22. Mai 2012

Aufruhr in Arabien (27): Ab morgen wird der neue Präsident Ägyptens gewählt. Der Ausgang ist überraschend ungewiß

Nicht morgen wird in Ägypten gewählt, sondern ab morgen. Denn zum einen geht dieser Wahlgang übermorgen weiter; und zweitens ist es nur der erste von zwei Wahlgängen. Die Stichwahl findet am 16. und 17. Juni statt. Sie würde allerdings ausfallen, wenn morgen und übermorgen einer der 13 Kandidaten die absolute Mehrheit erringen sollte, was aber als so gut wie ausgeschlossen gilt.

Als ich Anfang April bereits einmal über diese Wahlen berichtet habe, waren zwei zentrale Punkte noch ungeklärt: Erstens, wer überhaupt antreten würde. Zweitens gab es ein Tauziehen zwischen dem Militär (dem SCAF - Supreme Council of the Armed Forces -, der herrschenden Militärjunta) und islamistischen Parteien über die künftige Machtverteilung­ (Die Lage in Ägypten vor den Präsidentschaftswahlen; ZR vom 10. 4. 2012).

Es ist danach noch recht turbulent geworden. Kandidaten wurden reihenweise disqualifiziert; ein Verwaltungsgericht in der Stadt Benha wollte die Wahl wegen eines formalen Mangels gar verbieten. (Das wurde aber schnell von der übergeordneten Instanz wieder repariert).

Wie ich in dem vorausgehenden Artikel erläutert habe, ist der Hintergrund des Tauziehens im Vorfeld der Wahlen das ungeklärte Machtverhältnis zwischen dem SCAF und den diversen islamistischen Parteien; vor allem der Moslem-Bruderschaft. Bereits vor dem Sturz Mubaraks war - so analysierte es schon damals Stratfor - klar, daß dies die beiden entscheidenden Kräfte im nachrevolutionären Ägypten sein würden; und nicht gemäßigte, demokratische Parteien, wie sie etwa der von unseren Medien so hochgeschätzte Mohammed ElBaradei repräsentiert.

Bis zu dem Parlamentswahlen hatte sich eine Übereinkunft zwischen diesen beiden Kräften abgezeichnet: Die Moslembrüder würden sich zunächst damit begnügen, das Parlament zu beherrschen, und keinen Kandidaten für die Präsidentschaft aufstellen; so daß das Amt des Präsidenten in den Machtbereich des SCAF fallen würde.

Nach dem überwältigenden Wahlsieg nicht nur der Moslembrüder, sondern auch der noch radikaleren Salafisten bei den Wahlen im Dezember kam aber Bewegung in die Lage. Gegen den Willen seiner Partei meldete zunächst der Moslembruder Abdel Moneim Aboul Fotouh seine Kandidatur an und wurde deshalb aus der Partei ausgeschlossen. Die Moslembrüder schickten dann aber als ihre Reaktion überraschend (und offenkundig mit dem Militär abgesprochen) doch einen eigenen Kandidaten ins Rennen, Khairat El-Shater. Der Dritte im Bunde wurde der Salafist Hasim Salah Abu Ismail.

Von ihnen ist jetzt nur noch Fotouh übriggeblieben. El-Shater wurde disqualifiziert, weil er eine Gefängnisstrafe hinter sich hat. Das SCAF hatte ihn im Rahmen des Deals mit den Moslembrüdern zwar, um dieses Hindernis wegzuräumen, begnadigt; aber dies war von den Gerichten und der Wahlkommission nicht anerkannt worden.

Die Moslem-Bruderschaft nominierte an seiner Stelle ihren Vorsitzenden Mohamed Morsy. Hazem Salah Abu Ismail, der Salafist, wurde disqualifiziert, weil seine Mutter neben der ägyptischen auch die US-Staatsbürgerschaft besessen hatte. Ein Appell an ausgerechnet Präsident Obama, zugunsten dieses Kandidaten tätig zu werden, hatte nichts erbracht.



So, wie die Lage Anfang April war, hätte diese Entwicklung bedeutet: Die Ägypter entscheiden sich in dieser Wahl zwischen zwei Moslembrüdern - dem offiziellen Kandidaten der Partei, Mohamed Morsy, und dem Ex-Moslembruder Abdel Moneim Aboul Fotouh. Aber inzwischen hat sich die Lage geändert. Der Untertitel meines damaligen Artikels war gewesen: "Die Frage ist nur noch, wie radikal der islamistische Sieger sein wird". Heute würde ich das nicht mehr schreiben. Denn wie es nach Revolutionen nicht selten geht - das Glück scheint sich zu wenden, die Massen haben ihre Gunst anscheinend neu verteilt.

Im April hat Gallup die Serie seiner regelmäßigen Umfragen in Ägypten fortgesetzt; mit einem überraschenden Resultat:

Bis dahin war seit dem Sturz Mubaraks der Zulauf zu den Moslembrüdern und den Salafisten immer weiter gewachsen (Moslembrüder: von 17 Prozent Zustimmung im Juli 2011 auf 63 Prozent im Februar 2012; Salafisten: von 5 Prozent auf 37 Prozent im selben Zeitraum). Nun aber hatte sich dieser Trend überraschend umgekehrt: Im April fiel die Zustimmung zur Moslem-Bruderschaft auf 42 Prozent, diejenige zu den Salafisten auf 25 Prozent. Binnen zweier Monate hatten sie je rund ein Drittel ihrer Anhänger verloren.

