12. Mai 2012

US-Präsidentschaftswahlen 2012 (26): Das erste große Thema dieses Wahlkampfs ist die Homosexuellen-Ehe. Wird Obama oder Romney davon profitieren?

Bis zur offiziellen Nominierung der beiden Kandidaten sind es noch einige Monate; aber seit feststeht, daß Mitt Romney der Kandidat der Republikaner - der GOP - sein wird, hat der Wahlkampf faktisch begonnen. Jetzt hat er sein erstes großes Thema: Die Frage einer Eheschließung zwischen Homosexuellen.

Im Deutschen hat sich dafür der flapsige Begriff "Schwulenehe" einge­bürgert, wie auch im Englischen gay marriage. Beides ist nicht richtig, denn die Bezeichnungen "schwul" und gay, die sich in der Umgangssprache festgesetzt haben, bezeichnen nur männliche Homosexuelle. Es geht aber um Ehen ebenso zwischen lesbischen Frauen.

Das Thema ist von Präsident Obama Mitte dieser Woche in den Wahlkampf eingeführt worden; wohl nicht ganz freiwillig.­

Zunächst nämlich hatte sich sein Vize Joe Biden einen seiner habituellen Schnitzer geleistet; einmal mehr einen gaffe. Am vergangenen Sonntag trat er in der Sendung "Meet the Press" von MSNBC auf und sagte dort, er sei "absolutely comfortable" mit gay marriage; diese sei ihm absolut recht.

Das brachte Obama in Zugzwang, sich seinerseits zu erklären. Er tat es am Mittwoch in einem Interview mit dem Sender ABC, in dem er sagte, seine Ansicht dazu habe sich "entwickelt" (evolved). Und dann:
At a certain point I've just concluded that for me, personally, it is important for me to go ahead and affirm that I think same-sex couples should be able to get married.

An einem gewissen Punkt habe ich einfach die Folgerung gezogen, daß es für mich - persönlich - für mich wichtig ist, den Schritt zu tun und deutlich zu sagen, daß ich glaube, daß gleichgeschlechtliche Paare heiraten können sollten.
Damit war das Thema im Wahlkampf. Es mag Zufall sein oder nicht, daß einen Tag danach die Washington Post einen offenbar lange vorbereiteten Artikel publizierte, in dem steht, daß Mitt Romney als Schüler einen vermutlich homosexuellen Schulkameraden drangsaliert habe (siehe Schock über Mitt Romney. Was tat er als Schüler?; ZR vom 11. 5. 2012). Jedenfalls heizte das die Debatte zusätzlich an.



Wie wird sich das auf die Chancen der beiden Kandidaten auswirken? Darüber gibt es jetzt eine ausgedehnte Diskussion; und die Gesichtspunkte, die dabei ins Feld geführt werden, zeigen die Komplexität der Effekte, die ein solches Thema auf das Verhalten von Wählern haben kann; jedenfalls nach der Vermutung von Politologen und Journalisten.

Auf den ersten Blick scheint alles klar zu sein. Gallup hat vorgestern eine Umfrage durchgeführt, in der den Befragten die Äußerung des Präsidenten genannt wurde, mit der anschließenden Frage: Sind Sie mit seiner Position zu dieser Frage einverstanden oder nicht einverstanden? 51 Prozent erklärten sich einverstanden, 45 Prozent nicht einverstanden. Wie zu erwarten, waren die Demokraten überwiegend (zu 71 Prozent) einverstanden und die Republikaner (zu 74 Prozent) nicht. Die Unabhängigen, auf die es bei der Wahl ankommen wird, waren zu 53 Prozent einverstanden und zu nur 44 Prozent nicht.

Also hat Obamas Stellungnahme ihm genützt? So einfach ist es nicht.

Denn >Gallup hat noch eine weitere Frage gestellt: Ob Obamas Stellungnahme es für den Befragten wahrscheinlicher mache, daß er für Obama stimmt, ob sie das weniger wahrscheinlich mache, oder ob das keinen Einfluß habe?

Für die meisten Befragten hatte es keinen Einfluß. 13 Prozent entschieden sich für "wahrscheinlicher", aber 26 Prozent für "weniger wahrscheinlich". Bei den Unabhängigen sahen die Werte ähnlich aus wie in der Gesamtstichprobe. Bei den Demokraten gab es überwiegend Zustimmung, aber nicht ausgeprägt (24 Prozent "wahrscheinlicher", 10 Prozent "weniger wahrscheinlich").

