Da dominieren die Bayern das Spiel von der ersten bis zur letzten Minute. Der Gegner bietet eine Leistung, als entstamme er einer anderen Liga. Und am Ende geht Chelsea als Sieger vom Platz, Besitzer der Trophäe.
So ungerecht kann Fußball sein. So schön kann Fußball sein!
"Schweini, wir weinen mit dir", titelt "Bild". Nein, ich kann da nicht mitweinen.
Nicht, weil ich etwas gegen die Bayern habe. Auch nicht, weil ich eine sadistische Freude daran hätte, den Besseren am Boden zu sehen. Sondern weil so etwas - die schreiende Ungerechtigkeit - zum Fußball gehört und seinen Reiz ausmacht. Unter anderem seinen Reiz ausmacht. Weil gerade dies seinen Reiz ausmacht.
Was macht überhaupt den Reiz des Fußballs aus? Vor zwei Jahren habe ich mir - es war die Zeit der WM in Südafrika - einmal Gedanken darüber gemacht, warum der Fußball eigentlich so beliebt ist; Zweitfassung eines schon etwas älteren Artikels (Warum ist der Fußball eine so attraktive Sportart?; ZR vom 12. 6. 2010).
Mir scheint da mancherlei eine Rolle zu spielen; die typische Spannungskurve eines Spiels zum Beispiel, der Wechsel zwischen Spielfluß und Zweikampf. Archaisches wie die Grundelemente - gewissermaßen die Ursituationen - der Eroberung und der Verteidigung. Zivilisatorisches wie die Notwendigkeit für die Spieler, Aggression zu entwickeln und sie zugleich zu kontrollieren. Einen Punkt habe ich damals aber nicht genannt; jedenfalls nicht ausdrücklich: Die Ungerechtigkeit, die dem Fußball von der Konstruktion des Spiels her eigen ist.
Diese Unrechtigkeit ergibt sich aus der Kombination von zwei Elementen: Tore sind seltene Ereignisse (rund drei fallen im Durchschnitt pro Spiel), und das Spiel ist - unter anderem, weil man mit den Füßen nicht so präzise einen Ball kontrollieren kann wie mit den Händen - mit einem starken Zufallselement versehen.
Tore sind seltene Ereignisse. Bei vielen Spielen entscheidet ein einziges solches Ereignis innerhalb von neunzig, hundertzwanzig oder - wie gestern - auch noch ein paar Minuten mehr über den Sieg. Und ob dieses seltene Ereignis eintritt oder nicht, das hängt in starkem Maß von physikalischen Abläufen mit Zügen chaotischer Systeme ab - ob ein Paß gerade noch ankommt oder nicht; ob ein Ball die Latte trifft und ins Spielfeld zurückprallt, oder ob er im Parallelogramm der Kräfte gerade eben über die Torlinie gelenkt wird.
Ja, gewiß, das war zum Weinen, wie Schweini beim Elfmeterschießen den Pfosten traf statt ins Tor; Zentimeter mögen den Ausschlag gegeben haben. Aber solche Augenblicke sind es, die wesentlich den Reiz des Fußballs ausmachen.
Sport lebt von der Spannung; also davon, daß man nicht weiß, wie die Sache enden wird. Je mehr solche Zufallsmomente eine Rolle spielen, je komplexer das Kausalgeflecht der Faktoren ist, die in ihrem Zusammenwirken über Sieg und Niederlage entscheiden, umso weniger kennt man das Ende. Umso spannender ist es also.
Es gibt Sportarten, bei denen dieses Zufallsmoment eine vergleichsweise geringe Rolle spielt und die deshalb nicht besonders spannend sind; sagen wir Dressurreiten. Da entsteht Spannung allenfalls dadurch, daß man auf einen Patzer des Pferdes wartet. Der Reiz liegt hier aber eher im Anschauen, in der Ästhetik des Ablaufs.
In der Gefahr, daß Zufall eine zu geringe Rolle spielt, um es wirklich spannend zu machen, sind auch Sportarten, in denen sehr viele Punkte erspielt werden. Tennis zum Beispiel. Da hängt es beim einzelnen Ballwechsel zwar vom Zufall ab, ob ein Ball gerade eben noch über das Netz rollt oder hängenbleibt; ob er noch die Linie berührt oder ins Aus geht. Aber da derartige Ereignisse ständig stattfinden, gilt das Gesetz der großen Zahl: Am Ende wird in der Regel derjenige mehr Punkte haben, der besser spielt.
