26. Oktober 2006

Das androgyne Rendezvous

Nachdem man Ende der fünfziger Jahre gelernt hatte, Satelliten ins All zu schießen, galt es Anfang der sechziger Jahre hauptsächlich zwei Probleme zu lösen: Erstens das Rückkehrproblem (re-entry problem): Wie bekommt man einen Satelliten nicht nur hoch, sondern auch wieder heil runter, zumindest Teile von ihm? Zweitens das Rendezvous-Problem: Um eine Raumstation zusammenzubauen, oder ein Mondgefährt, muß man Teile getrennt hochschießen, und sie müssen sich im Orbit treffen. Eben ein Rendezvous durchführen.

Das war ein immenses Problem. Zum einen wegen der räumlichen und zeitlichen Größenordnung: Zwei Objekte, die auf verschiedenen Bahnen mit einem Umfang von jeweils mehr als 40 000 km mit rund 28 000 km/h fliegen, müssen so gesteuert werden, daß sie sich annähern und schließlich berühren, und zwar sanft. Zweitens gelten im Orbit die Gesetze der Himmelsmechanik, die ein ganz anderes Navigieren verlangen als auf der Erde oder auf den Weltmeeren - beschleunigt man zum Beispiel einen Satelliten, dann verlagert man ihn dadurch auf eine höhere Bahn, statt ihn einfach nur voranzubewegen.

Ein Teil, der sozusagen abschließende Teil des Rendezvous-Problems war das Problem der Kopplung (docking). Jedenfalls im All ist das Ziel des Rendezvous die körperliche Vereinigung - die Herstellung eines neuen Raumgefährts aus den beiden Komponenten, die das Rendezvous durchgeführt haben. Entweder permanent, wie beim Zusammenbau einer Raumstation. Oder temporär, wenn zum Beispiel ein Versorgungsraumschiff an eine Raumstation andockt und sie später wieder verläßt, um zur Erde zurückzukehren.

Wie kritisch dieses Andockmanöver ist, zeigt ein Unfall bei einem solchen Manöver, der im Juni 1997 fast zum Ende der sowjetischen Raumstation Mir geführt hätte; das Versorgungsraumschiff Progress war bei dem Versuch des Andockens in die Station hineingekracht.



Anfang der sechziger Jahre arbeiteten also die USA und die UdSSR parallel an der Lösung des Rendezvous-und Dockingproblems. Was das Docking angeht, fanden beide dieselbe Lösung, die sie der Natur abgeguckt hatten: Das eine Raumschiff hatte eine Art Stab an seiner Spitze. Das andere verfügte über eine trichterförmige Öffnung. Der Stab (genannt die männliche Komponente) brauchte nur die große Öffnung des Trichters (die weibliche Komponente) zu treffen und wurde von dieser dann zwangsläufig in seine genaue Endposition geführt.

Das erste derartige Andockmanöver gelang den Amerikanern im März 1966, als die Raumkapsel Gemini VIII an eine Agena-Endstufe andockte, die mit einer Atlas-Rakete in den Orbit geschossen worden war. Die Sowjets hatten zwar schon einige Jahre zuvor einen sogenannten "Gruppenflug" zweier bemannter Raumschiffe (Wostok 3 und 4) durchgeführt; diese hatten sich aber nur auf Sichtweite angenähert. Das erste Andockmanöver zwischen zwei bemannten Raumschiffen gelang ihnen 1969. Das eine Raumschiff mit einer weiblichen, das andere mit einer männlichen Andockvorrichtung.



Der sehr verdienstvolle Sender Phoenix begleitet die aktuelle Mission des deutschen Astronauten Thomas Reiter dreimal in der Woche mit der viertelstündigen Sendung All-Tag. Vergangenen Montag würde über Unterschiede zwischen der russischen und der amerikanischen Raumfahrt berichtet. Dabei ging es auch um das Apollo-Sojus-Projekt:

Anfang der siebziger Jahre entstand vor dem Hintergrund der politischen Entspannung die Idee eines gemeinsamen Flugs eines Sojus- und eines Apollo-Raumschiffs, komplett mit Andocken und Begegnung der Besatzungen. Und wie Phoenix berichtet, gab es unter den vielen Problemen, die für dieses gemeinsame Unternehmen zu lösen waren, ein besonders bizarres: Welches der beiden Raumschiffe sollte beim Rendezvous und Andocken den männlichen, welches den weiblichen Part spielen? So, wie es der dazu befragte Experte schilderte, war keine Seite bereit, sich mit dem weiblichen Part zu begnügen.

Was tun? Man erfand einen geschlechtsneutralen Docking-Mechanismus, das Androgyne System zur peripheren Verbindung. Zwei identische Ringe mit einer Art Rosetten, die ineinandergreifen, ungefähr wie die Finger von zwei Händen. So brauchte keine der beiden Seiten den weiblichen Part zu spielen.



Eine schöne Geschichte, finde ich. Sie zeigt, welche absurden Gesichtspunkte die Raumfahrttechnik berücksichtigen mußte und muß.

Und ja nicht nur die Technik. Daß man Menschen ins All schickt, statt das Geld für automatische Systeme auszugeben, ist kaum rational zu rechtfertigen. Gar jetzt - wie die USA es beschlossen haben - wieder Menschen auf den Mond zu verfrachten, mit dem Fernziel, sie auch noch auf den Mars zu hieven, ist eine Geldverschwendung sondergleichen.

Wissenschaftlich betrachtet ist es das. Aber politisch halt nicht. Denn die Chinesen lauern. Sie haben bereits Menschen in die Umlaufbahn geschickt, sie haben ein sehr intensiv betriebenes Mondlandeprogramm. Den Amerikanern bleibt, wollen sie nicht ihre Hegemonie in Frage gestellt sehen, gar nichts anderes übrig, als ihrerseits wieder Astronauten auf den Mond zu schicken.

Wahrscheinlich, anders als beim Apollo-Programm, männliche wie weibliche. Und, wer weiß, vielleicht auch androgyne.