6. Mai 2012

Frankreichs Wahljahr 2012 (9): Hollandes Sieg. Kleiner Liveticker (Abschließende Aktualisierung)












17.30 Uhr: Dieser Liveticker wird wahrscheinlich kürzer sein als derjenige zum ersten Wahlgang vor zwei Wochen. Denn bereits jetzt zeichnet sich ab, daß es heute kein spannender Wahlabend werden wird.

Wie vor zwei Wochen um diese Zeit kursieren erste Schätzungen der demoskopischen Institute. Sie basieren auf Nachbefragungen (exit polls). Offiziell hatten die Institute hierauf verzichtet, um die Geheimhaltung bis 20 Uhr zu wahren. Offenbar finden sie aber doch statt. Diese Daten geben Hollande übereinstimmend zwischen 52 und 53 Prozent. Das würde sehr gut mit den Umfragen der letzten Tage übereinstimmen und etwas höher liegen als meine Prognose.

Diese Schätzungen vor 18 Uhr sind, was die genaue Höhe des Siegs von Hollande angeht, allerdings mit Vorsicht zu betrachten. Vor zwei Wochen kursierten derartige Daten, die sich später als grob falsch erwiesen. Beispielsweise wurden Marine Le Pen 20 Prozent gegeben (tatsächliches Ergebnis: 17,9 Prozent).

Ernst wird es erst ab 18 Uhr, wenn die ersten Ergebnisse von Auszählungen vorliegen. Sie kommen folgendermaßen zustande: Die Institute haben jeweils ca 100 Wahllokale ausgewählt, deren Ergebnisse bei früheren Wahlen gut mit dem Gesamtergebnis übereinstimmten; sozusagen ein verkleinertes Modell des ganzen Frankreich. Wenn in ihnen um 18 Uhr die öffentliche Auszählung beginnt, sitzen dort Kiebitze der Institute, die mitzählen und ab ungefähr 100 Wahlzetteln die Ergebnisse fortlaufend an die Rechner der Institute senden.

Dadurch sind Schätzungen möglich, noch bevor die ersten Wahlbezirke ihre Ergebnisse gemeldet haben.



18.20 Uhr: Inzwischen kursiert eine Schätzung des Instituts Sofres, die Hollande sogar bei 55 Prozent sieht. JSSNews, das sich auf "exzellente Quellen" aus dem Präsidialamt und dem Innenministerium beruft, nennt andererseits 52 Prozent.

Es wird berichtet, daß auf der Place de la Concorde, wo Sarkozys eventuelle Siegesfeier stattfinden sollte, die Aufbauten bereits wieder demontiert werden, während zur Place de la Bastille, wo die Siegesfeier der Sozialisten stattfinden würde, die Massen strömen. In der Parteizentrale der Sozialisten, Rue Solférino, herrsche "Hochstimmung".



19.30 Uhr: Das Rennen ist gelaufen. Um 19 Uhr verbreitete - wie vereinbart sie das mit dem Gesetz? - auch die Nachrichtenagentur AFP bereits die Schätzungen der Institute. CSA, TNS Sofres und Ipsos geben Hollande übereinstimmend 52 Prozent. Harris nennt eine Marge von 52,7 bis 53,3 Prozent.

In der französischsprachigen Schweiz titelt 20min.online bereits "Hollande est le nouveau président" - Hollande ist der neue Präsident.



19.50 Uhr: Die Absurdität des französischen Verbots, vor 20 Uhr Ergebnisse und Hochrechnungen öffentlich zu nennen, wird an einer Diskussion deutlich, die im Augenblick im Sender France24 stattfindet. Dort diskutiert eine illustre Runde, welche Folgen ein Wahlsieg Sarkozys hätte. Einer der Teilnehmer ist Jean-Marc Lech, Chef des demoskopischen Instituts Ipsos. Er muß so tun, als wüßte er nichts, und hat sich eben in aller Breite über die mögliche politische Entwicklung geäußert, falls Sarkozy gewinnen sollte.

Zustände wie im Sozialismus. ­



21.40 Uhr: Es liegen jetzt von drei Instituten die offiziellen Hochrechnungen vor. Das Ergebnis für Hollande lautet 51,8 Prozent (CSA), 51,9 Prozent (Harris, Ipsos) und 52,0 Prozent (TNS Sofres). Die Vorhersage eines Siegs von Hollande mit zwischen 50 und 52 Prozent hat sich als zutreffend erwiesen.