Würde man beim Tennis einfach die Punkte addieren und eine bestimmte Spieldauer festlegen, nach welcher der Spieler mit den meisten Punkten gewonnen hat, dann wäre dies ein todlangweiliges und vermutlich längst ausgestorbenes Spiel. Die Spannung entsteht allein durch die raffinierte Art des Zählens; erfunden von den französischen Aristokraten, die das Jeu de Paume im sechzehnten Jahrhundert entwickelten. Sie sorgt für fortdauernde Spannung, weil das ganze Spiel über ständig binäre Entscheidungen fallen - wer ein Spiel gewinnt, einen Satz, schließlich das Match. Das kann derjenige sein, der weniger Punkte erspielt hat.
Beim Fußball braucht man nicht raffiniert zu zählen. Die Spannung entsteht dadurch, daß das Spiel ungerecht ist; ungerecht wie das Leben. Manchmal gewinnt der Bessere, oft aber der Glücklichere. So soll es sein, und so war es gestern. Kein Grund zum Weinen.
Noch eine kleine Meckerei. Wozu braucht ein im TV übertragenes Spiel eigentlich einen Kommentator, und gar einen wie gestern Wolff-Christoph Fuss?
Vermissen Sie denn den Kommentator, wenn Sie ein Spiel als Zuschauer auf dem Platz sehen? Ich nicht. Ich will ja Zuschauer sein und nicht Zuhörer. Hören will ich vielleicht die Schlachtengesänge, den roar, das Stöhnen und Jubeln der Menge um mich herum. Aber doch keinen Kommentator.
Gut, es gibt nun einmal den Tonkanal beim TV; also kann man ihn auch mit etwas mehr füllen als nur dem, was die Stadionmikrophone aufnehmen. Gegen eine Stimme aus dem Off, die gelegentlich die eine oder andere Information liefert, wäre ja nichts zu sagen - den Namen des ballführenden Spielers, eine fachmännische Beurteilung einer strittigen Szene, die eine oder andere Anmerkung zur Taktik vielleicht. Nicht jeder ist Fachmann, der sich ein Spiel ansieht; ich zum Beispiel bin es nicht.
Wenn es das denn wäre; wenn man es denn dabei belassen würde! Aber dieser Kommentator Fuss gestern - und er ist damit ja repräsentativ für seine Zunft - brabbelte in einem fort. Offenbar hatte er den Ehrgeiz, jede Information, die er in seinem Notebook gespeichert hatte, auch loszuwerden.
Während Robben chancenreich auf das Tor von Petr Čech zustürmte, erzählte er uns etwas über den Chelsea-Spieler Ashley Cole, der wegen seiner Gehaltsforderungen Cashley genannt werde. Wir wurden mit Informationen zugemüllt; erfuhren alle Wendungen in der Karriere der Akteure, bis hin zu einem Spiel gegen Ingolstadt II - und das alles, während das Spiel mit voller Dramatik lief. Der Mann konnte einfach den Mund nicht halten. Ein Dampfplauderer, ein Spaßverderber.
Was soll das? Stellen Sie sich einer Krimi oder einen Action-Film vor, bei dessen Aufführung ständig Untertitel mit Informationen über die Gage der Autoren, über frühere Filme des Regisseurs, über Sets und die Lebensgeschichte des Best Boys und des Gaffers laufen. Das wäre vergleichbar.
Man kann als TV-Zuschauer natürlich zur letzten Waffe greifen und den Ton abstellen; ich war angesichts dieser nervtötenden Dummschwätzerei nah daran. Aber dann geht eben auch ein wesentlicher Teil der Stadion-Atmosphäre verloren. Noch nicht einmal bei der WM vor zwei Jahren habe ich den Ton abgeschaltet; trotz des Terrors der Vuvuzelas.
Vielleicht gibt es Zuschauer, die so einen wie diesen Wolff-Christoph Fuss mit seinem Gerede brauchen. Ich will ihnen das ja nicht wegnehmen. Könnte man aber nicht wenigstens im Zweikanalton senden - wer will, der hört nur die Stadiongeräusche; und wem danach ist, der kann den Kommentator zuschalten?
