5. Mai 2012

Wenn es um das Wohlbefinden geht, liegen in den USA die Republikaner vor den Demokraten. Ist die Religion der kritische Faktor?

Das demoskopische Institut Gallup führt nicht nur Umfragen der Art durch, wie sie vor allem in den Medien berichtet werden - wie der Präsident beurteilt wird, welcher Partei man zuneigt und dergleichen. Sondern Gallup ist, anders als die meisten Umfrageinstitute, auch ein sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut, das umfangreiche Untersuchungen zu politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sachverhalten veranstaltet.

Dazu gehört, daß Menschen danach befragt werden, wie gut es ihnen geht. Über derartige Umfragen auf internationalen Ebene habe ich gelegentlich berichtet (zum Beispiel Wo ist die Lebensqualität höher - in Deutschland oder in den USA?; ZR vom 2. 2. 2012). Aber auch in den USA selbst haben die Forscher von Gallup ihre Hand sozusagen ständig am Puls des Bürgers. Jetzt wurden überraschende Resultate publiziert:

Wer politisch den Republikanern zuneigt, der beurteilt sein Wohlbefinden als besser als Sympathisanten der Demokraten; noch schlechter urteilen darüber die Unabhängigen, die sich auf keine der beiden Parteien festlegen mögen.

Die Daten hierzu, über die Gallup gestern berichtet hat, stammen aus einem wahrhaft eindrucksvollen Forschungs­projekt. Darin wurden nicht Stichproben in der Größenordnung von 500, 1000 oder maximal 2000 befragt, wie bei den populären Umfragen. Sondern die Stichprobe, deren Daten jetzt ausgewertet wurde, umfaßte nicht weniger als 122.392 Republikaner, 126.429 Demokraten und 156.724 Unabhängige!

So etwas geht natürlich nicht innerhalb weniger Tage oder auch Wochen; die Befragung lief (telefonisch) vom 2. Januar 2011 bis zum 31. März 2012.

Warum betreibt man diesen Aufwand? Allein mit dem Ziel, den Meßfehler zu verringern, würde sich das nicht lohnen. Oberhalb einer Stichprobengröße von ungefähr 2000 wächst aus mathematischen Gründen die Genauigkeit nur noch sehr langsam, wenn man die Stichprobe weiter vergrößert. Anders gesagt: Die Kosten für einen Zugewinn an Genauigkeit steigen weit überproportional.

Um größere Genauigkeit geht es nicht. Sondern eine solche große Stichprobe ermöglicht es, zahlreiche Untergruppen zu bilden. Man kann die Befragten aufteilen - nicht nur, wie hier, nach Parteipräferenz, sondern zum Beispiel auch nach Bildung, Alter, Rasse (in den USA sehr wichtig - also Weiße, Schwarze, Hispanics, Asiaten), nach Wohnort, Familienstand usw. Die zahlreichen Untergruppen, die man so erhält, sind dann immer noch groß genug, um signifikante Ergebnisse zu erhalten.



Im jetzigen Fall war das besonders wichtig. Denn daß Republikaner ihr Wohlbefinden als besser einstufen als Demokraten, könnte natürlich an vielen anderen Faktoren liegen als der Parteipräferenz selbst: Republikaner sind zum Beispiel im Schnitt reicher als Demokraten, leben eher auf dem Land und dergleichen mehr. Jeder dieser Faktoren und jede Kombination solcher Faktoren könnte für den gefundenen Unterschied verantwortlich sein.

Die Größe der Stichprobe ermöglichte es, alle diese Faktoren zu "kontrollieren", wie man sagt - das heißt, mittels mathematischer Methoden ihre Wirkung herauszurechnen.

Das Ergebnis: Auch wenn man diese Faktoren berücksichtigt, sind Republikaner immer noch den Demokraten in ihrem Wohlbefinden voraus. Im Schnitt ist - als Beispiel - das Wohlbefinden von 30-35jährigen schwarzen Frauen mit Collegeabschluß und einem Jahreseinkommen von 40.000 Dollar, die auf dem Land wohnen, höher, wenn sie Republikanerinnen als wenn sie Demokratinnen sind.

"Wohlbefinden" (wellbeing) ist eine kombinierte Skala, die verschiedene Unterskalen erfaßt. Mit einer Ausnahme findet sich der Unterschied zwischen Anhängern der beiden Parteien durchgehend; auf Skalen wie beispielsweise "Körperliche Gesundheit", "Emotionale Gesundheit", "Arbeitsbedingungen". Die einzige Skala, auf der sich kein Unterschied fand, war "Lebensqualität" (Life Evaluation). Einzelheiten zu dieser Skala finden Sie in dem oben zitierten Artikel.



Wie kann man dieses Resultat interpretieren? Wie immer ist Gallup vorsichtig darin, voreilige Schlußfolgerungen zu ziehen. An den erfaßten demographischen Faktoren - Alter, Wohnort, Einkommen, Familienstand usw. - kann es nicht liegen. Aber ein Faktor wurde nicht erhoben, der aufgrund anderer Untersuchungen einen solchen Unterschied begründen könnte: Die Religiösität. Stark religiös eingestellte Menschen neigen in den USA eher den Repulikanern als den Demokraten zu.

In einer anderen, ähnliche umfassenden Befragung hat Gallup in den Jahren 2010/2011 unter anderem den Faktor der Religiosität untersucht. Nach ihrer Antwort auf entsprechende Fragen wurden die Befragten in drei Gruppen eingeteilt: Sehr religiös - mäßig religiös - nicht religiös. Sehr religiös waren nach diesem Kriterium 41 Prozent, mäßig religiös 28 und nicht religiös 31 Prozent.

Untersucht wurde das Wohlbefinden mit derselben Methode wie in der jetzigen Untersuchung. Die sehr Religiösen hatten nicht nur bei der allgemeinen Skala "Wohlbefinden" den (signifikant) höchsten Wert, sondern auch bei allen oben genannten Unterskalen, also körperliche Gesundheit, emotionale Gesundheit usw. Zwischen den mäßig und den gar nicht Religiösen gab es keine bedeutsamen Unterschiede.

Ist also die Relgion der kritische Faktor? Vielleicht. Aber sicher ist das keineswegs. Denn man kann natürlich wiederum fragen, warum denn der eine sehr religiös ist und der andere weniger oder gar nicht. Denkbar wäre - schreibt Gallup - beispielsweise, daß nicht das Wohlbefinden von der Religiosität abhängt, sondern daß umgekehrt Menschen, die sich wohlbefinden, auch offener für Religion sind.

Auch die Art, wie denn - wenn dies die Richtung der Kausalität sein sollte - Religiosität sich auf das Wohlbefinden auswirken könnte, ist offen. Aus anderen Untersuchungen weiß man, daß Menschen mit vielen sozialen Kontakten auch ein hohes Wohlbefinden haben. Menschen mit hoher Religiosität haben durch ihr Engagement in Kirchengemeinden viele soziale Kontakte.

Ist dies also vielleicht der entscheidende Faktor? Oder suchen umgekehrt Menschen mit hohem Wohlbefinden mehr soziale Kontakte als diejenigen, die sich weniger wohl fühlen?

Es ist in den Sozialwissenschaften relativ leicht, signifikante Korrelationen zu finden. Es ist sehr schwer - nicht selten ein nahezu aussichtsloses Unterfangen - zu entscheiden, was Ursache und was Wirkung ist.­
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette vom Autor Mohs Rahman unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic-Lizenz freigegeben.