Derzeit laufen die ersten Endergebnisse aus den Départements ein. Beispielsweise hier oder hier können Sie verfolgen, wie sich die Karte Frankreichs allmählich mit blau oder rot gefärbten Départements füllt. Das Muster dürfte am Ende ähnlich aussehen wie nach dem ersten Wahlgang.



Montag, 2.50 Uhr: Die Auszählung ist jetzt nahezu abgeschlossen. Zwar bietet das Innenministerium noch kein vorläufiges amtliches Endergebnis an, sondern nur die Ergebnisse der einzelnen Départements. Der Grund ist, daß noch nicht alle Ergebnisse von Franzosen vorliegen, die im Ausland gewählt haben.

Die Medien verbreiten aber bereits ein Ergebnis, das mit dem Endergebnis nahezu identisch sein dürfte. Eine übersichtliche und detaillierte Übersicht bietet zum Beispiel der Figaro:
  • Hollande hat mit 51,67 Prozent gewonnen. Das ist weniger als die anfängliche gestrigen Schätzungen der meisten Institute (siehe oben die Eintragungen um 17.30 und 18.20 Uhr), entspricht aber meiner Prognose.

    Gegenüber 2007 hat Sarkozy 29 Départements verloren und keines hinzugewonnen. Auf dieser interaktiven Karte können Sie sich die Ergebnisse der einzelnen Départements ansehen. Wie schon beim ersten Wahlgang schließen die jetzt von Hollande eroberten Départements geographisch an die drei Zonen an, die auch 2007 schon von Ségolène Royal gewonnen worden waren: Die Bretagne, den Norden entlang der Kanalküste und den Südwesten.

  • Schon im ersten Wahlgang hatte sich die Zone im Südwesten nach Norden und Osten hin gegenüber 2007 vergrößert; im Osten bis zur Rhône, die in einem Fall (Département Isère) sogar überschritten wurde (siehe die Eintragung vom Montag, 23.00 Uhr, in meinem damaligen Liveticker). Diese Zone konnte Hollande - das ist sein hauptsächlicher Zugewinn gegenüber dem ersten Wahlgang - jetzt auf die angrenzenden Départements Hautes Alpes und Alpes de Haute Provence ausdehnen. Der Grund dürfte sein, daß in dieser traditionell linken Region der Front National in den letzten Jahrzehnten den Kommunisten viele Wähler abgenommen hat; von ihnen hat sich vermutlich ein größerer Teil jetzt für Hollande entschieden.

  • Ein wichtiges Ergebnis ist der Prozentsatz der Wähler, die einen leeren Stimmzettel abgegeben oder sonstwie ungültig gewählt haben. Das ist im wesentlichen der harte Kern sowohl der Links- als auch der Rechtsextremisten, die grundsätzlich gegen "das System" eingestellt sind. Ungültig stimmten jetzt 5,84 Prozent.



  • Dies ist der letzte Eintrag dieses Livetickers. Anders als nach dem ersten Wahlgang verzichte ich auf eine weitere Aktualisierung, wenn das vorläufige amtliche Endergebnis vorliegt; denn mögliche kleine Korrekturen sind jetzt belanglos.

    Diese Serie geht aber weiter. Am 10. und 17. Juni finden die beiden Wahlgänge der Wahlen zur Nationalversammlung statt.

    Traditionell erhält ein neu gewählter Präsident von den Wählern bei diesen anschließenden Wahlen eine parlamentarische Mehrheit. Diesmal gibt es aber zwei Besonderheiten: Es ist unklar, was aus Sarkozys Partei UMP werden wird; ob einzelne Kandidaten beispielsweise lokale Absprachen mit dem FN treffen. Das ganze rechte Lager ist jetzt in Bewegung. Und auf der Linken gibt es nun statt der Traditionspartei KPF die (sie einschließende) Linksfront von Mélenchon. Auch hier wird man sehen, wie sie mit den Kandidaten von Hollandes Sozialisten verhandelt.

    Wenn man das gewissermaßen rein sportlich betrachtet, dann bleibt es also spannend. Da allerdings das Schicksal Frankreichs auf dem Spiel steht, ist Beklemmtheit wohl die angemessenere Reaktion.
    Zettel



    © Zettel. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Für Kommentare bitte hier klicken. Fotos vom Autor Guillaume Paumier unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic-Lizenz freigegeben. Beide Fotos wurden während des Wahlkampfs 2007 aufgenommen.