25. April 2023

Levania. Der Blick vom Mond







...Forse
a Levania approdai nella sepolta
esistenza anteriore, ed era il cono
dell’eclissi che l’algida schiudeva
nera via degli spiriti.

Sergio Solmi, “Levania” (1954)

. .…vielleicht
bin ich auf Levania gelandet, in einem vergessenen
früheren Leben, und es war der Kegel
der Sonnenfinsternis, der mir den eisigen
schwarzen Geisterweg öffnete.

I.

Dies ist mein dritter Beitrag in Folge zum Thema Raumfahrt, oder präziser „Zur Raumfahrt am Donnerstag, dem 20. April 2023.“ Aber anders als in meinen beiden vorigen Postings geht es diesmal nicht um den ersten „Integral Flight Test“ des Starships von SpaceX, der um 16 Uhr 33 (MESZ) von der Starbase abhob und ein Trümmerfeld hinterließ, das gestern an dieser Stelle zu besichtigen war.

Dieser Beitrag reiht sich ein in eine andere Serie, in der ich seit einiger Zeit, gerade mit Bezug auf dem Mond, erstaunliche Zufälle scherzhaft als „Anzeichen“ dafür genommen habe, daß es sich bei der sogenannten „Wirklichkeit“ in Wirklichkeit um eine Simulation handelt, deren Betreiber dies aufmerksamen Beobachtern innerhalb des Programms durch solche versteckten Fingerzeige (bei Computerspielen Ostereier oder Easter Eggs genannt) zu erkennen geben: etwa, daß die Wahrscheinlichkeit 1 zu 2 steht, daß bei den ersten beiden anstehenden bemannten Mondlandungen der NASA ein Raumfahrer (eine RaumfahrerIN in diesem Fall) namens McLane an Bord eines Raumschiffs namens „Orion“ beteiligt sein wird – wie bei den Einsätzen der „Raumpatrouille“ vor einem halben Jahrhundert; daß die Einschläge der Trümmer des Kometen Shoemaker-Levy 9 auf dem Jupiter im Juli 1994 zum Teil minutengenau 25 Jahre nach den entscheidenden Phasen der ersten Mondlandung von Apollo 11 erfolgt sind. Und daß 1961 in der „größten Weltraumserie der Welt,“ Perry Rhodan, der entscheidende fiktionale Zeitpunkt zum „Aufbruch der Menschheit in den Kosmos“ auf denselben Tag gelegt worden ist, den 8. Juni 1971, an dem in Südafrika der Mann geboren wurde, der diese Rolle tatsächlich ausfüllt wie kein Mensch vor ihm: Elon Musk. Heute ist ein weiteres solches Puzzleteil hinzugekommen.

Heute nachmittag, um 14:25 Mitteleuropäischer Sommerzeit (oder heute an späten Abend, um 23:25 nach JST, japanischer Standardzeit) hat nämlich das private Raumfahrtunternehmen ispace ein Foto veröffentlicht, das die Mondlandesonde HAKUTO-R gute zehn Stunden vor dem Abheben des Starship in Texas aufgenommen hat. ­



(Die Aufnahme von HAKUTO-R, um 90° gedreht. Der Nordpol der Erde befindet sich oben.)

Das Bild, 100 Kilometer über der Mondoberfläche aufgenommen, zeigt die volle Erde, wie sie gerade über der Hügelkette Leuschner (oder des Rings des Kraters Elvey), kurz bevor der Oceanus Procellarum beginnt, in den Himmel steigt. Da sich die Sonde auf einer Bahn bewegt, die um etwas mehr 45 Grad gegenüber der Polachse der Erde gekippt ist, liegt der Nordpol unserer Heimat im Sonnensystem auf diesem Bild in der „4-Uhr-Position“ (eine solche Information ist recht hilfreich beim Versuch, die vertrauten Umrisse der Kontinente auszumachen). Und deutlich ist dort, nordöstlich der „linken“ Nordspitze des fünften Kontinents, Arnhemland, über Papua-Neuguinea das gut 200 km messende Oval des Mondschattens zu erkennen, der von eben diesem Nordwestkap bis zu den Inseln Yapen und Biak in Indonesien für die einzige totale Sonnenfinsternis verantwortlich war, die in diesem Jahr zu sehen ist. (Die zweite Sonnenfinsternis des Jahres 2023, die am 2. Oktober zu dem Südpazifik, Chile und Argentinien zu beobachten sein wird, wird eine ringförmige sein, weil der Mond so weit entfernt steht, daß er die Sonnenscheibe nicht vollständig bedeckt.) Aus der Position dieser Schattenzone läßt sich erkennen, daß das Bild zwischen 6:45 und 7:10 (MESZ) aufgenommen worden sein muß, gut 30 bis 40 Minuten, nachdem die Totalitätszone am Erdboden ihre längste Dauer von 72 Sekunden erreicht hatte.

