31. Oktober 2010

Zum Reformationstag: Von der Freiheit eines Christenmenschen


Dieser Kupferstich von Lucas Cranach d.Ä. entstand 1520 und damit auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen Luthers mit der kirchlichen Obrigkeit.

Es lief gegen ihn ein Prozeß wegen Ketzerei, der nach der Wahl Karls I. zum Kaiser im Jahr 1519 wieder aufgenommen worden war. Am 15. Juni 1520 erließ Papst Leo X. die Bannbulle, die 41 Aussagen Luthers verdammte und ihm den Bann (den Ausschluß aus der Kirche) androhte, wenn er nicht innerhalb von 60 Tagen widerrufen würde.

Im Oktober 1520 veröffentlichte Luther seine Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen". Am 10. Dezember 1520 waren die Würfel gefallen: Luther verbrannte die Bannbulle vor dem Wittenberger Elstertor. Darauf antwortete der Papst mit der Exkommunikation.



Die Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen" können Sie hier in modernisierter Orthographie lesen. Sie ist in dreißig Abschnitte eingeteilt. Die vielleicht zentrale Aussage steht im neunten Abschnitt:
Wenn nun der Mensch aus den Geboten sein Unvermögen gelernt und empfunden hat, daß ihm nun Angst wird, wie er dem Gebot genug tun soll, denn das Gebot muß erfüllt sein, oder er muß verdammt sein, dann ist er recht gedemütigt und zunichte geworden in seinen Augen, findet nichts in sich, wodurch er rechtschaffen werden könnte.

Jetzt kommt dann das andere Wort, die göttliche Verheißung und Zusage und spricht: Willst du alle Gebote erfüllen, deine böse Begierde und Sünde los werden, wie's die Gebote erzwingen und fordern, nun so glaub an Christus, in dem ich dir alle Gnade, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit zusage!

Glaubst du, so hast du; glaubst du nicht, so hast du nicht. Denn was dir unmöglich ist mit allen Werken der Gebote, die zahlreich und doch nutzlos sein müssen, das wird dir leicht und kurz durch den Glauben.
Was hat das mit Freiheit zu tun? Luther meint nicht die Willensfreiheit, schon gar nicht die äußere Befreiung etwa von Unterdrückung (wie man es dann in den Bauernkriegen zum Teil verstanden hat), sondern die Befreitheit, die er darin sieht, daß man sich in diesem Glauben aufgehoben weiß. Im letzten Abschnitt heißt es dazu:
Aus dem allen folgt der Satz, daß ein Christenmensch nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und seinem Nächsten - in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. (...) Siehe, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, die alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde, die gebe uns Gott recht zu verstehen und zu behalten.
Ich habe diese innere Freiheit, diese fröhliche Gelassenheit in der Tat bei manchen evangelischen Christen gefunden. Es freut mich, daß es solche Menschen gibt.

Ich sehe als Agnostiker in dieser Haltung Ausdruck einer Lebensweisheit, die nicht auf das Luthertum und auch nicht auf das Christentum beschränkt ist: Innere Freiheit gewinnen wir in dem Maß, in dem wir uns selbst mit Gelassenheit betrachten. Der Glaube mag ein Weg dorthin sein; eine skeptisch-rationale Einstellung, wie sie beispielsweise Seneca und Mark Aurel lehrten, ein anderer.



Auch in vergangenen Jahren gab es in ZR Beiträge zum Reformationstag:
  • Zum Reformationstag: Mein Luther; ZR vom 31. 10. 2006

  • Was wird am 31. Oktober gefeiert?; ZR vom 31. 10. 2007

  • Zum Reformationstag: D. Martin Luther, der deutscheste der deutschen Denker; ZR vom 31. 10. 2009
  • Falls Sie - vielleicht ja durch die Lektüre dieser Artikel angeregt - sich ein wenig mit Luther befassen mögen: Hier finden Sie, was heute die Sender der ARD zu Luther anbieten.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Der Kupferstich von Lucas Cranach d.Ä. befindet sich im Kupferstichkabinett in Berlin.