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3. Juli 2009

Zettels Meckerecke: "Schottische Schafe schrumpfen". Die globale Erwärmung und das Elend des deutschen Wissenschafts- Journalismus

Die Meldung ging gestern über die Ticker der Agenturen: Auf einer schottischen Insel namens Hirta schrumpfen die Schafe.

Diese Meldung hat natürlich auch die Wissenschafts- Redaktion von "Welt- Online" erreicht. Und dort hat wer auch immer - der Artikel ist nicht namentlich gezeichnet - etwas dazu zusammengeschustert, das exemplarisch das Elend des deutschen Wissenschafts- Journalismus zeigt.

Nein, nicht des gesamten. Aber wie da mit Fakten umgesprungen wird, als seien sie ein leerer Wahn, das ist leider gar nicht untypisch für das, was man in den Wissenschafts- Rubriken unserer Medien serviert bekommt.

Dies schreibt der unbekannte Wissenschafts- Redakteur von "Welt- Online":
Der Klimawandel lässt schottische Schafe schrumpfen. Diese Beobachtung britischer Forscher widerspricht der klassischen Evolutionslehre und veranschaulicht gleichzeitig die komplexen Auswirkungen der Erderwärmung.
Daran stimmt fast nichts.

Was wirklich der Fall ist, erfährt man, wenn man die Pressemitteilung der Zeitschrift Science liest, in der die betreffende Untersuchung erschienen ist; wenn man deren Abstract zur Kenntnis nimmt und wenn man einen Blick in die Berichterstattung von Medien wirft, die eine Wissenschaftsredaktion haben, die diesen Namen verdient; zum Beispiel die New York Times oder Time Magazine.



Also, worum geht es?

Biologen, die sich für die Entwicklung von Populationen interessieren, nehmen sich gern eine Insel zum Studienobjekt. Dort sind die Populationen oft isoliert; es gibt wenige Veränderungen; man hat sozusagen Laborbedingungen vor sich, wie es sie sonst in der biologischen Feldforschung nur selten gibt.

Die Insel Hirta ist ein solches Beispiel. Dort findet man die Soay- Schafe; ursprünglich Haustiere, die aber, seit sie 1932 nach Hirta kamen, dort wild leben, ohne sich seither mit anderen Schafen gekreuzt zu haben. Nahezu die gesamte dortige Vegetation dient ihnen zur Nahrung. Also ein schön abgeschlossenes Biotop, wie es der Populationenforscher schätzt.

Das Durchschnittsgewicht dieser Schafe nun nimmt ab; darauf wurde man erstmals 2007 aufmerksam. Anhand vorliegender älterer Daten konnte man zurückrechnen, daß diese Veränderung seit mindestens 1985 im Gang ist und von damals bis heute dazu geführt hat, daß die Tiere im Schnitt 5 Prozent an Gewicht verloren haben.



Was ist daran nun wissenschaftlich interessant? Eine solche Veränderung kann im Prinzip zwei Ursachen haben:

Es kann sich um eine evolutionäre Veränderung handeln, also eine Veränderung im Genom (im gesamten Genmaterial) der betreffenden Population. Die Biologen nennen das eine Veränderung im Genotyp.

Es könnte aber auch sein, daß sich am Genmaterial nichts oder nur wenig geändert hat und daß lediglich innerhalb der Variationsbreite, die es in jeder Population gibt, bestimmte Individuen bessere Bedingungen hatten, sich fortzupflanzen. Dann ändert sich der Phänotyp, während der Genotyp unverändert bleiben kann.

Man kann sich das am Beispiel des Vogelflugs und der Ziegen auf Fuerteventura klarmachen: Zugvögel können innerhalb weniger Jahre ihre Flugroute ändern. Dabei verändert sich nichts in ihrem Genmaterial. Sondern dieses läßt verschiedene Flugstrecken zu - so, wie die Ziegen auf Fuerteventura mal schwarz, mal weiß, mal weißbraun gescheckt sind.

Diese Variationsbreite bewirkt, daß eine Ziegenherde sich optisch perfekt der dortigen Landschaft aus trockener, vielfarbiger Erde und Geröll anpaßt.

Eine solche Variantionsbreite gibt es auch bei Zugvögeln: Einige sind schon immer die eine Route geflogen, andere eine davon verschiedene. Wird nun eine Route günstiger, z.B. aufgrund klimatischer Änderungen, dann überleben mehr von denjenigen Individuen, die diese Route bevorzugen; und innerhalb weniger Generationen fliegt die ganze Vogelschar so.

