29. Dezember 2011

Zitat des Tages: "Die FDP hat keine Daseinsbegründung mehr". Eine kluge These. Nur ist sie falsch

So lange die Welt dem Einzelnen als straff reguliert erschien, hatte die FDP eine selbstredende Daseinsbegründung. Seit aber im politischen Deutschland jeder geradezu in wörtlichem Sinne tut oder lässt, was er will, und das strengste staatliche Alltagsdiktat die Straßenverkehrs-ordnung ist, erachten es die Bürger nicht mehr als zwingend, die FDP samt deren Heilsversprechen am Leben zu erhalten.
Georg Paul Hefty heute in der FAZ in einem Artikel ("Drei Punkte für die FDP"), in dem er über die Zukunft der FDP reflektiert und ihr Ratschläge zum Überleben erteilt.

Kommentar: Der Artikel ist klug geschrieben, wie das meiste von Georg Paul Hefty, dem Ressortleiter "Zeitgeschehen" der FAZ. Lesen Sie ihn!

Heftys These ist bestechend: Die anderen Parteien stehen für inhaltliche Ziele: "Die einen wollen für das politische Gemeinwesen das Christliche (religionsübergreifend: das transzendental zu Verantwortende) demokratisch oder sozial ausmünzen, andere vorrangig die Umwelt schonen oder Demokratie und Wirtschaft sozial beziehungsweise sozialistisch gestalten". Die FDP aber wolle nur, daß jeder sich frei entscheiden kann. Wenn das aber ohnehin so ist, dann braucht man sie nicht mehr, argumentiert Hefty.

Eine kluge These. Überzeugt hat sie mich nicht.

Zum einen scheitern alle Versuche, den Niedergang der FDP auf einer derart grundsätzlichen Ebene, sie mit Rekurs auf einen langfristigen gesellschaftlichen Wandel zu erklären, an den Fakten. Sie scheitern an dem schlichten Umstand, daß es sich ja um ein Phänomen handelt, das vor noch nicht einmal zwei Jahren plötzlich aufgetreten ist und das sich dann umso mehr verstärkt hat, je verzweifelter die FDP versuchte, sich gegen diesen Niedergang zu stemmen.

Das spricht entschieden für eine funktionelle und nicht eine strukturelle Schwäche; für Ursachen auf der Ebene von Personen und deren Fehlentscheidungen, nicht auf der Ebene einer langfristigen Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Bedingungen (siehe Was die Krise der FDP ist, und was sie nicht ist. Über den Erfolg der christlich-liberalen Koalition und das Erbe Guido Westerwelles; ZR vom 15. 12. 2011).

Noch vor exakt 27 Monaten hat die FDP den größten Wahlsieg ihrer Geschichte errungen. Damals war die deutsche Gesellschaft, waren die politischen Rahmenbedingungen nicht anders als heute, wo die Liberalen bei vielleicht drei oder vier Prozent stehen. Also kann es daran nicht liegen.

Zweitens hätte mich aber Heftys These auch dann nicht überzeugt, wenn dieser Einwand nicht bestünde. Denn es ist ja gar nicht so, wie Hefty meint: daß "im politischen Deutschland jeder tut oder lässt, was er will". Im Gegenteil wird unsere Freiheit fast täglich mehr eingeschränkt.

Wer hätte es noch vor einigen Jahrzehnten für möglich gehalten, daß der Staat Gastronomen das Recht nimmt, selbst zu entscheiden, ob und ggf. wo in ihrem Lokal geraucht werden darf? Daß der Staat darüber entscheidet, mit welchen Glühbirnen der Bürger sein Haus erhellen darf und mit welchen nicht? Daß er unter Mißachtung des Rechts auf Eigentum den Betreibern von KKWs einfach befiehlt, diese abzuschalten, obwohl sie technisch nach jedem internationalen Standard einwandfrei sind?

Wer hätte es damals für möglich gehalten, daß der Staat sich anmaßt, Aktiengesellschaften vorzuschreiben, wieviele Frauen in ihrem Aufsichtsrat und ihrem Vorstand sein müssen? Daß er bestimmte Automobile aus den Innenstädten verbannt, obwohl die von ihnen angeblich ausgehende "Feinstaubbelastung" allenfalls minimal ist? Daß er allein aus ideologischen Gründen die Verbraucher zwingt, Strom zu kaufen, der zu aberwitzigen Kosten erzeugt wird?

Es ist doch mit den Händen zu greifen, daß wir eine liberale Partei heute dringender brauchen als jemals in der Geschichte der Bundesrepublik. Allerdings brauchen wir eine Partei, die diesen Namen verdient. Die sich gegen den rotgrünen Zeitgeist stellt, statt ihm mit immer schwächerem Atem hinterherzuhecheln.

Wir brauchen eine liberale Partei, die nicht auch noch - wie alle die anderen - "sozial" im sozialdemokratischen Sinn ist; die vielmehr offensiv und aus Überzeugung den Grundsatz vertritt, daß nichts sozialer ist als die Freiheit. Und daß auf der anderen Seite nichts sicherer zu allgemeiner Armut und Unterdrückung führt als der Versuch des Staats, den Bürgern vorzuschreiben, wie sie zu leben haben.

Eine solche Partei könnte gewiß nie dreißig oder mehr Prozent erlangen. Aber warum sollte sie das wollen? Sie könnte die Stimme einer starken, auch einer ungewöhnlich qualifizierten Minderheit sein. Das war immer die Rolle der FDP; das war und ist die Funktion des politischen Liberalismus in den anderen demokratischen Rechtsstaaten.

Die FDP ist in keiner Weise überflüssig geworden, weil es etwa nicht mehr die Notwendigkeit gäbe, für die Freiheit des Bürgers einzureten. Sie ist allerdings gegenwärtig schwach, weil sie es unter ihrer jetzigen Führung versäumt, dies mit der erforderlichen Deutlichkeit und Überzeugungskraft zu tun.
Zettel



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