1. Mai 2012

Impressionen von einer Demonstration zum 1. Mai in Paris: Friedlich, müde, aber manchmal sehr skurril

Diese Fotos vom 1. Mai 2006 in Paris habe ich schon einmal gepostet. Damals hatte ZR aber erst wenige Leser; die meisten von Ihnen werden den damaligen Artikel nicht gelesen haben. Jetzt habe ich kleine Kommentare hinzugefügt (für vergrößerte Ansichten bitte auf die Bilder klicken):




Der Demonstrationszug - auf dem traditionellen Weg von der Place de la République zur Place de la Bastille dahinziehend - war keine sich vorwärts wälzende Masse, sondern eher so etwas wie ein Umzug von Grüppchen, von denen einige mehr oder weniger "Demonstration" zu spielen versuchten. Hier Schüler, die sich, wie es scheint, Studenten des Mai '68 zum Vorbild genommen hatten, die gern eine solche eingehakte Front bildeten.




So sah es meistens aus. Dies sind zwei Ordner der CGT, der kommunistischen Gewerkschaft Confédération générale du travail. Zu ordnen gab es aber nichts. Keine Störer, keine Gegendemonstranten. Auch keine Autonomen, die Rabbatz zu machen versucht hätten. Ein ziemlich verregnetes, müdes Ritual. Polizei war überhaupt nicht zu sehen; da mußte man schon in die Seitenstraßen gucken, um den einen oder anderen bereitstehenden Einsatzwagen zu sichten. Es blieb beim Bereitstehen.




Belebt wurde die manif durch Einzelkämpfer wie diesen. Er steht, ein auferstandener Vercingétorix, auf dem Dach seines Autos und trägt ein Plakat "Archäo-Widerstand im Streik". Die Parole "RESISTANCE" (Widerstand) hat er auch über den Kühler seines Autos gespannt. Die Aufschrift auf seinem Transparent lautet: "Die erworbenen Rechte wurden dies durch unsere Vorfahren. Einige starben dafür, sie zu erlangen. Es ist an uns, sie zu bewahren".




Gruppen von Demonstranten wie diese waren sehr zahlreich. Dadurch erinnerte das Ganze manchmal mehr an einen Karnevalszug als eine Demonstration. Im Hintergrund ein Ordner, der auf seinem blauen blouson die Buchstaben CFTD trägt. Die Confédération française démocratique du travail ist die zweite große Gewerkschaft neben der CGT. Sie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts als christliche Gewerkschaft gegründet und bewegte sich dann immer weiter nach links. Heute steht sie den Sozialisten nahe.




Eine trotzkistische Jeanne d'Arc. Solche Auftritte gab es hier und dort: Ein Grüppchen baute ein Podest auf seinem Lautsprecherwagen auf, und dann wurde zum Volk gesprochen. Das meist aus ein paar Mitgliedern dieses Grüppchens bestand.




Ein besonders rührendes Grüppchen aus einigen politischen Veteranen. Das Schild des Herrn in der Mitte trägt die Aufschrift "Nicht stolz auf den europäischen wirtschaftlichen Saustall, den ich meinen Kindern hinterlasse". Die Aufschrift auf dem Schild, das er an seinem Regenschirm befestigt hat, ist nicht vollständig zu lesen. Ich entziffere das Sichtbare als "... nach China aufgebrochen könntest du unsere Dummheiten verzeihen".




Drei Ordnerinnen der kommunistischen CGT. Die rechte beäugt mißtrauisch, was ich denn da fotografiere. Sie und die mittlere tragen Schildchen mit dem Namen der Partei. Die Dame links hat ein anderes Schildchen an ihre Brust geheftet, auf dem steht: "Achtet das Volk!"




Noch einmal ein wenig Folklore. Die Köpfe auf dem Transparent gehören Führern der TKP/ML, einer türkischen kommunistischen Partei.



Demonstrationen in Frankreich - da denkt man gern an die Zeit des Mai '68, an Aufruhr und Barrikaden. Ein solcher 1. Mai in Paris ist aber heute typischer für Demonstrieren in Frankreich; jedenfalls dieser 1er mai der Linken, bei dem die Fotos entstanden sind. Es gibt allerdings auch noch eine weitere Demonstration; diejenige von Marine Le Pens Front National. Sie findet nicht an den Heiligen Orten des revolutionären Frankreich statt, sondern im Herzen des gutsituierten Paris: Von der Métro-Station Palais Royal zieht man heute über die Avenue de l'Opéra zum Platz vor der Oper, auf dem Le Pen sprechen wird.
Zettel



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