frankreich ab) noch vergleichsweise selten. Sollten sich die Bewegungen liberaler Moslems in den USA weiter entwickeln und ausbreiten, dann könnten auch hier wieder einmal die Vereinigten Staaten zum Vorbild für Europa werden.
Ivri schreibt dazu in der Zusammenfassung seines Artikels:
Muslims in the United States number slightly under three million according to the most accurate population studies. They are among the wealthiest, most educated, and most ethnically diverse Muslim communities in the world. Their integration into the United States is remarkably different than in European countries, most notably in the near-absence of Muslim ghettos or enclaves common across the Atlantic. (...)Ivri gibt dazu detaillierte Informationen. Was die wirtschaftliche Situation und den Bildungsstand der moslemischen Amerikaner angeht: Anders als in Deutschland oder England entspricht die Einkommensstruktur der US-Moslems derjenigen in der Gesamtbevölkerung; ein Einkommen über 100.000 Dollar im Jahr erreichen sogar etwas mehr (19 Prozent) als die Gesamtheit der Amerikaner (17 Prozent). Ebenso entspricht der Anteil mit College-Abschluß dem Durchschnitt. Moslems sind in akademischen Berufen, in den Medien, in den Ingenieurberufen gut vertreten.
Since 9/11 several counterestablishment groups, often led by a charismatic individual, have been formed to promote alternative visions for American Muslims. Strongly influenced by their adopted homeland, they perceive the character and policies of United States more favorably and advocate for a moderate Islam in harmony with democratic, pluralistic values. Nevertheless, their influence among the broader Muslim community is still quite limited. Similar social currents have emerged in the openness of American society, questioning taboo issues such as homosexuality and apostasy, and spurring American Muslims into the spotlight of global Islamic debates.
Die Moslems in den Vereinigten Staaten zählen nach den genauesten Erhebungen etwas weniger als drei Millionen Menschen. Sie gehören zu den wohlhabendsten, gebildetsten und ethnisch unterschiedlichsten Moslem-Gemeinschaften der Welt. Ihre Integration in die Vereinigten Staaten unterscheidet sich in bemerkenswerter Weise von den europäischen Ländern; vor allem darin, daß es so gut wie keine der Moslem-Ghettos gibt, wie sie jenseits des Atlantik oft anzutreffen sind.
Seit 9/11 haben sich - oft geführt von einer charismatischen Person - verschiedene gegen das Establishment gerichtete Gruppen gebildet, die den amerikanischen Moslems alternative Vorstellungen anbieten. Unter dem starken Einfluß ihrer neuen Heimat sehen sie den Charakter und die Politik der Vereinigten Staaten in einem günstigeren Licht und treten für einen gemäßigten Islam ein, der mit demokratischen, pluralistischen Werten im Einklang steht. Jedoch ist ihr Einfluß innerhalb der breiteren moslemischen Gemeinschaft noch recht begrenzt. In der Offenheit der amerikanischen Gesellschaft sind in ähnlicher Weise soziale Bewegungen entstanden, die Tabuthemen wie Homosexualität und Abtrünngikeit hinterfragen und die damit die amerikanischen Moslems ins Scheinwerferlicht der globalen Debatten innerhalb des Islam katapultieren.
Diesem positiven Bild steht gegenüber, daß die großen islamischen Organisationen durchweg israelfeindlich sind, Moslems als Opfer von "Islamophobie" sehen und ambivalent gegenüber dem islamistischen Terror sind, auch wenn sie diesen offiziell verurteilen. Darauf gehe ich jetzt nicht ein, sondern nur auf den eingangs genannten Aspekt: Wie sieht es mit jenen amerikanischen Moslems aus, die dem säkularen, demokratischen Rechtsstaat positiv gegenüberstehen?