So ungerecht kann Fußball sein. So schön kann Fußball sein!
"Schweini, wir weinen mit dir", titelt "Bild". Nein, ich kann da nicht mitweinen.
Nicht, weil ich etwas gegen die Bayern habe. Auch nicht, weil ich eine sadistische Freude daran hätte, den Besseren am Boden zu sehen. Sondern weil so etwas - die schreiende Ungerechtigkeit - zum Fußball gehört und seinen Reiz ausmacht. Unter anderem seinen Reiz ausmacht. Weil gerade dies seinen Reiz ausmacht.
Was macht überhaupt den Reiz des Fußballs aus? Vor zwei Jahren habe ich mir - es war die Zeit der WM in Südafrika - einmal Gedanken darüber gemacht, warum der Fußball eigentlich so beliebt ist; Zweitfassung eines schon etwas älteren Artikels (Warum ist der Fußball eine so attraktive Sportart?; ZR vom 12. 6. 2010).
Mir scheint da mancherlei eine Rolle zu spielen; die typische Spannungskurve eines Spiels zum Beispiel, der Wechsel zwischen Spielfluß und Zweikampf. Archaisches wie die Grundelemente - gewissermaßen die Ursituationen - der Eroberung und der Verteidigung. Zivilisatorisches wie die Notwendigkeit für die Spieler, Aggression zu entwickeln und sie zugleich zu kontrollieren. Einen Punkt habe ich damals aber nicht genannt; jedenfalls nicht ausdrücklich: Die Ungerechtigkeit, die dem Fußball von der Konstruktion des Spiels her eigen ist.
Diese Unrechtigkeit ergibt sich aus der Kombination von zwei Elementen: Tore sind seltene Ereignisse (rund drei fallen im Durchschnitt pro Spiel), und das Spiel ist - unter anderem, weil man mit den Füßen nicht so präzise einen Ball kontrollieren kann wie mit den Händen - mit einem starken Zufallselement versehen.
Tore sind seltene Ereignisse. Bei vielen Spielen entscheidet ein einziges solches Ereignis innerhalb von neunzig, hundertzwanzig oder - wie gestern - auch noch ein paar Minuten mehr über den Sieg. Und ob dieses seltene Ereignis eintritt oder nicht, das hängt in starkem Maß von physikalischen Abläufen mit Zügen chaotischer Systeme ab - ob ein Paß gerade noch ankommt oder nicht; ob ein Ball die Latte trifft und ins Spielfeld zurückprallt, oder ob er im Parallelogramm der Kräfte gerade eben über die Torlinie gelenkt wird.
Ja, gewiß, das war zum Weinen, wie Schweini beim Elfmeterschießen den Pfosten traf statt ins Tor; Zentimeter mögen den Ausschlag gegeben haben. Aber solche Augenblicke sind es, die wesentlich den Reiz des Fußballs ausmachen.
Sport lebt von der Spannung; also davon, daß man nicht weiß, wie die Sache enden wird. Je mehr solche Zufallsmomente eine Rolle spielen, je komplexer das Kausalgeflecht der Faktoren ist, die in ihrem Zusammenwirken über Sieg und Niederlage entscheiden, umso weniger kennt man das Ende. Umso spannender ist es also.
Es gibt Sportarten, bei denen dieses Zufallsmoment eine vergleichsweise geringe Rolle spielt und die deshalb nicht besonders spannend sind; sagen wir Dressurreiten. Da entsteht Spannung allenfalls dadurch, daß man auf einen Patzer des Pferdes wartet. Der Reiz liegt hier aber eher im Anschauen, in der Ästhetik des Ablaufs.
In der Gefahr, daß Zufall eine zu geringe Rolle spielt, um es wirklich spannend zu machen, sind auch Sportarten, in denen sehr viele Punkte erspielt werden. Tennis zum Beispiel. Da hängt es beim einzelnen Ballwechsel zwar vom Zufall ab, ob ein Ball gerade eben noch über das Netz rollt oder hängenbleibt; ob er noch die Linie berührt oder ins Aus geht. Aber da derartige Ereignisse ständig stattfinden, gilt das Gesetz der großen Zahl: Am Ende wird in der Regel derjenige mehr Punkte haben, der besser spielt.
