3. Dezember 2011

Marginalie: "Einen gemäßigten Islamismus gibt es nicht". Eine aktuelle Meldung aus Paris, eine aus London. Und eine Äußerung aus Moskau

Drei Meldungen von heute:

Die französische Staatssekretärin für Jugend, Jeannette Bougrab, hat der Tageszeitung Le Parisien ein Interview zu den Wahlsiegen der Islamisten in Nordafrika gegeben, in dem sie sagt:
Je ne connais pas d’islamisme modéré. (...)

Ces "modérés" disent que la charia peut n’être qu’une source d’inspiration... Il n’y a pas de charia light. Je suis juriste et on peut faire toutes les interprétations théologiques, littérales ou fondamentalistes que l’on veut, mais le droit fondé sur la charia est nécessairement une restriction des droits et libertés, notamment de la liberté de conscience, car l’apostasie est interdite.

Il n’est pas possible de se convertir. Les mariages mixtes ne sont pas reconnus. Une femme musulmane ne peut pas se marier avec un non-musulman. Aux yeux de certains, ce n’est peut-être pas grave si des femmes doivent désormais être voilées ou si demain elles n’ont plus les mêmes droits. Pas pour moi.

Ich kenne keinen gemäßigten Islamismus. (...)

Diese "Gemäßigten" sagen, daß die Scharia nur eine Quelle der Inspiration sein kann ... Es gibt keine Scharia light. Ich bin Juristin, und man kann nach Belieben theologische, wörtliche oder fundamentalistische Interpretationen anstellen - aber das auf der Scharia basierende Recht ist notwendigerweise eine Beschränkung der Rechte und Freiheiten; vor allem der Gewissensfreiheit, denn die Apostasie [der Abfall vom Islam; Zettel] ist verboten.

Eine Konversion ist nicht möglich. Mischehen werden nicht anerkannt. Eine moslemische Frau kann keinen Nicht-Moslem heiraten. In den Augen gewisser Leute ist es vielleicht nicht schlimm, wenn Frauen künftig verschleiert sein müssen oder wenn sie morgen nicht mehr dieselben Rechte haben. Ich sehe das anders.
An diesem Interview ist zweierlei bemerkenswert: Erstens ist Frau Bougrab Mitglied einer Regierung, die sich aus außenpolitischen Rücksichten mit kritischen Kommentaren zum Islamismus in den Staaten Nordafrikas sehr zurückhält. Zweitens ist sie arabischer Herkunft.



Im britischen Guardian ist heute zu lesen:
The number of women and girls in the UK suffering violence and intimidation at the hands of their families or communities is increasing rapidly, according to figures revealing the nationwide scale of "honour" abuse for the first time.

Statistics obtained under the Freedom of Information Act about such violence – which can include threats, abduction, acid attacks, beatings, forced marriage, mutilation and murder – show that in the 12 police force areas for which comparable data was available, reports went up by 47% in just a year.

The figures, shared with the Guardian by the Iranian and Kurdish Women's Rights Organisation (Ikwro), also reveal that a small number of forces – including four in Scotland – are still not collecting data on how often such violence occurs.

Die Zahl der Frauen und Mädchen, die in Großbritannien Gewalt oder Bedrohung von seiten ihrer Familien oder Gemeinschaften erleiden, wächst rasant. Das geht aus Daten hervor, die erstmals den gesamten hiesigen Umfang dieser Fälle von Übergriffen aus Gründen der "Ehre" offenbaren.

Statistiken, die unter dem Freedom of Information Act bekannt wurden [einer britischen gesetzlichen Regelung, die freien Zugang zu Informationen garantiert; Zettel] über derartige Gewalt - die in Drohungen bestehen kann, in Entführungen, Säureangriffen, Schlägen, Zwangsehe, Verstümmelung und Mord - zeigen, daß in 12 Polizeidistrikten, für die vergleichbare Daten verfügbar sind, die Zahl der berichteten Fälle innerhalb eines einzigen Jahres um 47% zunahm.

Diese Ziffern, die der Guardian von der Iranian and Kurdish Women's Rights Organisation (Ikwro) erhielt, zeigen auch, daß eine kleine Zahl von Distrikten - darunter vier in Schottland - bisher noch nicht die Daten über die Häufigkeit des Auftretens solcher Fälle erheben.
Bemerkenswert an diesem Artikel ist erstens, daß ihn der linke Guardian bringt. Bemerkenswert ist zweitens, daß in dem gesamten Artikel weder muslim noch islam oder islamism vorkommt.

Immerhin kann der Leser aus dem Umstand, daß die Daten von einer Organisation iranischer und kurdischer Frauen ermittelt und dem Guardian zur Verfügung gestellt wurden, schließen, daß es sich wahrscheinlich eher nicht um Taten in christlichen oder jüdischen, in Hindu- oder atheistischen Familien handelt.



Das dritte Zitat können Sie heute in "Spiegel-Online" lesen:
Wir werden die totale Islamisierung des Nahen Ostens und Nordafrikas erleben. Dort wo der Westen seine Muskeln gezeigt hat, von Tunis über Libyen und Ägypten bis hin womöglich zu Syrien, werden massenhaft Taliban-ähnliche Kräfte auftauchen. Europa wird dabei als erstes unter die Räder kommen. Und in Europa wird als Reaktion auf die Islamisierung, wie wir sie in Ländern wie Deutschland, Frankreich und Belgien sehen, der Faschismus wiederauferstehen.
Starker Tobak, nicht wahr? Wer mag das gesagt haben?

Es ist jemand, der vermutlich nie etwas sagt, weil er es für wahr hält, sondern weil er einen Zweck verfolgt. Der Zweck ist hier, Rußland als die Schutzmacht gegen den Faschismus darzustellen. Wieder einmal.

Der das sagte, ist ein hoher russischer Diplomat, der NATO-Botschafter Dmitri Rogozin (siehe "Hoffnung ist keine Strategie"; ZR vom 2. 12. 2011).
Zettel



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