20. Dezember 2011

Gewalt in der christlich-jüdischen Kultur, Gewalt im Islam: Eine eigenartige Ringvorlesung und ihr wissenschaftlicher Hintergrund


Sehen Sie sich bitte einmal diese Themenliste einer Ringvorlesung an:
05.04. Gottesfrevel und Gotteszorn als Quellen der Religionsgewalt

12.04. Zum Ursprung und Wesen religiöser Gewalt

19.04. Zum Guten zwingen. Das Reformpapsttum und die Gewalt im Mittelalter

26.04. Helden und Heilige. Das Vorbild der Makkabäer und die Legitimation von Gewalt im Mittelalter

03.05. Wortgewalt, Kampf und Seelenheil: Warum es nicht den einen Dschihad gibt

10.05. Mit unsichtbaren Waffen gegen die sichtbaren Feinde. Krieg und Liturgie im Mittelalter

17.05. "Yr sollet euch nit erbarmen…" Biblische Legitimation religiöser Gewalt bei Thomas Müntzer

24.05. Wehrlos um Christi willen. Zur Delegitimierung von Gewalt im Täufertum

31.05. Religiöse Gewalt im konfessionellen Zeitalter?

07.06. Christlich-jüdische Zwangsdisputationen

21.06. "Gott segne Euch!" Die Legitimation physischer Gewalt im Spanischen Bürgerkrieg

28.06. Mit der Hilfe Gottes? Die Militärdiktaturen in Argentinien und Chile und die katholische Kirche

05.07. "...und steuere deiner Feinde Mord." Gewalt im Kirchenlied

12.07. Von der "Kriegstheologie" zur Friedensethik. Zum Wandel der Kriegswahrnehmung im deutschen Protestantismus der letzten 100 Jahre
Dies ist das Programm einer Ringvorlesung des Exzellenzclusters "Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne" an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Das Thema dieser Veranstaltung im Sommersemester 2011 lautete: "Religion und Gewalt - Erfahrungen aus drei Jahrtausenden Monotheismus".

Fällt Ihnen an der Auswahl der Themen etwas auf? In Zettels kleinem Zimmer hat Meister Petz dieses Programm trefflich kommentiert:
Von den Titeln beziehen sich zehn explizit aufs Christentum, einer auf Christen und Judentum, zwei auf Religionen im Allgemeinen und einer explizit auf den Islam. Und während in den die Jünger Jesu betreffenden Vortragen das Blut munter spritzt, hat die eine dem Islam gewidmete Vorlesung den Titel "Warum es nicht den einen Dschihad gibt".
Die Ringvorlesung befaßt sich ausdrücklich mit Religion und Gewalt in "drei Jahrtausenden Monotheismus". Drei Jahrtausende Monotheismus - das sind Judentum, Christentum und Islam. Es scheint, daß die Vortragenden die Gewaltproblematik aber fast ausschließlich beim Christentum sehen. Für die religiös motivierte Gewalt des Islam, mittels derer innerhalb von 120 Jahren Krieger aus der Gegend von Mekka und Medina ein Weltreich zusammenraubten, scheinen sie nachgerade blind zu sein.

Damit Sie sich ein Bild von dem machen können, was im Englischen meist muslim conquests und in Deutschland "Islamische Expansion" heißt - also die Epoche einer unerhörten religiös motivierten Gewalt zwischen ungefähr 630 und 750 -, hier die Karte der moslemischen Eroberungen aus der Wikipedia. (Für eine vergrößerte Version bitte auf das Bild klicken):


Dunkelrot: Eroberungen 622-632. Hellrot: Eroberungen 632-661. Ocker: Eroberungen 661 bis 750.



Das Ezellenzcluster Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne" an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ist ein gewaltiges Unternehmen. Aus der Selbstdarstellung:
Rund 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 20 geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern und 11 Nationen beschäftigen sich mit dem sensiblen Verhältnis von Religion und Politik, das alle Epochen und Kulturen geprägt hat. Es ist der bundesweit größte Forschungsverbund dieser Art und von den 37 Exzellenzclustern in Deutschland der einzige zum Thema Religionen.

Das Spektrum der 60 Forschungsprojekte und 47 Dissertationen reicht von der Antike bis zur Gegenwart und von Lateinamerika über Europa bis in die arabische und asiatische Welt. Beteiligt sind HistorikerInnen, katholische, evangelische und muslimische Theolog-Innen, JuristInnen, JudaistInnen, EthnologInnen, ArchäologInnen, PolitologInnen, ReligionssoziologInnen sowie Literatur-, Sozial- und Islamwissenschaftler-Innen. Sie kooperieren über Epochen- und Fächergrenzen hinweg.
Es gibt vier sogenannte Themen-Säulen; eine davon ist "Gewalt". Die an dieser Themen-Säule beteiligten Wissenschaftler haben die Ringvorlesung im Sommersemester 2011 bestritten; zusammen mit einigen auswärtigen Gästen.

Ich habe aus Gründen der Übersichtlichkeit die Namen der Referenten im eingangs zitierten Veranstaltungsprogramm weggelassen. Sie können sie in der Ankündigung nachlesen; hier finden Sie nähere Angaben zu diesen Wissenschaftlern. Sie sind fachlich bestens ausgewiesen; am wissenschaftlichen Rang dieses Exzellenzclusters wird man nicht zweifeln können.