Ältere Leser, die sich noch an die letzte „SoFi“ (wie in in den Nachrichten in Radio und TV beharrlich abgekürzt wurde), die in Deutschland zu sehen war, erinnern, wundern sich vielleicht über die Größe dieses Schattenflecks. Am 11. August 1999 erstreckte sich die Totalitätszone auf einen schmalen Streifen von etwa 50 km Breite, gleich nördlich von Stuttgart (der, sehr passend zur Gelegenheit, fast völlig unter einer dichten Wolkendecke lag). Der „von außen“ sichtbare Schatten entsteht, wenn erheblich weniger Sonnenlicht die Erdoberfläche trifft als an den voll ausgeleuchteten Partien; für einen Beobachter mit menschlichen Augen am Boden (oder in der Luft) wirkt das Licht, das die noch sichtbare Sonnenoberfläche ausstrahlt, so stark, daß kein Eindruck einer Abschwächung entseht. Erst wenn weniger als 5 Prozent davon zu sehen sind, kommt es dazu – und erst, wenn die Sonne komplett hinter dem Mond verschwindet, leuchtet die sie umgebende heiße Korona als mattes Leuchten auf – vorausgesetzt, unser Tagesgestirn befindet sich in der aktiven Phase seines Sonnenfleckenzyklus.

II.

ispace hat dieses Bild fast genau 26 Stunden vor dem Zeitpunkt veröffentlicht, an dem der Lander morgen um 18 Uhr40 Mitteleuropäischer Sommerzeit die erste Landung eines privaten Raumfahrtunternehmens auf dem Erdtrabanten, auf einem anderen Himmelskörper überhaupt, absolvieren soll. Die erste Mission dieser Art sollte die Mondlandesonde der israelischen Firma Israel Aerospace Industries sein, die am 22. Februar 2019 von Cape Canaveral an der Spitze einer Falcon 9 gestartet worden war. Beim Landeanflug am 11. April versagte eines der Gyroskope für die Lagekontrolle, was den zeitweiligen Ausfall der Funkverbindung zur Folge hatte. Bis der Kontakt wiederhergestellt worden war, hatte sich die Sonde der Oberfläche so weit angenähert, daß die verspätet ausgelöste Bremszündung des Triebwerks nicht verhindern konnte, daß die Sonde mit einer Geschwindigkeit von mehr als 500 km/h aufschlug.

HAKUTO-R M1 („M1“ steht für „Mission 1“), am 11. Dezember 2022 in Cape Canaveral mit einer Falcon 9 gestartet, von der gleichen Startrampe 40 wie Beresheet, hatte zunächst einen reichlich unintuitiv anmutenden sogenannten Lissajous-Orbit verfolgt, der die Sonde bis in einer Entfernung von 1,4 Millionen km brachte. (Bei einem solchen Kurs ist es möglich, große Bahnverändrungen mit einem Minimum an Treibstoffeinsatz durchzuführen.) Nach einem halben Umlauf um den Lagrangepunkt L1 in der Erde-Mond-Bahn ist die Sonde am 21. März in eine Umlaufbahn um den Mond eingeschwenkt, der am 13. April auf einen kreisförmigen Orbit in 100 km Höhe abgesenkt worden ist. Morgen soll dann die Landung auf 47,5 Grad nördlicher Breite und 44,4 Grad östliche Länge im gut 90 Kilometer messenden Krater Atlas im Meer der Kälte, dem Mare Frigoris, erfolgen. Der Lander wiegt auf der Erde als Gerat 340 kg; Instrumente, Triebwerke und Tanks befinden sich in einem achtkantigen Gehäuse von gut 1,60 m Höhe und Breite, das von vier ausfahrbaren Teleskopbeinen 70 cm über dem Bodenniveau getragen wird. Sonnenzellen versorgen den Lander mit 350 Watt Betriebsenergie. Und die Hauptnutzlast ist der Rover Rashid des Mohammed bin Rashid Space Centre (MBRSC) aus Dubai, ein vierrädriges Fahrzeug von einem halben Meter Höhe und ebensolcher Länge und einer Masse von 10 kg.



