15. Dezember 2011

Was die Krise der FDP ist, und was sie nicht ist. Über den Erfolg der christlich-liberalen Koalition und das Erbe Guido Westerwelles

Jetzt blasen sie Halali.

Diejenigen, die den Liberalismus in Deutschland untergehen sehen möchten, damit das verbliebene politische Spektrum nur noch von linksaußen bis zur linken Mitte reicht, sehen sich schon am Ziel ihrer Wünsche. In der Online-Ausgabe der "Frankfurter Rundschau" steht heute ein Leitartikel von Christian Bommarius, in dem es heißt:
Wenn die liberalen Kabinettsmitglieder ihren Eid nicht täglich brechen und damit die Verfassung verletzen wollen, dann sind sie zum sofortigen Rücktritt verpflichtet. Denn die FDP selbst ist inzwischen der Schaden, den vom deutschen Volk zu wenden ihre Minister einst versprochen haben. (...)

Wenn die Liberalen nicht freiwillig die Koalition verlassen, dann muss die Union den Totentanz beenden. Es ist keine gute Zeit für Neuwahlen, aber es ist höchste Zeit für eine neue Regierung – ohne tote Koalitionspartner.
So hätte es die deutsche Linke gern: Lindner hat aufgegeben, also ist auch Rösler gescheitert, also ist die FDP als Regierungspartei gescheitert, also ist die schwarzgelbe Koalition am Ende. Und damit ist jetzt der Weg frei für eine Machtübernahme durch die Linke; vielleicht auf dem Umweg über eine Große Koalition bis 2013.



Aber es kann ja keine Rede davon sein, daß diese christlich-liberale Koalition gescheitert wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Sie ist ein der erfolgreichsten Regierungen der vergangenen Jahrzehnte.

Sie ist weitaus erfolgreicher als die in der Tat gescheiterte rotgrüne Koalition der Jahre 1998 bis 2005, die bekanntlich damit endete, daß der Kanzler Schröder ein Mißtrauensvotum gegen sich selbst herbeiführen mußte; und sie ist gewiß nicht weniger erfolgreich als die Große Koalition der Jahre 2005 bis 2009.

In nahezu allen Bereichen der Politik steht Deutschland unter dieser Regierung hervorragend da. In kaum einem westlichen Land gibt es einen derart stabilen sozialen Frieden, gibt es so wenige Unruhen und Proteste wie in Deutschland. Die Wirtschaft ist besser aus der Krise der Jahre 2008 und 2009 herausgekommen als anderswo. Während fast überall die Arbeitslosigkeit stieg, ist sie bei uns kontinuierlich gesunken. Deutschland hat dank dieser positiven Entwicklung inzwischen eine solche Stärke und ein solches Ansehen erreicht, daß dies bereits Anlaß zur Sorge im Hinblick auf die Reaktion unserer Nachbarn sein muß (siehe den Artikel von Kallias Europas Krise (7): Mehr Brüssel; ZR vom 9. 12. 2011).

Wir sind unter dieser schwarzgelben Regierung eine erfolgreiche, von den anderen beneidete Nation. Während um uns herum sich Krisenangst ausbreitet, boomt in Deutschland das Weihnachtsgeschäft. In der Washington Post schrieb gestern Michael Bierbaum über Europa und Deutschland:
Amid crushing unemployment, slashed benefits and deep pessimism about Europe's future stands one beacon of cheer this holiday season: Germany, where shoppers are spending more than they have in years. (...)

"We personally don't see a need to change our habits" in response to the crisis elsewhere, said Gisela Becker, 62, a schoolteacher, who was shopping with her daughter at a chic clothing store in Berlin's bustling central district this weekend. "We're quite optimistic about the future."

Inmitten erdrückender Arbeitslosigkeit, inmitten von zusammengestrichenen Sozialleistungen und tiefem Pessimismus über die Zukunft Europas erhebt sich in dieser Festzeit ein Leuchtturm guten Mutes: Deutschland, wo bei den Einkäufen mehr Geld ausgegeben wird als seit Jahren. (...)

"Wir persönlich sehen keine Notwendigkeit, unsere Gewohnheiten zu ändern", weil es andernorts eine Krise gibt, sagte die Lehrerin Gisela Becker, 62, die mit ihrer Tochter am letzten Wochenende Shoppen war; in einem schicken Modegeschäft im brummenden Berliner Bezirk Mitte. "Wir sehen der Zukunft ganz mit Optimismus entgegen".
So nimmt man uns im Ausland wahr. Natürlich ist es nicht allein das Werk einer Regierung, wenn es einem Land gut geht. Aber unter einer schlechten Regierung geht es einem Land selten gut. Dieses Land wird von der christlich-liberalen Koalition gut regiert; und daran hat die FDP einen erheblichen Anteil.



Die Krise der FDP ist, so sehr das die Vereinigte Linke auch behauptet, keine Krise des schwarzgelben Regierungsmodells. Sie ist auch keine Krise des FDP-Teils dieser Regierung.

