1. Juli 2007

Ist das deutsche Schulsystem zu differenziert? Nein, zu egalitär

Im "Nachtcafé" des SWR, einer der besten deutschen TV-Talkshows, moderiert von Wieland Backes, ging es am Freitag wieder einmal um das deutsche Schulsystem.

Wieder einmal standen Befürworter und Gegner des "gegliederten Schulsystems" einander erbittert gegenüber. Wie immer wurden andere Länder als Vorbild genannt, in denen angeblich alle Schüler und Schülerinnen gemeinsam zur Schule gehen.

Und wie immer wurde argumentiert, daß das für alle gut sei, wenn sie gemeinsam lernten, die Hochbegabten, die durchschnittlich Begabten, die weniger Begabten.

Ein einziger Teilnehmer, der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbands Josef Kraus, hielt dagegen und verteidigte das gegliederte Schulsystem. Mit wenig, sehr wenig Beifall und Zustimmung.

Ein anderer hingegen, Rektor einer Hauptschule, brachte die Lacher auf seine Seite mit dem Spruch: "Auf der Erde gibt es achtzehn Länder, die die Kinder ab der fünften Klasse trennen. Sechzehn davon liegen in Deutschland". So ungefähr sagte er es. Haha.

Nur ist die Wahrheit, daß in den Ländern, die uns als Vorbild für angeblich "gemeinsame Erziehung aller Kinder" vorgehalten werden, mindestens so stark differenziert wird wie in Deutschland, oft viel stärker.

Das deutsche Schulsystem ist eines der egalitärsten der Welt. Denn allen Gymnasien eines Bundeslands, allen Realschulen, allen Hauptschulen werden dieselben Lehrpläne vorgegeben, die für jede Jahrgangsklasse genau festlegen, welche Lernziele erreicht werden sollen. Sogar Lehrbücher und andere Unterrichtsmaterialien müssen von der Kultusbürokratie zugelassen werden, bevor eine Schule sie benutzen darf.

Die Differenzierung ist in Deutschland also so gering, wie sie überhaupt nur sein kann - lediglich in drei Typen von Sekundarschulen.



In Diskussionen des Schulsystems wird gern auf die amerikanische High School hingewiesen, in die aller Schüler gehen.

Wohl wahr. So wahr, wie es stimmt, daß alle Deutschen ihre Lebensmittel in Lebensmittel- Läden kaufen.

Nur unterscheiden sich amerikanische High Schools mindestens so stark voneinander wie ein Feinkostgeschäft von Aldi. Nur wird auch innerhalb amerikanischer High Schools eine Differenzierung angeboten, von der deutsche Schulen nur träumen können. Es gibt zum Beispiel an vielen dieser angeblich so egalitären Schulen Honors Classes, spezielle Klassen für die Hochbegabten. Es gibt vielfältige Programme, unter denen die Schüler wählen können, je nach Begabung.

Nicht nur jeder Bundesstaat, sondern jeder Schulbezirk kann weitgehend selbst bestimmen, wie das Schulsystem gestaltet ist. Viele Staaten, viele Städte bieten High Schools speziell für Hochbegabte an, oder für künstlerisch besonders Begabte. Umgekehrt gibt es spezielle High Schools für weniger Begabte oder für sonstwie Benachteiligte. Und sogar - kein Witz! - spezielle High Schools für Homosexuelle und Transsexuelle werden angeboten.

Wie selektiv dieses Schulsystem ist, kann man beispielsweise an der Boston Latin School oder der Oxford Academy in Kalifornien sehen, die, wie viele erstklassige High Schools, Schüler nach einem strengen Auswahlverfahren aufnehmen.

So ist es überall, wo angeblich alle "Schüler und Schülerinnen gemeinsam erzogen" werden. Der Unterschied zu Deutschland ist, daß die Schulen dieselbe Bezeichnung tragen. Sie heißen in den USA alle "High Schools", so wie eben sowohl Lidl als das KaDeWe Lebensmittel verkaufen.

Aber es wird ungleich mehr differenziert als in Deutschland. Allenfalls etwas später; oft beim Übergang zur siebten statt zur fünften Klasse. Darüber kann man streiten; und der einzige begründete Vorwurf an das deutsche Schulsystem ist, daß es vielleicht zwei Jahre später differenzieren sollte, als es das jetzt tut.

Im übrigen brauchen wir aber dringend mehr und nicht weniger Differenzierung. Die aber nicht über staatlich verordnete Lehrpläne erreicht werden kann, sondern die nur dadurch möglich ist, daß den Schulen weit mehr Freiheit gegeben wird als jetzt.

Und natürlich brauchen wir mehr Privatschulen. Staatliche Leistungen sind immer schlechter als private. Überhaupt einigermaßen gut ist der Staat allenfalls dann, wenn er in Konkurrenz mit Privaten steht.

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