(HAKUTO-R bei den Endmontage)





(Der Rashid-Rover)






(Aufnahme vom 23. April 2023)



(Das Mare Frigoris)





(Das Gebiet der erdabgewandten Mondseite, über der die Aufnahme des Erdaufgangs entstanden ist)

III.



(Die halb verdeckte Sonne, aufgenommen von der Besatzung von Gemini 12 im November 1966)

Es ist nicht das erste Mal, daß bei einer Sonnenfinsternis der Schatten des Mondes sozusagen in „Außensicht“ festgehalten worden ist. Die erste „SoFi,“ bei der Raumfahrer Zeugen wurden, ereignete sich am 12. November 1966 während des Fluges von Gemini 12, bei der Buzz Aldrin (der beim Flug von Apollo 11 der zweite Mensch auf dem Mond wurde) und James Lowell (der zweimal NICHT auf dem Mond war, weil Apollo 8 im Dezember 1968 dem Trabanten nur umrundete und Apollo 13 im April 1970 bekanntlich kein Erfolg wurde), war Photographien der teilverfinsterten Sonne gelangen, aber „zu spät“ kamen, um den Schatten auf dem Erdboden sehen zu können. Das gelang erst 33 Jahre später bei der eingangs erwähnten Eklipse am 11. August 1999, als Jean-Pierre Aigneré zusammen mit der vorletzten russischen Mannschaft an Bord der russischen Raumstation MIR Aufnahmen des gut 150 durchmessenden Schattenovals über dem Süden Englands gelangen.



(Die Sonnenfinsternis vom 11. August 1999, aufgenommen von Jean-Pierre Haigneré an Bord der MIR)

Der amerikanische Astronaut Don Pettit kann sogar den Rekord für sich verbuchen, noch nie im Leben eine Sonnenfinsternis vom Erdboden aus gesehen zu haben, aber zwei Mal aus dem Weltraum: das ersten Mal im Zug der Expedition 6 auf der Internationalen Raumstation ISS, am 4. Dezember 2002, und 10 Jahre später noch einmal, am 20. Mai 2012, während der Expedition 31, als das Schauspiel am Boden eine nicht völlig verfinsterte ringförmige Finsternis war.



(Mosaikaufnahme der Sonnenfinsternis vom 29. März 2006. Aufgenommen von Bill McArthur)



(Sonnenfinsternis am 12. Mai 2012. Aufgenommen von der ISS von Don Pettit)

Aber es ist das erste Mal, daß ein solcher Schattenwurf aus der Sicht dessen, der diesen Schatten wirft, aufgenommen worden ist: Die erste Sonnenfinsternis, die vom Mond aus gesehen wurde.

(Und bevor die Frage auskommt: nein, die ISS war am Donnerstang nicht in der Position, einen Blick auf die Schattenzone der Eklipse zu werfen - wenn sie sie auch nur "um Haaresbreits" verpaßt Hat. Der einzige Überflug des sudaustralischen Territoriums fand während 4 Minuten von 12:21 bis 12.25 statt, als der verdunkelte Bereich aus der Sicht in 400 km Höhe bereits im Norden hinter der Linie des Horizonts lag.)





(Der Kreis markiert den Bereich, in dem die ISS vom Boden aus sichtbar gewesen wäre - und der folglich auch von ihr einsehbar war.)

IV.

Und an dieser Stelle wird es (leicht) unheimlich. Denn just solch ein Schattenwurf des Mondes auf die Erde, eine Sonnenfinsternis, ist die Voraussetzung für die Reise zum Mond in dem ersten Text überhaupt, der mit Fug und Recht dem Genre zugerechnet werden darf, das seit gut 90 Jahren Science Fiction genannt wird: der Versuch, die Verhältnisse auf anderen Welten als der Erde (oder der Erde zu anderen Zeiten als der Gegenwart und den historisch geläufigen) so gut zu schildern, wie es den Erkenntnissen der Wissenschaft nach möglich ist: dem „Somnium“ von Joannes Kepler.