Guido Westerwelle muß man da ausnehmen. Auch nach mehr als zwei Amtsjahren ist nicht zu erkennen, daß er zum Außenminister taugt (siehe Guido Westerwelle sollte seinen Hut nehmen. Aber nicht wegen Libyen; ZR vom 29. 8. 2011). Aber ansonsten haben die FDP-Minister in dieser Regierung gute Arbeit abgeliefert; vor allem, bevor im Mai dieses Jahres das unnötige Revirement stattfand, das aus dem Arzt Rösler einen Wirtschaftsminister machte und den erfolgreichen Minister Brüderle aus dem Kabinett hinausbeförderte.

Bis dahin hatte Philipp Rösler als Gesundheitsminister exzellente Arbeit geleistet; war Rainer Brüderle eine erfolgreicherer Wirtschaftsminister gewesen, als viele es ihm zugetraut hatten. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist als Justizministerin gewiß nicht schlechter als ihre Vorgängerinnen Däubler-Gmelin und Zypries. Dirk Niebel hat viel dafür getan, die Entwicklungspolitik zu entideologisieren und auf eine vernünftige wirtschaftliche Grundlage zu stellen.

Nein, das Problem ist nicht die Regierungsarbeit der FDP; und es ist auch nicht die Zusammenarbeit in dieser Koalition, die sich nach anfänglichem Fremdeln zusammengefunden hat. Das Problem ist allein die FDP als Partei; und bei ihr wiederum ist der Kern des Problems das Erbe Guido Westerwelles.

Gerhart Baum hat es gestern auf dem Sender Phoenix gesagt: In der FDP muß wieder diskutiert werden; was in der Ära Westerwelle kaum noch stattgefunden hatte. Aus der einst so programmatisch orientierten Partei, in der es immer lebhafte und oft leidenschaftliche Debatten gegeben hatte (anfangs zwischen National- und Linksliberalen, dann zwischen Wirtschafts- und Bürgerrechtsliberalen) ist unter Westerwelle eine zwar nicht (wie der FR-Mann Bommarius meint) tote, aber doch eine gelähmte FDP geworden.

Eine Partei, in der es allmählich kaum noch Flügel gab, wie sie jede gesunde größere Partei haben muß. Debattiert wurde immer weniger um die Sache und immer mehr über Strategie und Taktik; eben nach der Art Westerwelles. Viel Show, wenig Substanz. Viele große Worte, wenig solides Handwerk. Jürgen Möllemanns zeitweiliger Erfolg in dieser Partei lag wesentlich daran, daß auch ihm dieser Stil lag; ja daß er ihn nachgerade verkörperte.

An die Stelle der inhaltlichen Auseinandersetzung in der Partei ist seit zehn Jahren das Gerangel um die Macht getreten. Diese Entwicklung begann, als Guido Westerwelle im Verein mit seinem damaligen Mitstreiter Möllemann Anfang 2001 Wolfgang Gerhardt aus dem Amt des Vorsitzenden mobbte. Das wurde damals als Generationswechsel verkauft (Wolfgang Gerhadt war gerade 58 Jahre geworden!); in Wahrheit war es ein Wechsel des Politikstils.



Was ist zu tun?

Wolfgang Gerhardt hatte als Vorsitzender für die alte, die faire und sachorientierte FDP gestanden; jene FDP, die heute noch von Männern wie Hermann Otto Solms und Rainer Brüderle, wie Wolfgang Kubicki und Jörg-Uwe Hahn repräsentiert wird; und natürlich von den Elder Statesmen - Gerhart Baum, Hans-Dietrich Genscher, Burkhard Hirsch, Klaus Kinkel.

Zu deren Politikstil muß die FDP zurück. Und zwar jetzt endlich konsequent.

Es wird möglicherweise an diesem Wochenende krachen, wenn das Ergebnis der Mitgliederbefragung bekanntgegeben wird. Aber es könnte ein reinigendes Gewitter werden.

Krisen sind bekanntlich auch Chancen. Die FDP hat jetzt, in dieser schwersten Krise seit ihrer Gründung, die Chance, wieder zu sich selbst zu finden.

Sie muß dazu allerdings den Mut haben, endgültig einen Schlußstrich unter die Ära Westerwelle zu ziehen; abzuschließen mit diesen zehn Jahren, in denen Schein mehr galt als Sein, in denen der Machtkampf an die Stelle der inhaltlichen Diskussion getreten war.

Sie muß dazu als erstes die Fehler korrigieren, die sie im Mai dieses Jahres gemacht hat: Westerwelle im Amt des Außenministers zu lassen; gleich die ganze Führung in die Hände von jungen, unerfahrenen Männern zu legen; ein unsinniges Kabinetts-Revirement herbeizuführen.

Das sind sozusagen die kleinen Korrekturen, die jetzt unmittelbar anstehen. Darüber hinaus bedarf es aber einer umfassenden Korrektur. Die FDP braucht ein Reset. Ein Reset auf den Januar 2001, als Guido Westerwelle den Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt so weit gebracht hatte, daß er seinen Stuhl für Westerwelle räumte. Damals begann die Entwicklung, die jetzt die FDP an den Rand des Untergangs geführt hat.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Der Reichstag. Vom Autor Norbert Aepli unter Creative Commons Attribution 2.5 - Lizenz freigegeben. Ausschnitt.