Darin scheint sich vor allem eine Unzufriedenheit mit dem Verhalten der Moslembrüder und der Salafisten im Parlament seit ihrem Wahlsieg im Dezember auszudrücken. Beispielsweise hatten im Februar noch 46 Prozent der Befragten gesagt, der Premierminister solle vom Parlament gewählt werden. Im April waren es nur noch 27 Prozent. Eine Mehrheit (44 Prozent) wollte jetzt, daß der Premier vom Präsidenten bestimmt wird; im Februar hatten das nur 27 Prozent befürwortet.



Wenn dieser Stimmungsumschwung so existiert, wie Gallup ihn gemessen hat, dann könnte es einen überraschenden Wahlausgang geben. Neben den genannten frommen Kandidaten gibt es nämlich zwei aus dem traditionellen Machtapparat, von denen jeder von der gewandelten Stimmung profitieren könnte.

Der eine ist Amr Moussa, der zehn Jahre lang (von 2001 bis 2011) Generalsekretär der Arabischen Liga gewesen war; zuvor ebenfalls ein Jahrzehnt lang Mubaraks Außenminister. Ein Karrierediplomat, der schon in den Tagen der Revolution immer wieder als der neue Führer Ägyptens genannt worden war; der dann aber alle Chancen in der Welle des Islamismus verloren zu haben schien.

Der zweite säkulare Kandidat ist Ahmed Shafik, dem und dessen Wahlkampf in Time Magazine Abigail Hauslohner heute ein ausführliches Porträt widmet. Der Berufssoldat war unter Mubarak Oberbefehlshaber der Luftwaffe gewesen; natürlich ist er der bevorzugte Kandidat des Militärs. Während der Revolution hatte Mubarak ihn noch in einem letzten Versuch, sein Regime zu retten, zum Premierminister gemacht.

Shafik hat nie einen Hehl aus seiner Nähe zu Mubaraks Regime gemacht. Noch vor wenigen Wochen hätte er keine Chance gehabt. Aber in der gewandelten Stimmung ist das anders. Letzte Umfragen sehen ihn an zweiter oder sogar an erster Stelle.

Es gibt also ein Viererfeld, von dem nicht zu sagen ist, wer die beiden ersten Plätze belegen und sich damit für die Stichwahl qualifizieren wird: Die beiden Frommen Mohamed Morsy und Abdel Moneim Aboul Fotouh; die beiden Säkularen, der Ex-Diplomat Amr Moussa und der Ex-General Ahmed Shafik.

Abigail Hauslohner zitiert einen ägyptischen Politologen, Shadi Hamid, der ihre Kandidaturen auf diese Formeln bringt:
  • Abdel Moneim Aboul Fotouh: "Laßt uns die Parteienstreitereien überwinden"; Vorbild Obamas Wahlkampf 2008.

  • Mohamed Morsy: "Wir stehen zur Moslem-Bruderschaft".

  • Ahmed Shafik: "Nostalgie für die gute alte Zeit"

  • Amr Moussa: "Wechsel, aber nicht zuviel davon".
  • Was sagen die Umfragen? Sie sind uneinheitlich, im Trend aber überraschend.

    Die BBC hat am letzten Freitag die Daten zusammengestellt. Je nach Institut liegt einmal Shafik, einmal Moussa vorn. Fotouh und Morsy bleiben beide unter 20 Prozent.

    Am Sonntag ist ein weiterer Überblick der ägyptischen Zeitung Al Ahram erschienen.

    Danach führt Moussa mit 31,7 Prozent, hat aber gegenüber der letzten Umfrage vor einer Woche (40 Prozent) stark verloren. Shafik liegt danach auf dem zweiten Platz, hat aber mit 22,6 Prozent fast drei Prozentpunkte hinzugewonnen. Die beiden islamistischen Kandidaten liegen mit je knapp 15 Prozent gleichauf. Den Rest teilen sich kleinere Kandidaten. Der wichtigste von ihnen ist der Nasserist Hamdeen Sabbahi mit ungefähr 11 Prozent.



    Kein Kandidat ist also in der Nähe eines Siegs schon im ersten Wahlgang.

    Für die Zukunft entscheidend sein wird, ob sich in der Stichwahl - was die Umfragen anzudeuten scheinen - die beiden säkularen Kandidaten gegenüberstehen werden; dann dürfte Ägyptens Weg in den Islamismus erst einmal gestoppt sein.

    Hat andererseits einer von ihnen einen der islamistischen Kandidaten zum Gegner in der Stichwahl, dann hätte dieser ausgezeichnete Chancen, weil er vermutlich die Stimmen aller Islamisten auf sich vereinen würde; auch der Salafisten, die durch die Disqualifikation ihres Kandidaten morgen und übermorgen erst einmal nicht zum Zuge kommen.
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Großmoschee von Kairouan, Tunesien. Vom Autor Wotan unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.