14. Dezember 2011

US-Präsidentschaftswahlen 2012 (6): Obamas Schwäche und das Dilemma der Republikaner

Das Dilemma der Republikaner (GOP) bei der Suche nach einem Kandidaten gegen Barack Obama wird deutlich, wenn man zwei Ergebnisse einander gegenüberstellt, die seit Wochen mit großer Beständigkeit von den Meinungsforschern erhoben werden (Hier sehen Sie die Zusammenfassung der aktuellen Umfrageergebnisse):

Fragt man die Wähler, ob sie lieber weiter Obama als Präsidenten haben wollen oder aber ab 2012 einen Republikaner, dann liegt Obama hinten. Gegenwärtig sehen drei der fünf großen Institute den Republikaner vor Obama. In der aktuellen Umfrage des Instituts Rasmussen liegt Obama sogar mit 42 Prozent zu 47 Prozent zurück. Nur Gallup gibt ihm einen hauchdünnen Vorsprung von einem Prozentpunkt; Politico sieht beide gleichauf. Faßt man diese Daten zusammen (poll of polls), dann würde - wenn man so fragt - Obama, wären jetzt die Wahlen, als zweiter Sieger durchs Ziel gehen.

Wird dann aber jeder einzelne der jetzigen GOP-Bewerber Obama gegenübergestellt, dann entscheidet sich eine Mehrheit in fast allen Umfragen für den Präsidenten. Gegenüber den meisten der möglichen Kandidaten führt er sogar deutlich. Die Botschaft der Befragten ist klar: Einen Wechsel hätten sie schon gern; aber sie sehen noch keinen Politiker der Republikaner, zu dem hin dieser Wechsel stattfinden sollte.



Ein Jahr vor den Wahlen liegt in der Regel der amtierende Präsident in den Umfragen vorn; denn ihn trägt die in den USA wichtige Würde des Amtes, während es auf der anderen Seite noch nicht einmal jemanden gibt, der auch nur mit der Würde eines offiziellen Kandidaten bekleidet ist.

Ein Gleichstand mit einem noch gar nicht nominierten Republikaner, gar ein Rückstand gegen ihn, signalisiert also eine ungünstige Ausgangsposition für den Präsidenten (siehe Obamas Strategie für seine Wiederwahl. Vorbild George W. Bush?; ZR vom 27. 10. 2011). Die Ursachen werden deutlich, wenn man sich Obamas Umfragedaten ansieht:
  • Die anfangs sehr hohe Zustimmung zu seiner Amtsführung ist im Jahr 2009 stetig gefallen. Im Jahr 2010 und bis Mitte 2011 hielten sich Zustimmung und Ablehnung ungefähr die Waage. Inzwischen gibt es eine deutliche Mehrheit derer, die Obamas Leistung negativ beurteilen; aktuell 51 Prozent zu 44 Prozent.

  • In den USA wird von den Demoskopen nicht nur nach diesem Urteil über die Amtsführung (job approval) gefragt, sondern auch danach, ob man von dem Betreffenden als Person eine gute oder schlechte Meinung hat (favorability). Bei diesen Werten lag Obama lange Zeit trotz der Unzufriedenheit mit seiner Amtsführung noch deutlich im positiven Bereich. Seit August dieses Jahres ist auch das vorbei.

  • Besonders bedenklich für Obama ist die Beurteilung seiner Wirtschaftspolitik. Sie ist seit seinem Amtsantritt kontinuierlich schlechter geworden. Aktuell billigen diese Politik noch gerade einmal 34 Prozent; 61 Prozent lehnen sie ab. Die Wirtschaft wird in allen einschlägigen Umfragen von den Befragten als das wichtigste Thema genannt.


  • Ein rundum überzeugender Kandidat der GOP müßte diesen Präsidenten mit Leichtigkeit schlagen können. Aber wo ihn hernehmen?

    Die Situation ist, mit umgekehrten Vorzeichen, ähnlich wie diejenige der Demokraten bei den Präsidentschaftswahlen 1988.

    Damals beendete Ronald Reagan seine zweite Amtszeit, konnte also nicht wiedergewählt werden. Die Republikaner nominierten ohne große Auseinandersetzungen dessen Vize und proklamierten Erben, George H.W. Bush, einen damals eher blassen, aber angesehenen Mann. Bei den Demokraten aber kämpften sieben Politiker um die Kandidatur, einer so wenig attrativ wie der andere. Man nannte sie die seven dwarfs, die sieben Zwerge.

    Es gewann schließlich jemand, dessen Namen heute längst vergessen ist: Michael Dukakis, inzwischen Professor an der Northeastern University in Boston. Er hatte trotz einer anfangs erfolgversprechenden Kampagne keine Chance gegen Bush, der am 8. November 1988 in 40 der 50 Bundesstaaten die Mehrheit holte.