Am Genom hat sich aber nichts geändert. Es ist eben von Vorteil, wenn die Tiere, die einen Genpool gemeinsam haben, doch individuell verschieden ausfallen; ob es Ziegen sind oder Zugvögel.



Oder Schafe? Das war die Forschungsfrage des Teams um den Biologen Tim Coulson vom Imperial College London. Mit Hilfe mathematischer Modelle versuchte man abzuschätzen, welcher der beiden Mechanismen den Gewichtsverlust der Schafe auf Hirta bewirkt hatte - eine Änderung des Genotyps oder nur eine Verschiebung im Phänotyp?

Das Ergebnis war, daß sich vermutlich genetisch wenig verändert hat, aber die veränderten Klimabedingungen - kürzere, weniger kalte Winter - dazu geführt haben, daß auch Schafe den Winter überleben können, die sich ein weniger dickes Speckpolster angefressen haben.

Weiter vermuten die Forscher, daß unter den veränderten klimatischen Bedingungen Schafe früher gebären; damit kleinere Nachkommen zur Welt bringen. Genetische Veränderungen könnten, so die Autoren, beteiligt sein, scheinen aber "wenig von beobachteten Veränderungen zu erklären".



Sie fragen, lieber Leser, wo denn das Meckern bleibt? Gemach, es kommt jetzt.

Der Autor von "Welt-Online" schreibt: "Der Klimawandel lässt schottische Schafe schrumpfen. Diese Beobachtung britischer Forscher ...". Nein, das ist keine Beobachtung, in keiner Weise. Die Beobachtung ist der Gewichtsverlust. Daß dieser auf den Klimawandel zurückgeht, ist eine Hypothese, die richtig sein kann oder auch falsch. Eine alternative Erklärung ist zum Beispiel, daß sich das Nahrungsangebot auf Hirta verändert hat, so daß die Tiere sich weniger gut mästen können.

In den Naturwissenschaften lernen Studenten im ersten Semester, daß man zwischen Beobachtungen und Hypothesen streng zu trennen hat. Beobachtungen müssen beispielsweise repliziert werden können; also von anderen Forschern bestätigt. An Hypothesen (und Theorien) werden ganz andere Anforderungen gestellt.

Der Autor von "Welt-Online" schreibt sodann: "Diese Beobachtung britischer Forscher widerspricht der klassischen Evolutionslehre."

Völliger Unsinn. Der Autor hat nichts, aber auch gar nichts verstanden. Es ging in dieser Untersuchung darum, ob in diesem konkreten Fall Evolution stattfindet, oder ob es sich um nichtgenetische Änderungen handelt. Die Hypothese von Tim Coulson und seinem Team widerspricht der Evolutionstheorie ungefähr so sehr, wie der Umstand, daß Vögel und Flugzeuge fliegen, dem Gravitationsgesetz widerspricht.

Nicht wahr, wenn ein Wissenschaftsredakteur einer der großen deutschen Tageszeitungen einen solchen Unsinn verzapft, den man keinem Erstsemester durchgehen lassen würde - dann ist das schon eine Meckerei wert. Und zwar eine laute. Und wenn er sich den Unsinn gar nicht selbst ausgedacht, sondern ihn von einer Agentur übernommen haben sollte, dann macht das die Sache keinen Deut besser.



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11. Mai 2009

Schöpfungsglaube in den USA: Ist der Kreationismus ein "Gegenentwurf zum Wissenschaftsglauben"? Nein, ein Sproß postmodernen Denkens

Zu dem Schreckensbild, das viele deutsche Medien von den USA zeichnen, gehört als ein besonders schwarzer Fleck der Kreationismus. Gern und mit gehörigem Kopfschütteln wird eine Umfrage zitiert, der zufolge nur 26 Prozent der Amerikaner die wissenschaftliche Evolutionslehre bejahen, während 42 Prozent meinen, das Leben habe seit Beginn aller Zeiten in der jetzigen Form existiert und 18 Prozent an eine Evolution glauben, die von einem Höheren Wesen gelenkt werde.

Das ruft natürlich diejenigen auf den Plan, die immer schon wußten, daß die Amerikaner ein Volk von ungebildeten Hinterwäldlern sind. Repräsentativ dafür ist dieser Artikel in "Spiegel- Online" aus dem Jahr 2005, in dem, wie auch anders, der Seitenhieb auf Präsident Bush nicht fehlte:
Bei ihrer Medienkampagne spielt den Intelligent- Design- Anhängern auch der angelsächsische Fairness- Grundsatz in die Hände, demzufolge jede Meinung eine Chance erhalten sollte. (...) Intelligent Design wurde auf diese Weise von höchster Stelle geadelt. "Beide Seiten sollten anständig gelehrt werden", sagte US-Präsident George W. Bush - "damit die Menschen verstehen, worum es in der Debatte geht".
Soviel Pluralismus findet der Autor, von "Spiegel- Online", Markus Becker, inakzeptabel; Bush hätte damit den "Horror der Forscherzunft" erregt.

