17. Mai 2012

Zitat des Tages: Wie die Basisdemokratie und wie die Transparenz bei der Piratenpartei funktioniert. In Berlin jedenfalls

Auch die Abstimmungssoftware Liquid Feedback wurde gezielt eingesetzt, um Semken wieder loszuwerden. In einer nur wenige Tage dauernden Schnellabstimmung entschieden sich die Piraten Anfang Mai für eine Neuwahl des Vorstands im September. Nur 81 von etwa 3000 Landesmitgliedern stimmten dafür, trotzdem will der Vorstand das Ergebnis akzeptieren und sich im Herbst der Wahl stellen.
Aus einem Artikel über die Berliner Piratenpartei in "Spiegel-Online" vom 12. Mai.

Kommentar: Gestern gab es zu diesem Artikel eine aktuelle Fortsetzung in Form eines "Stundenprotokolls" über eine Sitzung in der Nacht zum gestrigen Mittwoch und deren Folgen.

Es ging und geht um Menscheleien, um Personalquerelen, wie sie in jeder Partei ebenso an der Tagesordnung sind wie in einem Kaninchenzüchterverein oder einer wohltätigen Frauengruppe. Das ist wenig interessant. Bemerkenswert aber scheinen mir die Entscheidungsprozesse bei dieser Partei "Die Piraten" zu sein.

Die Basisdemokratie sieht so aus, daß in diesem Fall ungefähr 2,7 Prozent der Mitglieder über eine Neuwahl des Vorstands entschieden haben. Und wie sieht die Transparenz aus? Aus dem "Stundenprotokoll" von "Spiegel-Online":
Hartmut Semken verliest eine Stellungnahme der Vorstandsmitglieder. Darin erklären sie sich bereit, "Hilfsangebote" von erfahrenen Parteifreunden anzunehmen. Der Text enthält auch eine Passage zu einer geheimen Vorstandssitzung am vergangenen Donnerstag.
Geheim? Diese Sitzung des Vorstands eines Landesverbands einer im Abgeordnetenhaus vertretenen Partei "fand in der Privatwohnung eines Vorstandsmitglieds statt, weder die Presse noch andere Piraten durften teilnehmen". Und was warf man dem Vorsitzenden Semken vor? Daß er "gegen das Vertraulichkeitsgebot verstoßen hatte".



Die Berliner Piraten machen jetzt die Erfahrung, die schon zur Zeit der APO vor mehr als vier Jahrzehnten mit der "Basisdemokratie" gemacht wurden; und mit dem, was damals noch nicht "Transparenz" hieß, sondern "Öffentlichkeit aller Gremien":

Erstens bedeutet Basisdemokratie unweigerlich, daß sich die kleine Minderheit der politisch besonders Aktiven durchsetzt; derer vor allem, die viel Zeit haben, weil sie mehr oder weniger studieren oder weil sie arbeitslos sind. 2,7 Prozent entscheiden beispielsweise, wie jetzt in Berlin. Man konnte damals, um 1970 herum, "Vollversammlungen" an Massenunis erleben, in denen vielleicht drei Dutzend Leute die Entscheidungen trafen; streng basisdemokratisch.

Zweitens führt der Zwang zur Transparenz, führt die ständig verlangte Öffentlichkeit dazu, daß die Entscheidungen ins Geheime verlagert werden; dorthin, wo es überhaupt keine Kontrolle mehr gibt. In Zirkel, in Grüppchen und Freundes­kreise, die sich abzuschotten wissen.

Und wenn ein Vorstand tagt und Vertrauliches zu besprechen hat, dann in einer Privatwohnung, in der ungefähr so viel Transparenz herrscht, wie die Brühe transparent ist, in der der Koch seine Klöße hat ziehen lassen. ­
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.