Ganz anders sah das Antwortmuster aber bei den Republikanern aus: Mehr als die Hälfe (52 Prozent) erklärten, diese Äußerung Obamas mache es für sie weniger wahrscheinlich, ihn zu wählen (kein Einfluß: 46 Prozent; wahrscheinlicher: 2 Prozent).

Gallup weist darauf hin, daß die Anhänger der GOP, die "weniger wahrscheinlich" angaben, vermutlich Leute waren, die ohnehin Obama nicht gewählt hätten. Was sie mit ihrer Antwort sagen wollten, das war: Jetzt erst recht nicht!



Mit anderen Worten: Dieses Thema mobilisiert die Republikaner, und speziell den rechten Flügel der GOP - die Evangelikalen, die Traditionalisten. Genau dort aber liegt bisher das Defizit von Mitt Romney.

Um zu gewinnen, muß ein Kandidat es schaffen, zugleich Wähler der Mitte zu erreichen und die Basis der eigenen Partei zu mobilisieren. Im ersten Punkt war Romney von Anfang an allen seinen Mitbewerbern in der GOP überlegen. Umso mehr haperte es an Begeisterung der (überwiegend konservativen) Basis der Partei für ihn (siehe Obamas Schwäche und das Dilemma der Republikaner; ZR vom 14. 12. 2011).

Das könnte sich mit der Debatte über die Homosexuellen-Ehe ändern. "Obama gay marriage endorsement mobilizes Christian conservatives" überschreibt die Washington Post heute einen Artikel zu diesem Thema; "Obamas Unterstützung für die Schwulenehe mobilisiert die christlichen Konservativen".

Die religiöse Rechte macht, so steht es in dem Artikel von Dan Eggen und Sandhya Somashekhar, vom morgigen Sonntag an mobil. Geistliche in Staaten wie Ohio, North Carolina und Florida bereiten Predigten zu diesem Thema vor. Kampagnen werden geplant, in denen zur Wahl Romneys aufgerufen werden soll. Die Autoren zitieren Phil Burress, einen konservativen Kämpfer gegen die Homosexuellen-Ehe:
So many people were rather lukewarm toward governor Romney and were really looking for some more tangible reasons to support him. Then lo and behold, it just fell out of the sky when Obama came out and endorsed same-sex marriage. . . . We are going to make this our key issue: the attack on marriage.

Jede Menge Leute waren gegenüber Gouverneur Romney eher lauwarm und haben nach einem griffigeren Grund gesucht, ihn zu unterstützen. Und dann - sieh da! - fiel er einfach vom Himmel, als Obama sich outete und gleichgeschlechtliche Ehen unterstützte. ... Wir werden das zu unserem zentralen Thema machen: Den Angriff auf die Ehe.
Der Effekt von Obamas Vorstoß ist also ein wenig paradox: Zwar trifft er insgesamt auf Zustimmung, zumal in seiner eigenen Partei (siehe dazu die gestrige Analyse von Nate Silver). Aber seinem Gegner Romney hat er frei Haus das geliefert, was dieser - der die gleichgeschlechtliche Ehe eindeutig ablehnt - dringend braucht: Den Schulterschluß mit der konservativen Basis der GOP.

Es kommt ein Zweites hinzu: Diese religiöse Basis ist gerade in einigen der Swing States stark, der Staaten auf der Kippe, die manchmal einen Demokraten und manchmal einen Republikaner wählen. Wie Alexis Simendinger und Erin McPike im Internet-Magazin RealClearPolitics schreiben, betrifft das vor allem drei Staaten, die Obama vor vier Jahren nur knapp gewann: North Carolina (mit einam Abstand von nur 14.000 Stimmen), Ohio (Abstand 262.000 Stimmen) und vielleicht auch Florida mit seinen vielen Rentnern, die zwar überwiegend keine Evangelikalen sind, aber in ihrer Altersgruppe doch der Homosexuellen-Ehe weniger aufgeschlossen gegenüberstehen.

So könnte Obamas Vorstoß also doch seinen Aussichten schaden. Andererseits - auch das schreiben Simendinger und McPike - hat er für ihn auch einen positiven Effekt: Wohlhabende Homosexuelle waren bisher zögerlich, den Wahlkampf von Obama finanziell zu unterstützen. Das dürfte sich jetzt ändern. Schon kommenden Montag wird der Präsident in New York an einem Treffen mit Homosexuellen teilnehmen, das der Sammlung von Wahlkampfspenden dient.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008.