    Man ist versucht zu fragen: Wer wird diesmal der Dukakis der GOP sein? Der noch am wenigsten Unattraktive unter lauter Unattraktiven?

    Zum Auftakt dieser Serie habe ich vor drei Monaten meinen ersten Eindruck von den Kandidaten geschildert (Der lange Vorlauf. Ein erster Eindruck von den republikanischen Kandidaten; ZR vom 9. 9. 2011). Mein damaliges Fazit:
    Begeistern konnte ich mich in der Debatte für keinen dieser Kandidaten. Keiner ist ein Liberalkonservativer wie McCain; bei keinem konnte ich die Souveränität erkennen, die diesen oder auch Mike Huckabee auszeichnet. Ich habe niemanden gesehen, von dem ich auf Anhieb sagen würde: Das ist ein Kandidat, der von seiner Persönlichkeit und seinem Intellekt her, der aufgrund seiner politischen Positionen der Richtige ist, um Barack Obama zu schlagen.
    An dieser Beurteilung hat sich nichts geändert. Geändert haben sich allerdings seither die Chancen der Kandidaten.

    Zwei haben einen steilen Abstieg hinter sich. Da ist einmal Rick Perry, von dem fraglich ist, ob er die Kandidatur wirklich mit aller Kraft will (siehe Perry? Vorbei. Cherchez la femme!; ZR vom 14. 10. 2011), und der sich durch bemerkenswerte Fehlleistungen auszeichnete; beispielsweise möchte er als Präsident drei Ministerien abschaffen, konnte sie aber nicht alle drei nennen. Noch steiler abwärts ging es inzwischen mit Herman Cain, der nach ihm vorgeworfenen sexuellen Übergriffen faktisch aus dem Rennen ist; er hat seine Kampagne "suspendiert".

    Der Erzliberale (im Amerikanischen: libertarian) Ron Paul ist ein Sonderfall. Er hat eine nicht unbeachtliche feste Anhängerschaft, scheint aber über diese nicht hinauskommen zu können. Der Unermüdliche wurde im August 76 Jahre.

    Von den übrigen dümpeln diejenigen, die auch damals schon gedümpelt haben: Michele Bachmann, Jon Huntsman und Rick Santorum. Es scheint damit - im Augenblick - alles auf ein Duell zwischen Mitt Romney und Newt Gingrich hinauszulaufen. Jedenfalls gilt das für die erste Runde der Vorentscheidungen, die Caucuses von Iowa am 3. Januar. (Caucuses sind eine Variante der Vorwahl, bei der nicht schriftlich abgestimmt wird, sondern sich die Wähler zu Versammlungen treffen).



    Am Kontrast zwischen Romney und Gingrich wird das Dilemma der GOP deutlich.

    Nicht nur bei diesen Wahlen, nicht nur in den USA gilt: Das Geheimnis eines erfolgreichen Wahlkampfs bei einer Persönlichkeitswahl ist es, einen Kandidaten zu haben, der die eigene Basis begeistert und der zugleich für die Mitte wählbar ist. Ohne Begeisterung bleibt der Wahlkampf ohne Schwung; wer die Mitte verliert, der verliert auch die Wahl.

    Die Basis sowohl der jeweiligen rechten als auch der jeweiligen linken Volkspartei hat in der Regel ausgeprägtere, oft auch extremere Ansichten als deren gesamte Wählerschaft; erst recht als die entscheidenden Wechselwähler der Mitte. Um seine Basis zu mobilisieren, muß der Kandidat - will er erfolgreich sein - deutliche, oft ideologisch gefärbte Positionen einnehmen. Damit aber läuft er Gefahr, Wähler der Mitte zu verlieren.

    Ihre Basis begeistert haben in US-Präsidentschaftswahlen zum Beispiel bei der GOP der ausgeprägt konservative Barry Goldwater 1964 und bei den Demokraten im Jahr 1972 der linke Gegner des Vietnamkriegs George McGovern. Goldwater verlor mit 38,5 zu 61 Prozent gegen Lyndon Johnson. Im Wahlmännergremium hatte er 52 Stimmen, Johnson 486. Exakt so erging es auch George McGovern acht Jahre später. Er verlor gegen Richard Nixon mit ebenfalls 38,5 zu 61 Prozent der Stimmen; im Wahlmännergremium war das Verhältnis 17 zu 503.

