16. Mai 2012

Urheberrecht und Mafiamethoden

Es gibt kein juristisches Thema, über das in Zettels kleinem Zimmer so oft, so ausgiebig und so leidenschaftlich diskutiert wurde und wird, wie das Urheberrecht. Der aktuelle Thread dazu umfaßt derzeit mehr als 150 Beiträge. Er geht zurück auf eine kleine Meckerecke, in der ich eigentlich nur die Blasiertheit eines Kolumnisten ein wenig gewürdigt hatte (Aufgeblasener Georg Diez. Ein Wutbürger gegen 1500 Autoren; ZR vom 11. Mai 2012).

Wenn ein Thema derart Emotionen und Engagement weckt, dann steht zu vermuten, daß es dabei um mehr geht als eine juristische Regelung. Ich habe zunehmend den Eindruck, daß so etwas wie ein clash of cultures stattfindet; auch wohl ein Generationskonflikt.

Jemand, der wie ich in der Tradition der Kultur des gedruckten Buches aufgewachsen ist und der in ihr lebt, wird in der Regel das Urheberrecht als eine Selbstverständlichkeit betrachten; jedenfalls, solange der Sozialismus nicht gesiegt hat.

Wer Boote vermietet, der hat ein Recht auf ein Entgelt dafür; und zwar jedesmal, wenn jemand eines seiner Boote nutzt. Die Deutsche Bahn hat das Recht, von ihren Fahrgästen ein Entgelt zu fordern; auch wenn jemand argumentieren mag, ihre Züge würden ja auch fahren, wenn er selbst nicht in ihnen Platz nimmt, und durch sein Schwarzfahren entstünde der Bahn folglich kein Schaden.

Wer Texte herstellt, wer Programme schreibt oder andere immaterielle Produkte auf den Markt bringt, der hat dieses Recht auf ein Entgelt für die Nutzung seines Produkts ebenso. Der Konsument ist auch hier zum Bezahlen verpflichtet; es sei denn, daß der Produzent es ihm aus eigenem freien Willen unentgeltlich zur Verfügung stellt. Was ihm ja niemand verwehrt.

Derjenige, der ihm - dem Autor, dem freiberuflichen Fotografen, dem Programmierer - dieses Recht auf ein Entgelt für die Nutzung seines Produkts nehmen will, will ihm an die Existenz. Wenn jeder, dem danach ist, das Recht hat, sich ein Boot des Bootsvermieters zu grapschen und damit herumzurudern, dann kann der Mann von seinem Geschäft nicht mehr leben und wird es schließen. Ohne Urheberrecht können die Erzeuger von Texten, von Bildern, von Musik nicht mehr von ihrem Erzeugnis leben. Sie werden dann eben darauf verzichten, es zu produzieren.

So sehe ich das, ein wenig holzschnittartig formuliert. Es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, wie intelligente und gutwillige Menschen es anders sehen können. Aber - das haben mir die Diskussionen in Zettels kleinem Zimmer gezeigt - es gibt diese Menschen; nicht wenige offenbar.

Ihre Argumente verstehe ich im Grunde nicht. Wovon die betreffenden Produzenten leben sollen, wenn nicht von der Nutzung ihrer Produkte, hat mir noch niemand erklären können. Ideen wie die, daß die Konsumenten vielleicht freiwillig zahlen, wenn sie das Produkt ebensogut kostenlos haben können, scheinen mir das zu sein, was die Franzosen châteaux en Espagne nennen und was bei den alten Griechen nephelokokkygia hieß, das Reich der Kuckucks in den Wolken.

Im übrigen würde man keinem Arbeitnehmer zumuten, unter der Voraussetzung zu arbeiten, daß sein Arbeitgeber so freundlich ist, ihm nach Belieben vielleicht ein wenig Geld dafür zu geben.



Diejenigen, die für die Abschaffung oder Aufweichung des Urheberrechts sind, wurden offenkundig durch die Freiheit des Internet geprägt; die auch die Freiheit ist, sich kostenlos zu bedienen.