Diese Moslems sind in verschiedenen Gruppen organisiert, die sich unterschiedlich weit vom mainstream entfernt haben:
Dies sind Gruppen, die innerhalb des gemeinsamen islamischen Glaubens für eine liberalere, tolerantere Variante des Islam eintreten. Andere Gruppen lehnen überhaupt den Islam in seiner jetzigen Form ab.Der American Islamic Congress (AIC). Er entstand nach 9/11; als Reaktion auf den Terrorismus, der scharf verurteilt wird. Man sucht den Dialog mit anderen Religionen (selbst den sonst verteufelten Bahai und Sikhs), tritt für Selbstkritik des Islam ein und verurteilt Menschenrechtsverletzungen in islamischen Staaten. Geführt wird der AIC von einer Frau, Zainab al-Suwaij, die sich für Frauenrechte engagiert. Die Organisation ist vor allem an Universitäten aktiv und hat überwiegend junge Mitglieder. Der Islamic Supreme Council of America (ISCA). Er wendet sich unter seinem Führer Sheikh Muhammad Hisham Kabbani, einem sufitischen Geistlichen, gegen die führenden islamischen Organisationen, denen er Extremismus vorwirft. Kabbani stand in Kontakt mit Präsident Bush und verurteilt scharf jede Art von Terrorismus, wobei er sich als Geistlicher des Instruments der Fatwa bedient. Das American Islamic Forum for Democracy (AIFD), ein moslemischer Think Tank. Sein Leiter, Dr. Zuhdi Jasser, war Offizier in der US-Marine und arbeitet vor allem auf dem Gebiet der Aufklärung über den islamistischen Extremismus. Ein ähnliches Programm hat das Center for Islamic Pluralism (CIP), das kürzlich mit seiner Kritik an der Errichtung einer Moschee nah Ground Zero hervortrat (siehe zu diesem Moscheebau Die versteckte Drohung des sanften Imam Feisal Abdul Rauf, der die Moschee nahe Ground Zero bauen will; ZR vom 9. 9. 2010). Die Free Muslims Coalition des aus Palästina eingewanderten Kamal Nawash, der 2005 einen Marsch gegen den Terrorismus organisierte. Beeinflußt ist diese Organisation, von Sheikh Dr. Khaleel Mohammad, einem amerikanischen Islamwissenschaftler, der vor allem gegen den Haß auf Juden eintritt und der auch eine Anhängerschaft in Kanada hat. Auch außerhalb dieser Organisationen gibt es Bewegungen mit ähnlichen Zielen. Eine liberale WebSite, Muslim WakeUp!, organisierte zum Beispiel mit der inzwischen nicht mehr existierenden Progressive Muslim Union einen Freitagsgottesdienst mit einem weiblichen Imam, Amina Wadud. Al-Fatiha ist eine liberale Organisation homosexueller Moslems, die aus einer von Faisal Alam organisierten Konferenz hervorging und die inzwischen mehrere hundert Mitglieder hat. Die Gruppe hat auch Anhänger in anderen westlichen Ländern.
Sie fordern eine konsequente Säkularisierung des Islam und damit den Verzicht auf dessen allumfassenden, in die Gesellschaft hineinreichenden Anspruch. Er soll nur noch ein persönlicher, privater Glaube sein. Der Übergang zu einer völligen Loslösung vom Islam ist fließend. Wie im heutigen Christentum gibt es alle Abstufungen von einer geringeren bis hin zur ganz fehlenden Frömmigkeit.
So veranstaltete beispielsweise 2007 die aus Syrien stammende Psychiatrin Wafa Sultan mit anderen Intellektuellen (unter ihnen Ayaan Hirsi Ali) einen Secular Islam Summit in Florida, aus dem eine Gruppe Former Muslims United hervorging, in der sich Ex-Moslems zusammengefunden haben. Sie werden zwar von den traditionellen moslemischen Organisationen massiv abgelehnt und erhalten sogar Todesdrohungen, wirken aber doch, wie Naom Ivri meint, in die liberalen Strömungen des amerikanischen Islam hinein.
Um es noch einmal zu betonen: Diese Strömungen sind minoritär. Sofern die US-Moslems überhaupt religiös sind, neigen sie überwiegend einer der traditionell islamischen Organisationen zu. Immerhin zeigt die Existenz der Gruppen und Organisationen, die Ivri beschreibt, daß es innerhalb des Islam auch ein anderes als dieses traditionelle Glaubensverständnis geben kann.
In Europa wird diese Richtung bisher nur durch wenige Intellektuelle repräsentiert, wie etwa Bassam Tibi. Das mag mit der erwähnten unterschiedlichen sozialen Struktur zusammenhängen; gebildete Moslems sind eben in Europa (sieht man von Frankreich ab) noch vergleichsweise selten. Sollten sich die Bewegungen liberaler Moslems in den USA weiter entwickeln und ausbreiten, dann könnten auch hier wieder einmal die Vereinigten Staaten zum Vorbild für Europa werden.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Eine kalligraphische Seite aus dem Koran. Bardo-Museum Tunesien. Fotografie vom Autor Habib.mhenni unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic license freigegeben. Mit Dank an Werner Stenzig.