Würde man beim Tennis einfach die Punkte addieren und eine bestimmte Spieldauer festlegen, nach welcher der Spieler mit den meisten Punkten gewonnen hat, dann wäre dies ein todlangweiliges und vermutlich längst ausgestorbenes Spiel. Die Spannung entsteht allein durch die raffinierte Art des Zählens; erfunden von den französischen Aristokraten, die das Jeu de Paume im sechzehnten Jahrhundert entwickelten. Sie sorgt für fortdauernde Spannung, weil das ganze Spiel über ständig binäre Entscheidungen fallen - wer ein Spiel gewinnt, einen Satz, schließlich das Match. Das kann derjenige sein, der weniger Punkte erspielt hat.
Beim Fußball braucht man nicht raffiniert zu zählen. Die Spannung entsteht dadurch, daß das Spiel ungerecht ist; ungerecht wie das Leben. Manchmal gewinnt der Bessere, oft aber der Glücklichere. So soll es sein, und so war es gestern. Kein Grund zum Weinen.
Noch eine kleine Meckerei. Wozu braucht ein im TV übertragenes Spiel eigentlich einen Kommentator, und gar einen wie gestern Wolff-Christoph Fuss?
Vermissen Sie denn den Kommentator, wenn Sie ein Spiel als Zuschauer auf dem Platz sehen? Ich nicht. Ich will ja Zuschauer sein und nicht Zuhörer. Hören will ich vielleicht die Schlachtengesänge, den roar, das Stöhnen und Jubeln der Menge um mich herum. Aber doch keinen Kommentator.
Gut, es gibt nun einmal den Tonkanal beim TV; also kann man ihn auch mit etwas mehr füllen als nur dem, was die Stadionmikrophone aufnehmen. Gegen eine Stimme aus dem Off, die gelegentlich die eine oder andere Information liefert, wäre ja nichts zu sagen - den Namen des ballführenden Spielers, eine fachmännische Beurteilung einer strittigen Szene, die eine oder andere Anmerkung zur Taktik vielleicht. Nicht jeder ist Fachmann, der sich ein Spiel ansieht; ich zum Beispiel bin es nicht.
Wenn es das denn wäre; wenn man es denn dabei belassen würde! Aber dieser Kommentator Fuss gestern - und er ist damit ja repräsentativ für seine Zunft - brabbelte in einem fort. Offenbar hatte er den Ehrgeiz, jede Information, die er in seinem Notebook gespeichert hatte, auch loszuwerden.
Während Robben chancenreich auf das Tor von Petr Čech zustürmte, erzählte er uns etwas über den Chelsea-Spieler Ashley Cole, der wegen seiner Gehaltsforderungen Cashley genannt werde. Wir wurden mit Informationen zugemüllt; erfuhren alle Wendungen in der Karriere der Akteure, bis hin zu einem Spiel gegen Ingolstadt II - und das alles, während das Spiel mit voller Dramatik lief. Der Mann konnte einfach den Mund nicht halten. Ein Dampfplauderer, ein Spaßverderber.
Was soll das? Stellen Sie sich einer Krimi oder einen Action-Film vor, bei dessen Aufführung ständig Untertitel mit Informationen über die Gage der Autoren, über frühere Filme des Regisseurs, über Sets und die Lebensgeschichte des Best Boys und des Gaffers laufen. Das wäre vergleichbar.
Man kann als TV-Zuschauer natürlich zur letzten Waffe greifen und den Ton abstellen; ich war angesichts dieser nervtötenden Dummschwätzerei nah daran. Aber dann geht eben auch ein wesentlicher Teil der Stadion-Atmosphäre verloren. Noch nicht einmal bei der WM vor zwei Jahren habe ich den Ton abgeschaltet; trotz des Terrors der Vuvuzelas.
Vielleicht gibt es Zuschauer, die so einen wie diesen Wolff-Christoph Fuss mit seinem Gerede brauchen. Ich will ihnen das ja nicht wegnehmen. Könnte man aber nicht wenigstens im Zweikanalton senden - wer will, der hört nur die Stadiongeräusche; und wem danach ist, der kann den Kommentator zuschalten?
Zettel
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Ttelbild: Die Münchner Allianz-Arena am 18. Mai 2012. Vom Autor Christoph Anton Mitterer unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic-Lizenz freigegeben.