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31. Juli 2007

Annette Schavan: Eine Ministerin hat eine Idee

Am vergangenen Wochenende erschien im "Tagesspiegel am Sonntag" ein Interview mit der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan. Sie äußerte sich zur Vorschule, zur Hauptschule, zur Universität. Aber es sind nur zwei Sätze aus diesem Interview, eher nebenher gesagt, die Aufmerksamkeit, ja Aufsehen erregten:
Und ich bin auch davon überzeugt, dass wir in den allermeisten Fächern keine so große Vielfalt von Schulbüchern brauchen. Wo es einheitliche Bildungsstandards gibt, kann ein Schulbuch in ganz Deutschland zur Grundlage von verschiedenen Lehrplänen werden.
Wie kommt diese Bundesministerin dazu, sich über Schulbücher zu äußern?

Das Schulwesen fällt bekanntlich unter die Kultur- Hoheit der Länder. Seltsamerweise haben wir aber dennoch einen Ministerin, die für Bildung zuständig ist. Und weniger seltsamerweise versucht sie, wie alle ihre Vorgänger, das Grundgesetz, sagen wir, auf seine Belastbarkeit zu testen, indem sie sich munter in das Schulwesen einmischt.

Zuständig ist sie so wenig, wie der Bürgermeister von Nieder- Mumbach für die Nahost- Politik der Bundesrepublik zuständig ist. Aber sich Gedanken machen, nicht wahr, das ist ja nicht verboten. Auch nicht einer Ministerin.



Annette Schavan ist die vermutlich Agilste in diesem Amt seit Jürgen W. Möllemann.

Man hat den Eindruck, daß sie sich in den Käfig ihrer fehlenden Kompetenzen eingesperrt fühlt wie weiland Houdini in sein Drahtgestell, das freilich auch noch unter Wasser war. Der Vorhang senkte sich, Houdini rumorte, und schwupps! taucht er frei auf. So würde es, scheint mir, die Annette Schavan auch gern mit der Schulpolitik machen.

Jetzt hat sie, in diesem Interview, sozusagen erst mal eine Hand rausgestreckt. Und hat prompt heftige Reaktionen ausgelöst, die man zum Beispiel in der FAZ und der SZ nachlesen kann.



Bundeseinheitliche Lehrbücher? Welcher Teufel hat diese Ministerin geritten, als sie diesen hanebüchenen Vorschlag in die Welt gesetzt hat?

Wenn ein Lehrer gut ist, dann macht er seinen individuell gestalteten Unterricht. Ihm sind Lernziele vorgegeben, durch die Lehrpläne. Wie er sie erreicht, das muß man ihm, dem guten Lehrer, selbstverständlich überlassen.

Er sollte dieses oder auch jenes Lehrbuch auswählen können. Er sollte die Freiheit haben, vielleicht auch gar kein Lehrbuch zu benutzen, sondern seine Unterrichts- Materialien selbst zu gestalten. Wenn er ein Lehrbuch ausprobiert hat und feststellt, daß die Schüler wenig damit anfangen konnten, dann sollte, dann muß er selbstverständlich das Recht haben, auf ein anderes Lehrbuch umzusteigen.

Es ist schlimm genug, daß sich da die Kultusministerien einmischen. So, als sei den Bürokraten eine Weisheit zugewachsen, die der Lehrer selbst nicht hat.

Aber der Gedanke, daß nun von Flensburg bis Oberpfaffenhofen, von Aachen bis Görlitz alle Schüler ihre Nasen in dasselbe Lehrbuch stecken müssen, weil irgendeine Super- Kultusbürokratie, vielleicht die Konferenz der Kultusminister, das so beschlossen hat - das ist doch ein wahrhaft abwegigiger Gedanke.

Was soll denn einen Lehrer noch motivieren, guten Unterricht zu machen, wenn er noch nicht einmal die Lehrmaterialien selbst aussuchen kann?

Ganz abgesehen davon, daß dann reihenweise die Schulbuch- Verlage, die bei dieser Verteilungs- Lotterie nicht zum Zug kamen, in den Orkus gekippt würden.



Daß überhaupt jemand eine so seltsame Idee äußern kann wie Frau Schavan, wirft ein Schlaglicht auf die kulturelle Situation in Deutschland.

Die Linken rufen nach der Einheits- Schule, in der die Guten und die Schlechten gemeinsam lernen sollen. (Daß davon in Ländern wie den USA, in denen alle in eine High School gehen, keine Rede sein kann, habe ich kürzlich erläutert. Gegen die Vielfältigkeit High Schools ist das deutsche dreigliedrige Schulsystem ausgesprochen egalitär).

Und nun tutet also auch die Konservative Schavan aus demselben Horn: Das Gymnasium nicht abschaffen, aber die Gymnasien vereinheitlichen will sie. Die Lehrer auf Vordermann bringen. Ihnen nicht nur die Lernziele vorgeben, sondern sie auch gleich noch an die Hand nehmen und ihnen den Weg hin zu diesen Zielen weisen.

Jene Annette Schavan, die nie als Lehrerin vor eine Schulklasse gestanden hat, die aber umso mehr Erfahrung mit der Hierachie der Katholischen Kirche hat.



Ja, aber. Ist es denn nicht schlimm, daß ein Kind, wenn die Eltern umziehen, auf einmal ein anderes Lehrbuch vorfindet, ja nach anderen Lehrplänen lernen muß?

