24. November 2009

Marginalie: Wir Deutschen sind beliebt. Meinen wir. Meinen immer mehr von uns. Die Kriegsgeneration stirbt

Die "Pythia der Nation" nannte man sie einst, Elisabeth Noelle-Neumann, die inzwischen auf die hundert zugeht. Vor mehr als einem halben Jahrhundert, im August 1957, widmete ihr der "Spiegel" eine Titelgeschichte.

Sie hat eine ausgezeichnete Nachfolgerin gefunden in Renate Köcher, die in der heutigen Ausgabe der FAZ über die Befindlichkeit der Deutschen schreibt.

Noelle-Neumann war die erste gewesen, die sich mit unserer deutschen Befindlichkeit befaßte; das Handwerk der Demoskopie hatte sie in den USA gelernt.

Als Noelle-Neumann 1947 das Institut für Demoskopie in Allensbach gründete, war sie nicht besonders gut, die Befindlichkeit der Deutschen. Heute ist sie gut; jedenfalls alles in allem. Schreibt Renate Köcher.



Hier sehen Sie die Grafik, die ich gern kommentieren möchte.

Zu sechs Zeitpunkten seit 1991 haben die Allensbacher die Deutschen - also eine repräsentative Stichprobe - gefragt: "Glauben Sie, daß die Deutschen in der Welt beliebt oder unbeliebt sind?".

Sie sehen zwei monoton verlaufende Kurven. 1991 glaubten 45 Prozent, wir seien unbeliebt, und nur 39 Prozent hielten uns für beliebt. Seither sind bei jeder Befragung die "unbeliebt"-Antworten weniger geworden; die Kurve für "beliebt" ging im wesentlichen spiegelbildlich nach oben. Jetzt, im Jahr 2009, halten uns 56 Prozent für beliebt und gerade einmal noch 21 Prozent für unbeliebt.

Welcher dramatische Wandel hat sich in diesen knapp zwei Jahrzehnten vollzogen?

Gar keiner. Nur sterben die einen weg, und die anderen wachsen nach.

In einer repräsentativen Stichprobe des Jahres 1991 waren die Achtzigjährigen Geburtsjahrgang 1911. Sie hatten als Kinder den Ersten Weltkrieg erlebt. Sie waren junge Leute in ihren Zwanzigern, als die Nazis an die Macht kamen.

Wer 1911 geboren wurde, der war fast vierzig, als 1950 der Wiederaufbau begann. Bis dahin hatte er nur Not und Elend erlebt, eine wacklige Demokratie und die Verbrechen der Nazis. Kein Grund, zu vermuten, daß wir Deutschen beliebt sein könnten.

Ähnlich für die jüngeren Jahrgänge. Wer 1950 und später geboren wurde, wer also das Elend dieser ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts nicht erlebt hatte, der war 1991 gerade etwas über die vierzig. Alle Älteren hatten diese Zeit erlebt.

Im Jahr 2009 sieht das ganz anders aus. Selbst wer jetzt achtzig ist, also 1929 geboren, war am Ende des Zweiten Weltkriegs noch nicht volljährig. Nur die jetzt Uralten, wie Elisabeth Noelle-Neumann, haben die Nazizeit als junge Erwachsene erlebt.

Wer jetzt mit 65 in Rente geht, der ist Geburtsjahrgang 1944. Er kam in die Schule, als das Wirtschaftswunder einsetzte.

Wir sind zu einem Volk von Menschen geworden, die in Frieden und - im Westen - in Freiheit und Wohlstand aufgewachsen sind.

Wir können uns jetzt selbst mögen. Also denken wir uns - vermutlich zu Recht -, daß auch die anderen uns mögen.



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