5. Dezember 2011

Marginalie: Hat Putin wirklich verloren? Nein. Er hat genau das erreicht, was er wollte

"Millionen Russen wenden sich von Putin ab" titelt derzeit "Spiegel-Online" und schreibt zu den gestrigen Wahlen in Rußland:
Nach Auszählung von knapp 50 Prozent der Wahlzettel stimmten 49,6 Prozent der Wähler für die Putin-Partei, rund 15 Prozent weniger als vor vier Jahren. (...) Nach westlichen Maßstäben scheint der Sieg von "Einiges Russland" damit überzeugend. Für Putins System der "gelenkten Demokratie" aber ist es eine Katastrophe.
Am 30. November analysierte Stratfor das zu erwartende Wahlergebnis. Dieser Artikel (das Transkript eines Videos) ist zum Zitieren freigegeben. Ich dokumentiere und übersetze ihn vollständig. Falls Sie das Original übergehen und gleich die Übersetzung lesen wollen, scrollen Sie bitte bis zu dem blauen Textblock:
This Sunday Russia will hold its parliamentary, or Duma, elections. Over the past decade elections have not really been of much concern, as the political landscape of Russia has been dominated by a singular party – Premier Vladimir Putin's United Russia.

However, this year there are a few interesting shifts taking place — though everything may not be exactly what it seems.

Going off current and widely accepted polling numbers, it looks as if four parties will be getting into Duma. United Russia will most likely take 53 percent of the projected vote, with the remaining seats going to the Communists, Liberal Democrats and Just Russia.

Though United Russia will be taking majority of the vote, it is actually a decrease for the ruling party by a projected, maybe 10 percent, leading many in Russia to question the strength of United Russia — and its leader Vladimir Putin.

But we need to step back a bit and look at the other parties that will be getting into Duma. Both the Communists and Liberal Democratic Party are highly nationalist. The Communist Party is of course an old relic of the Soviet Union, but works well with Putin and his agenda. The Liberal Democratic Party is run by security hawk Vladimir Zhirinovsky and has roots in the KGB. These two parties would prefer that Putin was more nationalist than he is now — not less. The last party, Just Russia, is considered the most "liberal" though its leading figure, Sergei Mironov, has openly stated that his party follows Putin’s path for Russia.

So where there are many political parties in Russia, they all are loyal to Putin — even if they don't like each other.

This was Putin’s plan all along. What Putin has been attempting to do is create a system of managed democracy. Putin wants to make Russia look democratic — which is a good political show domestically, as well as is meant to woo investors and potential allies to a pseudo-friendlier Russia.

So the public may balk at United Russia's show in the upcoming elections. But this is all part of Putin's grand plan. His plan for managed democracy. These parliamentary elections will keep all parties in Duma loyal to Putin, while Russia is pretending to be more democratic.

An diesem Sonntag wird Rußland seine Parlaments-wahlen, die Wahlen zur Duma, abhalten. In den vergangenen Jahren wurden Wahlen nicht besonders beachtet, weil die politische Landschaft Rußlands von einer einzigen Partei beherrscht wurde - Minister-präsident Wladimir Putins "Einiges Rußland".

Dieses Jahr gibt es jedoch einige interessante Verschiebungen - aber nicht alles ist so, wie es erscheint.

Geht man von den aktuellen und weithin akzeptierten Umfragewerten aus, dann sieht es danach aus, daß vier Parteien in die Duma kommen. "Einiges Rußland" wird als wahrscheinlichstes Ergebnis 53 Prozent der Stimmen erlangen. Die anderen Sitze gehen an die Kommunisten, die Liberaldemokraten und "Gerechtes Rußland".

"Einiges Rußland" wird also zwar die Mehrheit der Stimmen erhalten. Aber dies ist dennoch ein Rückgang für die Regierungspartei um vorhergesagte vielleicht 10 Prozent. Viele in Rußland zweifeln deshalb an der Stärke von "Einiges Rußland" - und dessen Führer Wladimir Putin.

Aber wir müssen einen Schritt zurücktreten und uns die Parteien ansehen, die in die Duma kommen werden. Sowohl die Kommunisten als auch die Liberal-demokratische Partei sind ausgeprägt nationalistisch. Die Kommunistische Partei ist bekanntlich ein Relikt der Sowjetunion, aber sie arbeitet gut mit Putin und seinen Plänen zusammen. Die Liberaldemokratische Partei wird von dem sicherheitspolitischen Falken Wladimir Schirinowski geführt und hat ihre Wurzeln im KGB. Diese beiden Parteien wollen, daß Rußland nationalistischer wird als jetzt - nicht weniger. Die andere Partei, "Gerechtes Rußland", gilt als die "liberalste". Aber ihr Anführer Sergej Mironow hat offen gesagt, daß seine Partei Putins Weg für Rußland folgt.

Wo es also Parteien in Rußland gibt, sind sie alle loyal gegenüber Putin; auch wenn sie einander nicht mögen.

Das war von vornherein Putins Plan gewesen. Was Putin zu schaffen versucht, ist ein System der gelenkten Demokratie. Putin will, daß Rußland demokratisch erscheint - was in der Innenpolitik gut wirkt und dazu gedacht ist, Investoren und mögliche Alliierte für ein scheinbar friedfertiges Rußland zu umwerben.

So mag die Öffentlichkeit das Abschneiden von "Einiges Rußland" in den bevorstehenden Wahlen als Niederlage sehen. Aber das alles ist Teil von Putins umfassenden Plan; seines Plans für eine gelenkte Demokratie. Als Ergebnis dieser Wahlen werden alle Parteien in der Duma loyal zu Putin stehen. Aber Rußland wird den Eindruck erwecken, demokratischer zu sein.
Die "liberale" Partei "Gerechtes Rußland" wurde gegründet, als Putin noch Staatspräsident war. Sie war Putins eigene Erfindung, eine Pseudo-Oppositonspartei. Ich habe damals darüber berichtet (Zar Putin und die Kontinuität der russischen Politik; ZR vom 2. 4. 2007). Damals gab es auch noch eine echte Opposition. Sie ist heute so gut wie verschwunden.

Zu Putins nationalistischen Plänen siehe Der Hintergrund von Putins Plan einer "Eurasischen Föderation". Das Ende der "Selbstverstümmelung" des russischen Reichs; ZR vom 5. 10. 2011. Zu seinen langfristigen Machtplänen siehe Vierundzwanzig Jahre Macht für Putin? Dann würde er Stalin fast erreichen; ZR vom 24. 9. 2011.

Putin hat heute einen großen Sieg errungen. Er hat jetzt eine stramm nationalistische Mehrheit in der Duma. Es gibt keine Partei, die ihm nicht folgen würde, wenn er nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten im kommenden Jahr die Wiederher-stellung der Sowjetunion in Angriff nehmen wird.

Daß seine Partei "Einiges Rußland" gestern ein wenig verloren hat, ist für ihn keine Niederlage, sondern im Gegenteil ein Sieg; ein Schritt voran auf dem Weg dieses eiskalten und eminent erfolgreichen Machtpolitikers.
Zettel



© für diesen Artikel Zettel, für den zitierten und übersetzten Text Stratfor. Für Kommentare bitte hier klicken.