    Ein ähnliches Ergebnis ist zu erwarten, wenn die gegenwärtig wieder sehr konservativen Republikaner jemanden nominieren, der sie ideologisch begeistert; etwa Michele Bachmann, Rick Perry, Rick Santorum - oder (mit vermutlich weniger drastischen Folgen) Newt Gingrich.

    Gingrich ist ein klügerer Kopf als die drei Erzkonservativen und hat mehr politische Erfahrung. Er dürfte die Statur eines Präsidenten haben, wenn auch nicht mehr den gewissermaßen noch jugendlichen drive der anderen. Aber er ist kein Mann, der Wähler der Mitte anziehen kann. Es fehlt ihm die electability, die Wählbarkeit. In den Umfragen liegt er im Schnitt 7,4 Prozentpunkte hinter Obama; das Pew Institute sieht ihn sogar um 12 Prozentpunkte zurückliegen.

    Bei Mitt Romney ist es genau umgekehrt. Den Konservativen ist der Mann von der Ostküste, der frühere Gouverneur des liberalen Staats Massachusetts, bei weitem nicht konservativ genug. Im Wahlkampf wäre das für ihn ein schweres Hemmnis; denn wie die Wahlen 2008 gezeigt haben, spielt das Engagement von Freiwilligen trotz des Internet auch heute noch eine entscheidende Rolle in einem US-Präsidentschaftswahlkampf. Aber Romney könnte die Mitte gewinnen. Als einziger der Bewerber liegt er mit Präsident Obama gleichauf.



    Dieser hat 2008 genau deshalb gewonnen, weil er den Spagat hinbekam: Mit seiner Attitüde des Erlösers, der mit "Washington" aufräumen und außenpolitisch als Friedensfürst wirken wird, begeisterte er die linke Basis der Demokraten. Zugleich gelang es ihm mit seiner Einigungs-Rhetorik ("Keine roten [republikanischen], keine blauen [demokratischen] Staaten, nur die Vereinigten Staaten von Amerika!"), Wähler der Mitte zu gewinnen.

    Er hat nun aber die Nation nicht geeint, sondern tief gespalten. Er hat mit dem Filz von Washington nicht aufgeräumt, sondern sich an ihm beteiligt wie selten ein Präsident (siehe Das Bett der Frau Botschafterin. Obamas Bündlerin muß gehen; ZR vom 5. 2. 2011). Als drei der vier außenpolitische Erfolge des Friedensfürsten sehen seine Helfer zwei Tötungen (die von Osama bin Laden und die von Anwar al-Awlaki) sowie einen militärischen Sieg (in Libyen) an (siehe Obamas Strategie für seine Wiederwahl. Vorbild George W. Bush?; ZR vom 27. 10. 2011).

    Eine vernichtende Bilanz, gemessen an den Auftritten des Kandidaten Obama. Aber Obama ist nach wie vor ein glänzender Rhetoriker. Er dürfte immer noch die Linke mobilisieren können; er versucht das neuerdings mit Klassenkampf-Rhetorik. Und gegen Newt Gingrich wird er für viele Wähler immer noch der Mann der Mitte sein.



    Die Caucuses in Iowa am 3. Januar sind fern davon, schon eine Entscheidung zu bringen. Sie eröffnen ja erst die lange Reihe der Vorwahlen. Aber sie haben Signalwirkung. Gegenwärtig spricht alles dafür, daß Gingrich gewinnen wird.

    Die dortigen Anhänger der GOP sind mehrheitlich sehr konservativ. Ihre beiden Helden Rick Perry und Herman Cain haben gepatzt. Gingrich hat in seinem politischen Leben manche Position bezogen; gegenwärtig ist er erzkonservativ. Für die Leute der Tea Party, für die Evangelikalen ist er sozusagen das Beste, was sie gegenwärtig bekommen können.

    Betonköpfe oder "tumb" sind sie übrigens nicht, diese Erzkonservativen. Wenn Sie sich dafür interessieren, was sie denken, dann empfehle ich Ihnen die sehr detaillierte Umfrage für CBS/New York Times, die in der ersten Dezemberwoche durchgeführt wurde. Und wenn Sie wissen wollen, wie die Chancen von Gingrich und Romney stehen, wenn man eine Stichprobe aus allen Republikanern in den gesamten USA befragt, dann mögen Sie sich vielleicht diese aktuelle Analyse von Gallup ansehen.
    Zettel



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Das Lansdowne-Porträt von George Washington, gemalt von Gilbert Stuart (1796). National Portrait Gallery der Smithsonian Institution. Das Porträt zeigt Washington, wie er auf eine weitere (dritte) Amtszeit verzichtet. Links zu allen Beiträgen dieser Serie finden Sie hier. Siehe auch die Serie Der 44. Präsident der USA von 2008.