Kreationismus, so vermitteln es Artikel wie dieser, ist so etwas wie eine Verschwörung gegen Vernunft, Wissenschaft und Fortschritt. Eine Verschwörung, die sich gemeinerweise auch noch tarnt. Markus Becker:
Nur dass sich die Kreationisten diesmal nicht Kreationisten nennen, sondern versuchen, ihre Idee als "Intelligent Design" unters Volk zu bringen. (...) Dass die neuen Kreationisten Gott nicht nennen, obwohl sie ihn meinen, gehört zur Strategie. Und die führte zur wohl geschicktesten und am besten organisierten Attacke auf die Evolutionstheorie (...)



Angesichts solcher Standard- Informationen im Stil einer Kriegsberichterstattung ist ein Artikel, der am vergangenen Freitag zum Thema Kreationismus in der "Süddeutschen Zeitung" erschien, ein wahrer Lichtblick.

Der Autor, Friedrich Wilhelm Graf, lehrt in München Systematische Theologie und verfolgt dabei einen kulturwissenschaftlichen Ansatz. Den Kreationismus sieht er folglich in einem kulturgeschichtlichen Kontext: Wenn es um Schöpfung gehe, dann gehe es um die Schöpfungsordnung. Und wenn es um die Schöpfungsordnung gehe, dann gehe es um die Ordnung der menschlichen Gesellschaft: "... wer sich Schöpfungssprache erfolgreich zu eigen macht und seine Schöpfungssicht durchsetzt, verfügt über religiös- politische Deutungsmacht".

Aus dieser Perspektive skizziert Graf die Geschichte und die Strömungen des Kreationismus. Er verteidigt ihn nicht, aber es liegt ihm auch fern, ihn zu verteufeln:
Bei europäischen Intellektuellen lässt sich viel arrogante Abwehr des Kreationismus als eines Irrglaubens der unwissenschaftlich Bornierten beobachten. Geboten sind jedoch religionsanalytische Erklärungen seiner wachsenden Erfolge, auch bei Bildungsbürgern.
Graf geht es also nicht darum, ob der Kreationismus recht hat, sondern um die Frage, warum so viele Menschen glauben, daß er recht hat.

Seine Antwort: Der Kreationismus sei so etwas wie eine Gegenbewegung gegen eine Überbewertung der Wissenschaften:
Kreationismus ist ein religiöser Gegenentwurf zu einem Wissenschaftsglauben, der Professoren zu Propheten stilisiert und durch besseres Erkennen Lebenssinn gewinnen will. Man muss nur Max Webers kantianische Polemik gegen solche wissenschaftliche Sinnhuberei ernst nehmen, um für Kreationisten partiell Verständnis aufbringen zu können: Sie setzen einer Naturwissenschaft, die sich als naturalistische "Weltanschauung" missversteht, nur eine andere moderne Ideologie entgegen, formuliert in religiösen Sprachspielen.
Ich finde diese Erklärung nicht überzeugend. Sie mag für den religiösen Fundamentalismus des 19. Jahrhunderts zutreffen; vielleicht auch noch für die erste Welle des Kreationismus in den USA ab den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Die heutige Popularität des Kreationismus aber scheint mir eine andere Ursache zu haben.



Zu Recht spricht Graf von der "im naturwissenschaftlichen Diskurs des 19. Jahrhunderts beobachtbaren Tendenz, (...) Wissenschaft selbst zu einer Sinnstiftungsinstanz zu erheben".

Ja, es gab sie, diese Tendenz. Aber eben im naturwissenschaftlichen Diskurs, also nicht in der Breite der Gesellschaft. Und im 19. Jahrhundert, nicht in der Gegenwart, für die wir die Ausbreitung des Kreationismus zu erklären haben.

Im 19. Jahrhundert finden wir die von Graf apostrophierte Erhebung der Wissenschaft in die Sphäre der Sinngebung. Als Junge hab ich mit Begeisterung einen Schmöker aus dem 19. Jahrhundert gelesen, den ich mir aus einer Leihbibliothek besorgt hatte, "Die Welträthsel" von Ernst Haeckel. Haeckel propagierte eine "monistische" Weltanschauung, in der es keinen wesensmäßigen Unterschied zwischen Geist und Materie gibt. Er fand zahlreiche Nachahmer und Mitstreiter.

