27. Juni 2009

Wahlen '09 (4): Wahlhilfe für Merkel aus dem Weißen Haus. Aber wo bleibt die Wahlkampfstimmung?

Ein Herz und eine Seele sind sie auf einmal, der Barack und die Angela. Aus Washington berichtet Gregor Peter Schmitz für "Spiegel- Online" über den Präsidenten:
Er beginnt mit "Willkommen" auf Deutsch, er lobt Merkels "Weisheit" und "Direktheit", er erinnert an seinen Besuch der Dresdner Frauenkirche Anfang Juni, deren Wiederaufbau der ganzen Welt zeige, was mit vereinten Kräften möglich sei. Obama begrüßt "meine Freundin Angela Merkel". Deutschland, schwärmt er, werde einen besonderen Platz in seinem Herzen behalten, wegen des freundlichen Empfangs in Berlin als Präsidentschaftskandidat vor 220.000 Menschen im Juni 2008.
Womit wir beim Thema sind.

Nein, das ist nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Zwischen Obamas kühlem wenn nicht rüdem Verhalten gegenüber der Kanzlerin bei seinem Kurzbesuch in Deutschland vor drei Wochen und dem jetzigen Überschwang - wie immer bei Obama mit einem Stich ins Kitschige - hat sich nur allerdings etwas verändert: Die Umfragewerte für die deutschen Parteien.

Fast durchweg zeigen die Daten der Institute im Juni eine abfallende Tendenz für die SPD und das linke Lager und einen spiegelbildlichen Anstieg der Werte für Schwarzgelb. Bei der Forschungsgruppe Wahlen zum Beispiel lag Schwarzgelb Ende Mai bei 48 und die Volksfront bei 47 Prozent; Mitte Juni war es 50 zu 44 Prozent. Ähnlich sehen die Daten der anderen Institute aus.

Solche Umfragen verfolgt man natürlich auch in Washington. Präsident Obama muß gegenwärtig davon ausgehen, daß er auch für den Rest seiner Amtszeit nicht den Wunschpartner Steinmeier als deutsches Gegenüber haben wird, sondern die Kanzlerin Merkel. Es kann also nicht schaden, sie sich zu verpflichten, indem er ihr im Wahlkampf hilft. Es kostet Obama nichts; es wird ihm später nützen. Und die Kanzlerin nimmt dieses Geschenk natürlich gern entgegen.

Eigentlich sollte der Höhepunkt des Besuchs der gemeinsame Auftritt im Rosengarten des Weißen Hauses sein, mit wunderschönen Fotos und Filmaufnahmen für den CDU- Wahlkampf. Da spielte nun leider das Wetter nicht mit; aber daß der Präsident die Kanzlerin lobte, bleibt ja dennoch - siehe "Spiegel- Online" - in Deutschland nicht ungehört.

Ob Obamas Urteil über Merkel ("Chancellor Merkel is smart, practical, and I trust her when she says something" - sie sei smart, praktisch und er glaube ihr, wenn sie etwas sagt) nun allererste Sahne war, darüber kann man streiten; in einem Arbeitszeugnis wäre das wohl eher ein Minimallob. Aber solche versteckten Feinheiten werden gern überhört; für den Wahlkampf zählt nur das grobe Bild, wie es in die Medien gelangt.

Und das ist positiv. Obama benimmt sich eindeutig geschickter als Merkel selbst im vergangenen Jahr ihm gegenüber, als sie die Rede vor dem Brandenburger Tor verhinderte. Denn auch damals, Ende Juli 2008, zeichnete sich schon der Wahlsieg Obamas ab. An seinen Auftritt in Berlin hat Obama gestern erinnert; auch das wohl eine kleine, aber feine Spitze gegen Merkel.



Sicher war Obamas Wahlsieg damals natürlich noch bei weitem nicht. Sicher ist auch heute, drei Monate vor den Wahlen, natürlich der Sieg von Schwarzgelb nicht.

Aber es läuft gut. Es läuft weit besser als im Vorwahlkampf Ende März, als vieles für eine Niederlage von Schwarzgelb sprach.

Dazwischen liegen die Europawahlen, die der Union und der FDP Auftrieb gaben und die SPD in ein Stimmungstief stürzten; dazwischen liegt auch das erfolgreiche Management der Opel-Krise und der sich ausbreitende Eindruck, das Schlimmste sei in der Rezession überstanden. (Daß bei der Arbeitslosigkeit das Schlimmste noch bevorsteht, daß wir mit einer Inflation rechnen müssen, ist vielen Wählern wohl noch nicht klar).

Es herrscht in Deutschland in diesen Tage eine Stimmung des "Es wird schon irgendwie gut gehen". Man weiß sich bei dieser vernünftigen, starken Kanzlerin in guten Händen, sozusagen. Keine Experimente, diese Haltung scheint sich auszubreiten.

Das ist eine Momentaufnahme, so wie die Ende März. Seither ist ein Vierteljahr vergangen, und ein Vierteljahr dauert es noch bis zur Wahl. Das Pendel kann in dieser Zeit auch wieder zurückschwingen. Der eigentliche Wahlkampf liegt ja noch vor uns.

Und das ist das vielleicht Seltsamste an dieser Wahl: Dreizehn Wochen vor dem Wahltag wird sie immer noch kaum wahrgenommen. Drei Monaten vor den US-Wahlen, Anfang August 2008, war der Wahlkampf schon auf seinem Höhepunkt. Bei uns gibt es ihn so richtig noch gar nicht.

Das liegt nicht an einem Unterschied in der Mentalität oder den Umständen der Wahl zwischen Deutschland und den USA. Es ist eine Besonderheit dieses Wahljahrs.

Schauen Sie sich zum Vergleich einmal die Galerie der Titelbilder des "Spiegel" im Wahljahr 1976 an. Schon im Januar "Tendenzwende?" mit Helmut Schmidt als Titelboy. Im Februar "Machtwechsel?", jetzt mit Helmut Kohl. Im März "Wandel in der CDU" mit dem CDU- Hoffnungsträger Albrecht auf dem Titel. Im April "Jungwähler - Schwenk zur CDU", mit einem Gespräch mit Helmut Schmidt über die Wahlaussichten der sozialliberalen Koalition. Ebenfalls im April "Was will die FDP?" über die Möglichkeit eines Koalitionswechsels der FDP nach den Wahlen. Und so fort, bis es dann in den Wochen vor der Wahl kaum noch andere Titelthemen gab.

Es muß wohl schon diese heiter- resignierende Gelassenheit sein, mit der wir Deutschen diese Krise durchleben, daß wir in diesem Jahr so gar nicht in Stimmung fürs Kämpfen kommen, und sei es auch nur das Wahlkämpfen.



Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.