13. Dezember 2011

Marginalie: Christian Lindners seltsame Logik. Heute endet der Mitgliederentscheid der FDP

Heute geht der Mitgliederentscheid der FDP zu Ende. Alle Abstimmungsbriefe, die den heutigen Poststempel tragen, werden noch mitgezählt.

Wie immer das Ergebnis ausfallen wird - schon jetzt ist klar, daß die FDP-Führung eine Chance vertan hat. Als einzige Partei hatte die FDP ihre Basis in die europapolitische Diskussion einbezogen; freilich war das von dieser erzwungen worden. Sie hätte das herausstellen, sie hätte stolz darauf sein können.

Der Wähler hätte sehen können, daß in dieser Partei nicht nur die Oberen bestimmen, sondern auch die Mitglieder. Daß nicht nur unter strategischen Gesichtspunkten entschieden wird, sondern auch nach persönlicher Überzeugung. Daß man in gegenseitigem Respekt miteinander umgeht, auch wenn man in einer zentralen Frage unterschiedlicher Meinung ist.

An der Basis gab es in der Tat zahlreiche Diskussions-veranstaltungen. Die Parteiführung aber hat diese Chance nicht nur nicht erkannt, sondern sie hat sie nachgerade torpediert. Was der Wähler, der sich nur aus den Medien informiert, am Ende wahrnimmt, das ist nicht faire Diskussionskultur, sonderen Heckmeck. Im Einzelnen hat das Rayson am Sonntag in B.L.O.G. ausgezeichnet analysiert.



Ebenfalls am Sonntag habe ich über Vorwürfe aus den Reihen der FDP berichtet, bei der Durchführung des Mitglieder-entscheids sei getrickst worden (Frank Schäffler, der FDP-Parteivorstand und das Sterbeglöcklein der FDP. Hat da jemand getrickst?; ZR vom 11. 12. 2011). Die Meinungen dazu unter den FDP-Mitgliedern sind offenbar unterschiedlich; viele hatten, wie auch Rayson, kein Problem mit dem Abstimmungsverfahren. Sollte sich das Gerücht bestätigen, daß Tausende von Mitgliedern unbeabsichtigt ungültig gestimmt haben, dann muß wohl allerdings doch etwas schiefgelaufen sein.

Jedenfalls scheint das Thomas-Dehler-Haus den Mitglieder-entscheid technisch nicht optimal abgewickelt zu haben. Aber es ist ja nicht nur das. Die FDP-Führung hatte gegenüber dieser Aktion von Frank Schäffler, Burkhard Hirsch und ihren Mitstreitern keine klare Linie. Sie hat sich widersprüchlich, ja sie hat sich jenseits der Logik verhalten.

Als Frank Schäffler am 10. Oktober die Liste mit 3650 Unterschriften für einen Mitgliederentscheid in der Parteizentrale übergab, hatte die FDP-Führung zwei Möglichkeiten: Sie konnte den Mitgliederentscheid durchführen und darauf vertrauen, daß das Quorum von knapp 21.500 Stimmen verfehlt werden würde. Oder sie konnte in die Offensive gehen und den Mitgliedern einen eigenen Antrag zur Abstimmung vorlegen; sie also ihrerseits um Zustimmung zu ihrer Europapolitik bitten.

Bekanntlich wählte sie diesen zweiten Weg. Der Antrag von Schäffler und seinen Freunden hieß fortan "Antrag A"; der Gegenantrag der Parteiführung "Antrag B".

Diese Entscheidung gab der Abstimmung einen völlig neuen Charakter. Die FDP-Führung mußte nun ein doppeltes Interesse haben: Erstens daran, daß möglichst viele Mitglieder teilnahmen; zweitens, daß davon möglichst viele ihrem Antrag, dem Antrag B also, zustimmten. Denn sie hatte ja nun ausdrücklich um deren Plazet für ihre Politik gebeten.

Anders gesagt: Nachdem die Parteiführung den Hut in den Ring geworfen hatte, war der Mitgliederentscheid nicht mehr allein eine Angelegenheit der ursprünglichen Initiatoren; sondern er war zu einer Sache der Gesamtpartei geworden. Mit ihrem Antrag B ging die Parteizentrale das Risiko ein, von ihren Mitgliedern eine Abfuhr zu bekommen, indem diese sich nicht an der Abstimmung beteiligten und damit der FDP-Führung die von dieser erbetene Zustimmung zu ihrem Kurs verweigerten.

Als sich nun am vergangenen Wochenende offenbar abzeichnete, daß das Quorum nicht erreicht werden würde, schienen sowohl der Vorsitzende Rösler als auch sein Generalsekretär Linder diesen Sachverhalt gar nicht mehr präsent zu haben. Die WebSite der ZDF-Sendung heute.de zitierte am Sonntag Rösler:
Er gehe nun davon aus, dass das erforderliche Quorum von mindestens 30 Prozent Beteiligung nicht erreicht werde, sagte Rösler der "Bild am Sonntag". Bislang seien nur etwa 16.000 Stimmen eingegangen, während 21.500 gültige Stimmen notwendig seien, sagte Rösler. "Und da nun pro Tag lediglich einige hundert Stimmzettel eingehen, sehe ich nicht, wie bis Dienstag diese Marke doch noch erreicht werden soll."

"Frank Schäffler ist gescheitert", sagte der Parteivorsitzende mit Blick auf den Initiator der Befragung, der die Partei auf eine Ablehnung des dauerhaften Euro-Rettungsmechanismus' ESM festlegen wollte. "Also bleibt es bei der bisherigen Linie der Partei", kündigte Rösler an.
Ähnlich zufrieden über das vermutliche Nichterreichen des Quorums äußerte sich Christian Lindner gegenüber den "Kieler Nachrichten" und am Sonntag Abend im ARD-"Bericht aus Berlin". Dort sagte er:
... und jetzt stellt sich heraus, daß eine große Mehrheit unserer Mitglieder offenbar keinen Veränderungsbedarf beim Kurs der FDP sieht. Ich begrüße das. (...) Die Wahrscheinlichkeit, daß auch das Quorum nicht erreicht wird, ist vergleichsweise groß. Offenbar, ich sag's noch mal, haben viele jetzt keine Veränderungsnotwendigkeit bei unserem Kurs [gesehen; Zettel].
Das sagten zwei Spitzen jener Parteiführung, die ihre Mitglieder ausdrücklich per Antrag B dazu aufgerufen hatte, ihrem Kurs die Zustimmung zu erteilen! Offenbar sind sie zufrieden damit, wenn sich herausstellen sollte, daß ihnen diese Zustimmung krachend verweigert wurde.



Wenn am Freitag das Ergebnis bekanntgegeben wird, dann könnte es sich sehr gut zeigen, daß der europapolitische Kurs der FDP nur von einem Bruchteil ihrer Mitglieder aktiv getragen wird; nämlich denen, die für Antrag B stimmten. Rösler und Lindner versuchen jetzt aber den Eindruck zu erwecken, auch diejenigen, die sich gar nicht beteiligten, würden damit implizit diesem Kurs zustimmen. Sie sähen ja offenbar keine "Veränderungsnotwendigkeit".

Wenn diese Logik Schule macht, dann könnte sie unser politisches System revolutionieren: Wenn jemand bei Wahlen künftig seine Stimme nicht abgibt, dann wird das so interpretiert, daß er keine Veränderungsnotwendigkeit sieht. Das Nichtwählen wird folglich als eine Stimmabgabe für die jeweilige Regierung gezählt.
Zettel



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