Aber selbst im wissenschaftsgläubigen 19. Jahrhundert konnten solche "wissenschaftlichen Weltanschauungen" nur in einem kleinen Teil des Bildungsbürgertums Fuß fassen; wohl auch bei manchen bildungsbemühten Arbeitern Anklang finden. In den USA des 20. Jahrhunderts aber hat dergleichen nie eine bedeutende Rolle gespielt; ganz sicher nicht eine Rolle, die es erklären würde, daß der Kreationismus als eine "Gegenbewegung" entstanden wäre.

Nicht eine solche "Erhebung" der Wissenschaft ist aus meiner Sicht die wesentliche Ursache für den Erfolg des Kreationismus, sondern ganz im Gegenteil die Geringschätzung der Wissenschaft, vor allem der Naturwissenschaften, die seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu beobachten ist.

Sie entwickelte sich im Rahmen der weltweiten Jugendbewegung ab Ende der sechziger Jahre und fand dann vor allem ihren Ausdruck im sogenannten postmodernen Denken. Die Ergebnisse der Wissenschaften werden von vielen, die diesem Denken anhängen, als kulturelle Hervorbringungen wie alle anderen auch angesehen. Man kann ihnen glauben, ihnen aber auch mißtrauen.

Und eher mißtraut man ihnen, den "Fachidioten", den Vertretern der "Wissenschaft der weißen, heterosexuellen Männer". Warum soll die "alternative Medizin" nicht ebenso recht haben wie die "Schulmedizin"? Ist nicht das Weltbild der modernen Kosmologie lediglich ein "Konstrukt", ebenso wie das Weltbild des Aristoteles, in dem Sonne, Mond und Sterne um die Erde kreisen, jeder an seine Sphäre geheftet? Mit welchem Recht lehnen Wissenschaftler, die doch nichts anderes tun als zählen und messen, die Astrologie ab, eine uralte Wissenschaft? Und so fort.

Dieser Relativismus prägt auch in den USA seit Jahrzehnten das intellektuelle Klima. Und er liefert, so scheint mir, den Nährboden für einen Sproß, der nun freilich von den postmodernen Linken gar nicht gern gesehen wird: Wenn die Evolutionslehre, wenn die Historische Geologie (die die Entwicklung der Erde seit ihrer Entstehung untersucht) ohnehin nur beliebige kulturelle Konstrukte sind - warum sollte man dann nicht viel eher der Wahrheit der Bibel vertrauen?

Der postmoderne Relativismus ist, wie jeder Relativismus, instabil. Wenn man das gemeinsame Fundament der Wissenschaft als einer voraussetzungslosen, ergebnisoffenen und kultur- und religionsübergreifenden Unternehmung aufgibt, dann bereitet man den Boden für Ideologien und Fundamentalismen aller Art.

Wenn alles erlaubt ist, wenn die Losung "Everything goes" gilt - warum sollte dann nicht auch beispielsweise die biblische Weltsicht derjenigen der Wissenschaft gleichberechtigt an die Seite gestellt werden? Ich habe dieses Umschlagen von Relativismus in Dogmatismus, von grenzenloser Toleranz in Intoleranz, in diesem Artikel genauer beschrieben.

Die einen basteln sich dann, wenn die Verbindlichkeit der Wissenschaft erst einmal aufgehoben ist, ihre "marxistische Wissenschaft", die anderen ihre "feministische Wissenschaft", und viele vertrauen eben aufs Altbewährte: Das, was schon die Väter glaubten; das, was durch die Heilige Schrift verbürgt ist. Man gewinnt dann wieder den festen Boden, den der postmoderne Relativismus einem unter den Füßen weggezogen hatte. Just dieser Relativismus macht es möglich.



Nicht der Verzicht der Wissenschaft auf eine "Sinnstiftung", die sie ohnehin schon seit einem Jahrhundert nicht mehr beansprucht, ist das Gegenmittel gegen solche Ideologien und Fundamentalismen. Ihnen kann nur dann mit Aussicht auf Erfolg entgegengetreten werden, wenn die Wissenschaften ihre angestammte Autorität zurückgewinnen.

Also wohl erst in der Post-Postmoderne.



Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Jan Bruegel d.J. (1601-1678), Gott erschafft Sonne, Mond und Sterne (Ausschnitt).