30. Mai 2012

Zettels Meckerecke: Das Germanistikstudium und der Duden. Studieren im Wolkenkuckucksheim

Leserkommentare zu Artikeln im Internet lese ich selten. Im Fall der aktuellen Kolumne von Harald Martenstein im "Zeit-Magazin" habe ich es einmal getan. Ich rechnete mit Kuriosa; und ich wurde nicht enttäuscht.

Es geht in dieser Glosse um die miserablen Kenntnisse deutscher Rechtschreibung und Zeichensetzung, die Martenstein bei Studenten der Germanistik (so schreibt er es jedenfalls) antraf, als er "wieder ein Seminar an der Universität besucht" hat. "Ich war jetzt der Dozent".

Die Beispiele sind erschreckend. Zum Format der Glosse (über das Martenstein vermutlich unterrichtet hat) gehört es nun allerdings, daß man als Leser nie so genau weiß, wo das Reale endet und die, sagen wir, Höhere Realität des Übertriebenen beginnt. Darin liegt ja wesentlich der Reiz. Wie auch immer - jedenfalls zitiert Martenstein beispiels­weise aus der Seminararbeit eines Germanistikstudenten:
Ich glaube das viele menschen gahr nicht Wissen wie schlimm es, um Die Germanistik, Steht und das bei uns Germaitn Vieles verbessert werden, könnte??
Diese Glosse also kommentieren jetzt die Leser von "Zeit-Online". Darunter der Kommentar Nummer 26, über den ich gern meckern möche:
26. Germanistik = Dudenstudium
Es ist den Leuten leider nicht beizubringen, dass das Germanistikstudium nicht daraus besteht, den Duden auswendig zu lernen. In diesem Studium beschäftigt man sich mit Literatur- oder Sprachwissenschaft (die u.a. aus Semantik, Morphologie, und ja, AUCH Grammatik besteht), und wird danach auch nicht Deutschlehrer - das wird man, wenn man Deutsch auf Lehramt studiert. Natürlich beschäftigt man sich in diesem Studium viel mit Texten und sollte daher auch die Rechtschreibung beherrschen, aber das gilt letztlich für die meisten Studiengänge. (...)
Geschrieben von jemandem, der sich offenbar ein wenig auskennt.

Umso schlimmer, kann ich da nur meckern. Ja, gewiß doch besteht das Studium der Germanistik nicht darin, daß man Rechtschreibung und Zeichensetzung lernt, oder gar den "Duden auswendig". Das Studium der Mathematik besteht auch nicht darin, daß man die Kenntnis der Euklidischen Geometrie erwirbt; und das Sportstudium nicht darin, daß man Klimmzüge übt.

Vielmehr wird vorausgesetzt, daß der angehende Mathematiker die Grundlagen der Geometrie kennt, daß der Sportstudent körperlich fit ist und daß eben auch derjenige, der sich mit der deutschen Sprache im Studium befaßt, diese in Wort und Schrift einwandfrei beherrscht.

Das ist derart trivial, daß ich nicht damit gerechnet hätte, dazu einmal eine Meckerecke zu schreiben. Aber es ist offenbar angezeigt. Augenscheinlich greift eine Wolken­kuckucks­heim-Mentalität um sich, deren zentraler Zug die Auffassung ist, daß man sich flugs in die Wolken begeben darf, auch wenn man nie auf dem Boden gestanden hat.

Solides Grundwissen? Wozu? Das kann man doch ergoogeln. Also gleich ab in die Höhen der Theorie!

Was muß jemand eine Sprache richtig schreiben können, um sich mit ihrer Morphologie zu befassen, oder mit ihrer Literatur? Er soll diese ja nur interpretieren, nicht selbst einen richtigen Satz zu Papier bringen können.

Warum soll der Sportlehrer nicht ein unbeweglicher Schlappi sein? Es sind ja seine Schüler, die sich bewegen sollen; nicht er.



Diese Mißachtung der Grundlagen ist das Erkennungszeichen des Schwätzertums, der Scharlatanerie.

Was den Fachmann ausmacht, das ist das Gegenteil: Die Gründlichkeit seiner Ausbildung. Beginnend mit dem Einfachen; mit dem, was man pauken muß und nicht sich einfach mal so "reinzieht".

Darin liegt der Wert des Propädeutischen. Der Student der Medizin lernt erst einmal, einen Frosch zu sezieren und den Grundumsatz zu bestimmen. Der spätere Pfarrer muß zu Beginn seines Studiums Latein, Griechisch und Hebräisch pauken. Physikstudenten müssen erst einmal ihre mathematischen Grundlagen aufpolieren, Studenten der Soziologie Statistik bimsen.

Und Studenten der Germanistik müssen selbstverständlich, falls sie Lücken in der sicheren Beherrschung des Deutschen - auch des Schriftdeutsch - haben, diese schließen, bevor sie mit diesem Studium beginnen. Wer da Mängel aufweist, der behebe sie entweder gründlich, oder er verzichte auf das Studium der Germanistik. Vielleicht ist er ja eher in seinem Element, wenn Klimmzüge verlangt sind; und nicht Orthographie und Zeichensetzung.­
Zettel



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