21. Dezember 2011

Marginalie: Ein bemerkenswertes Interview mit Thomas de Maizière. Nebst einer Anmerkung zur Familiendynastie de Maizière und zum Aufsteiger Wulff

Die "Berliner Zeitung" bringt heute ein Interview mit Verteidigungsminister Thomas de Maizière, auf das ich Sie aufmerksam machen möchte. De Maizière wird zu verschiedenen Themen befragt; durchweg äußert er sich klug, maßvoll und souverän.

Beispielsweise gleich zu Beginn:

Berliner Zeitung: Herr de Maizière, was versteht ein Verteidigungsminister als Pflicht?


de Maizière: Ich kann diese Etikettierung schon nicht mehr hören. Da schwingt ja oft so etwas Triefendes, Humorloses mit. Ich finde, wir sollten uns nicht schämen, dass wir Pflichten haben. Pflichten dürfen auch Freude machen. Manchmal muss man sich allerdings auch zusammenreißen oder hinten anstellen.
Oder lesen Sie die Passage zur "Affäre" Wulff:
Vielleicht müssen Sie bald einen neuen Bundespräsidenten wählen.


Das glaube ich nicht. Christian Wulff übt sein Amt hervorragend aus. Er setzt sich zum Beispiel in besonderer Weise für die Belange der Bundeswehr ein. (...)


Machen Sie Urlaub in Immobilien befreundeter Unternehmer?


Nein.


Wären Sie auf die Idee gekommen?


Der Respekt gegenüber hohen Staatsämtern wie gegenüber Personen gebietet, dass man nicht jedes private Verhalten öffentlich diskutiert. Es gibt ein schönes Bild in der Bibel: Man soll lieber den Balken im eigenen Auge suchen als den Splitter im Auge des anderen.
Thomas de Maizière ist ein bemerkenswerter Mann aus einer der deutschen Familiendynastien. Uwe Müller hat im Juni, als er Verteidigungsminister wurde, in der "Welt" ein facettenreiches Porträt dieser Familie gezeichnet; Hugenotten, die im 17. Jahrhundert aus Frankreich nach Preußen geflüchtet waren.

Müller weist darauf hin, daß in Deutschland - anders als etwa in den USA mit ihren Kennedys, Clintons, Bushs - Familiendynastien im Bereich staatlichen Lebens selten sind; neben den von Weizsäckers und den zu Guttenbergs eben die de Maizières. Thomas de Maizières Vater Ulrich hat als hoher Offizier der Bundeswehr, zuletzt ihr Generalinspekteur, das Leitbild des "Staatsbürgers in Uniform" wesentlich mitbestimmt; sein Vetter Lothar war der letzte Ministerpräsident der DDR.

Die Zugehörigkeit zu einer solchen Familie prägt. Uwe Müller:
Angehörige solcher Familienverbände, die über Generationen hinweg Macht und Einfluss hatten, unterliegen ganz eigenen Regeln. Das Bewusstsein, zur Elite zu gehören, ist ihnen früh eingeimpft worden. Und sie sind von einer Selbstsicherheit getragen, die ihresgleichen sucht. "Regieren muss man auch können", postuliert etwa de Maizière. Sein Leitmotiv trägt er mit einer Überzeugung vor, die auf Zuhörer bisweilen schneidend arrogant wirkt.
Da haben wir es, das Gegenbild zu Politikern wie Christian Wulff, die sich aus kleinen Verhältnissen mit Intelligenz und immensem Fleiß nach oben arbeiten mußten. Diese schneidende Arroganz geht ihnen ab, diese Souveränität.

Sie haben oft, wer kann es ihnen verdenken, eine Neigung, sich, endlich oben angekommen, mit den Schönen und Reichen zu befreunden, ein wenig an deren Luxus und Glamour teilzuhaben.

Zu den alten Familien freilich finden diese Aufsteiger selten Zugang; es sind eher die Neureichen, die ebenfalls Aufgestiegenen, mit denen sie sich befreunden. Auch mit dem bunten Volk der Künstler umgeben sie sich gern, wie Gerhard Schröder; und gelegentlich schon einmal mit schrägen Gestalten, wie offenbar Oskar Lafontaine, dem der "Spiegel" im Januar 1993 "eine merkwürdige Nähe zu einigen Figuren aus der Halb- und Unterwelt" attestierte.

So ist es nun einmal in einer Demokratie. Die Politik ist eine Schiene der - wie die Soziologen sagen - "vertikalen Mobilität"; des Aufstiegs in der Gesellschaft. Ganz oben angekommen, treffen die Aufsteiger sich mit Denjenigen, denen es von Jugend an beigebracht wurde, daß sie zur Elite gehören. Sie haben einen anderen Stil, eine andere Weltsicht, ein anderes Selbstverständnis.

Nein, Thomas de Maizière würde sich niemals von einem Neureichen in dessen Anwesen in Florida einladen lassen. Nicht, weil ihn Gesetze oder Vorschriften daran hindern würden; sondern weil das nicht der Stil eines de Maizière ist.

Aber der Stil Christian Wulffs ist es eben; verständlicherweise. Man sollte das zur Kenntnis nehmen, es respektieren und daraus keine "Affäre" machen.

Oder vielmehr: Sein Stil war es, für eine gewisse Zeit. Jetzt, als Bundespräsident, lebt er in einer anderen Welt. Schon deshalb halte ich die Kampagne gegen Wulff für von Grund auf verfehlt; denn es ist überhaupt nicht zu sehen, wie sich diese Kontakte aus seiner Zeit als Ministerpräsident auf seine Amtsführung als Bundespräsident auswirken sollten.

Was sich auswirken wird, das ist allein die Kampagne. Sie hat nicht nur Wulff persönlich geschädigt, nicht nur das Amt des Bundespräsidenten tangiert, sondern sie wird ja auch Auswirkungen auf das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland haben.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.