Was ist daran schlimm? Auch im Berufsleben muß jeder sich darauf einrichten, mal dies und mal jenes zu lernen. Wer nach der Lehre in eine andere Firma wechselt, kann nicht gut sagen: Aber das habe ich bei XYZ in der Lehre ganz anders gelernt.

Studenten tendieren heute leider dazu, ihr ganzes Studium an derselben Uni zu verbringen. Ich habe an drei Unis studiert, wie es früher einmal selbstverständlich war.

Immer mit neuen Lehrbüchern.

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1. Juli 2007

Ist das deutsche Schulsystem zu differenziert? Nein, zu egalitär

Im "Nachtcafé" des SWR, einer der besten deutschen TV-Talkshows, moderiert von Wieland Backes, ging es am Freitag wieder einmal um das deutsche Schulsystem.

Wieder einmal standen Befürworter und Gegner des "gegliederten Schulsystems" einander erbittert gegenüber. Wie immer wurden andere Länder als Vorbild genannt, in denen angeblich alle Schüler und Schülerinnen gemeinsam zur Schule gehen.

Und wie immer wurde argumentiert, daß das für alle gut sei, wenn sie gemeinsam lernten, die Hochbegabten, die durchschnittlich Begabten, die weniger Begabten.

Ein einziger Teilnehmer, der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbands Josef Kraus, hielt dagegen und verteidigte das gegliederte Schulsystem. Mit wenig, sehr wenig Beifall und Zustimmung.

Ein anderer hingegen, Rektor einer Hauptschule, brachte die Lacher auf seine Seite mit dem Spruch: "Auf der Erde gibt es achtzehn Länder, die die Kinder ab der fünften Klasse trennen. Sechzehn davon liegen in Deutschland". So ungefähr sagte er es. Haha.

Nur ist die Wahrheit, daß in den Ländern, die uns als Vorbild für angeblich "gemeinsame Erziehung aller Kinder" vorgehalten werden, mindestens so stark differenziert wird wie in Deutschland, oft viel stärker.

Das deutsche Schulsystem ist eines der egalitärsten der Welt. Denn allen Gymnasien eines Bundeslands, allen Realschulen, allen Hauptschulen werden dieselben Lehrpläne vorgegeben, die für jede Jahrgangsklasse genau festlegen, welche Lernziele erreicht werden sollen. Sogar Lehrbücher und andere Unterrichtsmaterialien müssen von der Kultusbürokratie zugelassen werden, bevor eine Schule sie benutzen darf.

Die Differenzierung ist in Deutschland also so gering, wie sie überhaupt nur sein kann - lediglich in drei Typen von Sekundarschulen.



In Diskussionen des Schulsystems wird gern auf die amerikanische High School hingewiesen, in die aller Schüler gehen.

Wohl wahr. So wahr, wie es stimmt, daß alle Deutschen ihre Lebensmittel in Lebensmittel- Läden kaufen.

Nur unterscheiden sich amerikanische High Schools mindestens so stark voneinander wie ein Feinkostgeschäft von Aldi. Nur wird auch innerhalb amerikanischer High Schools eine Differenzierung angeboten, von der deutsche Schulen nur träumen können. Es gibt zum Beispiel an vielen dieser angeblich so egalitären Schulen Honors Classes, spezielle Klassen für die Hochbegabten. Es gibt vielfältige Programme, unter denen die Schüler wählen können, je nach Begabung.

Nicht nur jeder Bundesstaat, sondern jeder Schulbezirk kann weitgehend selbst bestimmen, wie das Schulsystem gestaltet ist. Viele Staaten, viele Städte bieten High Schools speziell für Hochbegabte an, oder für künstlerisch besonders Begabte. Umgekehrt gibt es spezielle High Schools für weniger Begabte oder für sonstwie Benachteiligte. Und sogar - kein Witz! - spezielle High Schools für Homosexuelle und Transsexuelle werden angeboten.

Wie selektiv dieses Schulsystem ist, kann man beispielsweise an der Boston Latin School oder der Oxford Academy in Kalifornien sehen, die, wie viele erstklassige High Schools, Schüler nach einem strengen Auswahlverfahren aufnehmen.

So ist es überall, wo angeblich alle "Schüler und Schülerinnen gemeinsam erzogen" werden. Der Unterschied zu Deutschland ist, daß die Schulen dieselbe Bezeichnung tragen. Sie heißen in den USA alle "High Schools", so wie eben sowohl Lidl als das KaDeWe Lebensmittel verkaufen.

Aber es wird ungleich mehr differenziert als in Deutschland. Allenfalls etwas später; oft beim Übergang zur siebten statt zur fünften Klasse. Darüber kann man streiten; und der einzige begründete Vorwurf an das deutsche Schulsystem ist, daß es vielleicht zwei Jahre später differenzieren sollte, als es das jetzt tut.

Im übrigen brauchen wir aber dringend mehr und nicht weniger Differenzierung. Die aber nicht über staatlich verordnete Lehrpläne erreicht werden kann, sondern die nur dadurch möglich ist, daß den Schulen weit mehr Freiheit gegeben wird als jetzt.

Und natürlich brauchen wir mehr Privatschulen. Staatliche Leistungen sind immer schlechter als private. Überhaupt einigermaßen gut ist der Staat allenfalls dann, wenn er in Konkurrenz mit Privaten steht.

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