10. Mai 2012

Zettels Meckerecke: Eine Lanze für Norbert Röttgen

Nein, ich schätze Norbert Röttgen nicht. Ein Christdemokrat, grüner als die Grünen. Ein Karrierist. Ein geschniegelter Dauerlächler, von dem ich keinen Gebrauchtwagen kaufen würde.

Was ich jetzt schreibe, entspringt also keineswegs einer Sympathie für den Mann oder seine politischen Positionen. Es entspringt allerdings meiner Sympathie für das liberal-konservative Lager und meiner Antipathie gegen rotgrüne Politik. ­

Ich hätte mich deswegen gefreut, wenn es am kommenden Sonntag in NRW zu einem Sieg von Schwarzgelb gekommen wäre. Das war von vornherein aber nicht sehr wahrscheinlich; und mittlerweile ist es utopisch. Die letzten Umfragen geben Schwarzgelb - sollte die FDP es wieder in den Landtag schaffen - übereinstimmend 36 oder 37 Prozent.

Rotgrün andererseits liegt nicht weit von einer absoluten Mehrheit der Stimmen und hat damit gute Ausichten auf eine absolute Mehrheit der Mandate. Ganz sicher ist sie allerdings noch nicht; denn auch in NRW werden die Piraten in den Landtag einziehen; mit vermutlich zwischen 7 und 10 Prozent der Stimmen. Dann könnte es für Rotgrün unter Umständen doch noch knapp werden, was die absolute Mehrheit angeht.



Der Wahlkampf ist also in seiner letzten Phase durchaus noch spannend. Weniger für die CDU; deren Träume von einer schnellen Rückkehr an die Macht, dem sofortigen Wiederaufstieg sozusagen, sind ausgeträumt. Für die FDP aber steht es Spitz auf Knopf, was den Sprung über die 5-Prozent-Hürde angeht. Und Rotgrün muß eben noch um eine eigene Mehrheit bangen.

Da kann es nicht schaden, wenn die publizistischen Hilfstruppen von Rotgrün dem Spitzenkandidaten Röttgen noch einmal tüchtig Gegenwind geben. Und zwar mit Nichtigkeiten, die zu großen Meldungen aufgeblasen werden.

Da war Röttgen beispielsweise als Gast einer Talkshow von ZDF Info, nicht eben einem Massenprogramm, wieder einmal gefragt worden, ob er denn auch als Oppositionsführer in Düsseldorf zur Verfügung stehen würde. Seine Antwort, laut "Spiegel-Online":
Ja gut, also, müsste ich nicht, sondern ich meine, ich müsste dann eigentlich Ministerpräsident werden. Bedauerlicherweise entscheidet nicht alleine die CDU darüber, sondern die Wähler entscheiden darüber.
Ein dünnes Witzchen, eine übliche Redensart. So, wie der Fußballer vor dem Spiel sagt: "Wenn es nach uns ginge, würden wir gewinnen. Bedauerlicherweise entscheidet, wer die meisten Tore schießt".

Bedauert der Spieler damit, daß beim Fußball die Tore zählen? Natürlich nicht. Genausowenig hat Röttgen selbstredend bedauert, daß die Entscheidung vom Wähler getroffen wird. Aber über ihn ergießt sich wegen dieser harmlosen Bemerkung Häme im Internet, bis hin zu Äußerungen wie "NRW - Norbert Röttgen befürwortet Diktatur". Und "Spiegel-Online" verbreitet das genüßlich.

Kaum war diese Sau durchs Dorf getrieben, da trollte schon die nächste hinterher. Jusos hatten Röttgen erfolgreich hereingelegt und ihm etwas hingeschoben, damit er sein Autogramm darauf schreibe. Etwas, das sich dann als eine Bahnkarte zweiter Klasse von Düsseldorf nach Berlin entpuppte, datiert auf den Abend des Wahlsonntags. Die "Frankfurter Rundschau" entblödete sich nicht, diesen Pennälerstreich als "Patzer" und "Ausrutscher" Röttgens zu rubrizieren und am Beginn ihres Artikels ausführlich darüber zu berichten.

Und dann ist da die Sache mit Europa, die seit Tagen durch die Presse geht. Röttgen hatte auf einer Veranstaltung in Düsseldorf gesagt,
... nach dem Erfolg der Sozialisten in Frankreich und der Niederlage der Regierungsparteien in Griechenland stehe die Frage im Raum, ob der Euro-Kurs Merkels in Gefahr sei. Bei der Landtagswahl gehe es deshalb auch darum, ob der Kurs der Kanzlerin in Europa gestärkt werde "oder ob er durch eine Bestätigung einer Schuldenregierung auch in Deutschland geschwächt wird".
Vielleicht kein sehr starkes Wahlkampfargument, aber doch immerhin eines. Wenn man den Medien traut, dann erhob sich aber daraufhin in der Union, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, ein Sturm der Entrüstung. In "Zeit-Online" hat gestern Stephan-Andreas Casdorff unter der Überschrift "Röttgens Trick ist allzu durchsichtig" den Tenor dieser Kritik zusammengefaßt:
Was nun zunächst aussieht wie der Versuch, die Wahl auf eine höhere Bedeutungsebene zu bringen, ist bei genauerem Hinschauen ein Trick, mit dem Röttgen von sich abzulenken hofft. (...) In jedem Fall zieht er die Kanzlerin in seine Sache hinein. Verliert er, will wohl er nicht allein die Schuld haben, sondern sie nach oben delegieren.
Vielleicht. Zuzutrauen ist dem Taktiker Röttgen ein solches Denken um drei Ecken. Aber vielleicht wollte er ja wirklich nur das Thema "Schuldenpolitik", ein Kernthema des Wahlkampfs in NRW, in einen größeren Kontext stellen.

Wie auch immer - daß nun seit Tagen Röttgen wegen dieser Nichtigkeit, wie auch wegen der beiden anderen, an den Pranger gestellt wird, hat offenkundig die Wirkung und soll vermutlich auch dem Zweck dienen, den Spitzenmann der CDU zu diskreditieren. Röttgen wird nach allen Regeln der journalistischen Kunst heruntergeschrieben.

So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt, könnte man mit Goethes Tasso sagen. Oder kräftiger mit dem Berliner Volksmund: Nachtigall, ick hör dir trapsen.
Zettel



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