Jeder von uns, die wir das Internet extensiv nutzen, profitiert davon, daß er kostenlos Zeitungen und Magazine lesen, Videos ansehen, Dienste aller Art in Anspruch nehmen kann. Wer damit aufgewachsen ist, der hat - so will mir scheinen - eine andere Mentalität als jemand meiner Generation, der als Kind sein Taschengeld daran setzen mußte, wenn er etwas lesen wollte (siehe Generation Flatrate. All inclusive, Nulltarif, Frühstücksbuffet. Auf dem Weg in die Schlaraffenland-Gesellschaft; ZR vom 16. 2. 2012).

Aber es geht natürlich nicht nur um Mentalitäten. Technische Entwicklungen verändern das Denken. Aber sie verändern es trivialerweise deshalb, weil sie neue objektive Möglichkeiten eröffnen. Hier neue Möglichkeiten, das Urheberrecht nicht abzuschaffen, wohl aber es zu realisieren.

Textautoren beispielsweise werden zwar auch weiter von der Nutzung ihrer Produkte leben (leben können müssen, um genauer zu sein). Aber der Vertriebsweg muß ja nicht unbedingt so sein wie zu der Zeit, als Texte nur in Form bedruckten Papiers verbreitet werden konnten. Für den Vertrieb von EBooks mögen sich andere, direktere Wege durchsetzen als über einen Verlag; sie existieren ja zum Teil schon. Cora Stephan hat darüber gestern in "Welt-Online" einen sehr lesenswerten Artikel geschrieben.

Es geht nicht darum, wie bezahlt wird, sondern daß bezahlt wird. Ob Autoren das Entgelt für ihre Arbeit als Autorenhonorar von einem Verlag erhalten oder auf einem neuen Weg, das ist eine ganz andere Frage als die, ob sie ein Recht auf dieses Entgelt haben.



Die Freiheit des Internet wird, wie gesagt, von vielen als Kostenfreiheit verstanden. Einige gibt es auch, die sie als die Freiheit verstehen, im Schutz der Anonymität Dinge zu tun, die zu tun sie sich nicht trauen würden, wenn sie dafür geradestehen müßten. Auch Straftaten zu begehen.

Es gibt eine Gruppe, die das nachgerade auf ihre Fahnen geschrieben hat und die dieses Handeln aus der Anonymität heraus durch ihre Selbstbezeichnung "Anonymous" unterstreicht (siehe Die Leute von Anonymous - ein Fall nur für die Polizei? Oder auch für den Psychologen? ; ZR vom 27. 12. 2012, sowie "Anonymous", die Spanner aus dem Hinterhalt; ZR vom 2. 1. 2012). Die Spezialität dieser Anonymen ist es, andere bloßzustellen - durch die Veröffentlichung beispielsweise ihrer Namen und Mailadressen, ja ihrer Kreditkartendaten; durch die Veröffentlichung ihrer Telefon- und Faxanschlüsse, sogar familiärer Daten.

Der Zweck liegt auf der Hand: Mit Hilfe solcher Daten können die Betreffenden gemobbt werden; sie können Opfer von Gelddiebstahl und Stalking, wenn nicht von Anschlägen werden.

Ein solcher Fall ist jetzt wieder passiert. Die Opfer sind diesmal Autoren, die ihre Unterschrift unter einen Aufruf zum Schutz des Urheberrechts gesetzt haben. Ausführliche Berichte konnte man in den vergangenen Tagen beispielsweise in der FAZ und bei "Welt-Online" lesen.

Über solche "Aktionen" zu diskutieren erübrigt sich. Menschen, die sich derart benehmen, stellen sich außerhalb jeder Diskussion. Sie verwenden, wie "Welt-Online" schrieb, Methoden der Mafia. Man könnte es auch SA-Methoden nennen; das Prinzip, politische Ziele durch Drohungen und Versuche der Einschüchterung von Andersdenkenden zu verfolgen.

Mit der Diskussion über die Gestaltung des Urheberrechts unter den neuen technischen Bedingungen hat das nichts zu tun. So wenig, wie der Einbruch in einen Supermarkt ein Beitrag zur Diskussion über die Zeiten der Ladenöffnung ist.­
Zettel



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