Umso verwunderlicher ist es, mit welcher Einseitigkeit die Problematik von Religion und Gewalt beim Christentum verortet wird; und mit welcher man möchte fast sagen: Nonchalance andererseits die Spur religiös motivierter Gewalt des Islam ignoriert wird, die sich von Mohammeds Eroberung der arabischen Halbinsel zwischen 622 und 633 bis zum heutigen Terrorismus der Dschihadisten zieht.

Das ist schon deshalb erstaunlich, weil an dem Exzellenz-cluster auch das Fach Arabistik und Islamwissenschaft mit zehn Professoren und Wissenschaftlichen Mitarbeitern beteiligt ist. Aber innerhalb der Themen-Säule "Gewalt" befaßt sich von vierzehn Forschungsprojekten ein einziges mit islamischer Gewalt: Das Projekt 14 "Islamische Dschihâd-Konzeptionen in Vergangenheit und Gegenwart".

Immerhin. Da wird doch sicher über die Geschichte islamischer Gewalt geforscht, von Mohammed bis in die Gegenwart? Nein. Es geht, wie man der Projektbeschreibung entnehmen kann, überhaupt nicht um die tatsächlich angewandte religiös motivierte Gewalt; so wie sie - siehe die Themen der Ringvorlesung - in dieser Themen-Säule für das Christentum erforscht wird. Sondern:
Das Projekt soll die systematische Erfassung, Aufarbeitung und Übersetzung des wichtigsten islamischen Diskursfeldes leisten, das mit der Thematik des "Dschihâds" in Zusammenhang steht. (...)

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen alle Hadîthe (Überlieferungen), aus welchen entnommen werden kann, (a) was der "Dschihâd" eigentlich sein und bezwecken soll (militärischer Kampf, gesellschaftliche Aktivität, innere "Seelenanstrengung" des Einzelnen), (b) in welcher Relation die verschieden Dschihâd-Formen zueinander stehen und (c) auf welche Weise der Einsatz von Gewalt je nach den verschiedenen Konzeptionen legitimiert ist. Es geht hierbei, was hervorhebenswert ist, um verschiedene Formen der Gewalt: physische (beziehungsweise militärische) Gewalt, "moralische" Gewalt oder auch "innere", auf das eigene Selbst und die Lebensführung abzielende Gewalt (im Sinn einer Bezwingung negativer Seelenregungen, Instinkte usw.).
Also ein theologisches, kein historisches Projekt. Eines, das sich mit der Rechtfertigung des Dschihâd in der islamischen Überlieferung befaßt; nicht mit der tatsächlich über die Jahrtausende ausgeübten islamischen Gewalt. Der Begriff des Dschihâd soll einer Exegese unterzogen, nicht die islamische Gewalt an historischen Beispielen untersucht werden; so, wie das in den anderen Projekten für die Gewalt im Christentum geschieht.

Würden diejenigen Wissenschaftler in dem Exzellenzcluster, die den christlichen Bereich wissenschaftlich beackern, ebenso verfahren, dann wäre ihr Themenfeld die Friedfertigkeit, die im Neuen Testament gepredigt wird, und die duldende Sanftmut, die von den Mitgliedern der christlichen Urgemeinde praktiziert wurde; so, wie das eben die Überlieferung beinhaltet.



Wie kommt es zu einer derartigen wissenschaftlichen Einseitigkeit?

Wie kommt es, daß in Bezug auf das Christentum und das Judentum historische Gewalt erforscht wird; von der Büchervernichtung im Spätmittelalter (Projekt 6) über den Spanischen Bürgerkrieg (Projekt 9) und "Gewalt und Christentum in Ostafrika" (Projekt 11) bis zu den Militärdiktaturen in Südamerika (Projekt 10)? Daß auch das Judentum auf Gewalt hin abgeklopft wird ("Göttliche Gewalt" im Alten Testament, Projekt 1; Gewalt im antiken Judentum; Projekt 13)?

Wie kommt es, daß aber ausgerechnet der Islam als diejenige Religion, die schon zur Zeit ihres Stifters auf Gewalt und Eroberung setzte, bei solchen historischen Analysen ausgespart bleibt? Daß dessen Gewalt nur in Form einer theologischen Exegese des Begriffs "Dschihâd" thematisiert wird?

Ich weiß es nicht. Es mag dafür interne Gründe dieses Exzellenzclusters geben. Dem Außenstehenden jedenfalls drängt sich der Eindruck auf, daß - um es in religiöser Sprache zu sagen - diese Wissenschaftler den Splitter im eigenen, jüdisch-christlichen Auge in riesengroßer Vergrößerung sehen, während sie, was den Balken im islamischen Auge angeht, unter einem Skotom zu leiden scheinen.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelbild: Das Schwert Alis, des ersten Imam der Schiiten. Die Inschrift oben lautet übersetzt "Ali ist Gott nahe", die links auf dem Schwert "Es gibt kein Schwert außer Dhulfiqar", die rechts "Es gibt keinen Helden außer Ali". Weitere Einzelheiten finden Sie hier. Abbildung vom Autor FunkMonk in die Public Domain gestellt. Mit Dank an Meister Petz.