Kepler schrieb seine kurze Erzählung vom „Traum über das Weltall“ im Jahr 1608 in Prag, wo er von Kaiser Rudolf II. sieben Jahre zuvor nach dem Tod seines Mentors Tycho Brahe zum Hofmathematiker ernannt worden war. Kepler ging es darum, die Sicht auf den Himmel, vor allem von einem anderen Himmelskörper aus, darzustellen, nach der Maßgabe des heliozentrischen Weltbilds, das Kopernikus 1543 in seinem Werk über die Umdrehungen der himmlischen Sphären, De revolutionibus orbium coelestium, entworfen hatte. Die Niederschrift fiel noch in die Zeit, bevor die Erfindung des Telsekops durch Hans Lippershey (der übrigens in Wesel geboren ist) und seine Verbesserung und Anwendung bei der Betrachtung des Himmels durch Galilei. (Die ersten Teleskope wurden im April 1609 auf der Frankfurter Messe angeboten; Galilei las die ersten Berichte darüber im Mai, und hatte seine Optik mit 20-facher Vergrößerung im Oktober 1609 abgeschlossen.) Kepler hat seine Erzählung zu Lebzeiten nicht veröffentlicht; 1620 und 1621 hat er die gut 20 auf Lateinisch verfaßten Seiten um noch einmal gut 100 Seiten Erläuterungen ergänzt; die Schrift hat sein Sohn Ludwig 1634, zwei Jahre nach dem Tod seines Vaters, in Nürnberg drucken lassen. Keplers Biographen haben zumeist vermutet, daß ein Grund für diese Zurückhaltung gewesen sein könnte, daß Keplers Mutter Katharina 1615 am ihrem Wohnort Leonberg in Württemberg im Zug eines Hexenprozesses angeklagt worden war, bei dessen Zug 8 der 15 angeklagten Frauen zum Tode verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Kepler gelang es, durch persönliches Auftreten als Verteidiger im Prozeß ihre Freilassung zu erwirken.



Kepler verwendet, um seinen Erzähler auf den Mond zu versetzen, das Mittel der Traumerzählung. Der Erzähler – offenkundig der Autor selbst, träumt, daß er in einem Buch die Lebensgeschichte des Duracotus liest, der in Island als Sohn eben einer Hexe geboren wird und den es in jungen Jahren nach einem Schiffbruch an die Insel Hveen vor der dänischen Küste verschlägt, wo er Assistent von Tyxcho Brahe wird. Als er nach einigen Jahren in seine Heimat zurückkehrt, beschwört seine Mutter einen jener Dämonen herauf, die der „sublunaren Sphäre“ zwischen der Erde und dem unwandelbaren Bereich der Gestirne angehören. Duracotus bekommt einen Schwamm unter die Nase gebunden, der mit Rauschmitteln getränkt ist, damit er die Strapazen der Reise übersteht, und wird vom Dämon auf den Mond, „Levania“ genannt (das Wort stammt aus dem Hebräischen : לְבָנָה, „levana“; im Jiddischen ist es „di lewone,“ oder, wie es im Lied heißt: „Sheyn vi di levone, / Likhtik vi di shtern, / Fun himl a matone / Bistu mir tzugeshikt!“), gebracht, um den Anblick des Himmels und die Natur der Lebewesen zu studieren, an die dort herrschenden Verhältnisse angepaßt sind. Es ist dieser Zug, der Keplers Text über alle anderen ähnlichen „Kosmosreisen“ hinaushebt, die bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts verfaßt worden sind, als der Evolutionsgedanke solche Überlegungen zugrundelag. Keplers Vision des Lebens auf der „Volva,“ das während der Mondnacht abstirbt und während der 14 Tage des Mondtags seinen gesamten Lebenszyklus durchläuft, findet sich bis ins frühe 20. Jahrhundert bei Autoren, die die Hoffnung auf Mondleben nicht ganz aufgegeben haben oder ihre Seleniten nicht, wie H. G. Wells in den „Ersten Menschen im Mond“ (1901) ganz im Innern des Trabanten leben lasen wollten. Ich zitiere aus der ersten deutschen Übersetzung in Buchform von Ludwig Günther, 1898 in Leipzig bei G. B. Teubner erschienen:

Das Wachsthum geht sehr schnell vor sich; Alles hat nur ein kurzes Leben, weil es sich zu einer so ungeheuren Körpermasse entwickelt. Bei den Privolvanern giebt es keinen sicheren und festen Wohnsitz, schaarenweise durchqueren die Mondgeschöpfe während eines einzigen ihrer Tage ihre ganze Welt, indem sie theils zu Fuss, mit Beinen ausgerüstet, die länger sind als die unserer Kameele, theils mit Flügeln, theils zu Schiff den zurückweichenden Wassern folgen, oder, wenn ein Aufenthalt von mehreren Tagen nöthig ist, so verkriechen sie sich in Höhlen, wie es Jedem von Natur gegeben ist. Die meisten sind Taucher, alle sind von Natur sehr langsam athmende Geschöpfe, können also ihr Leben tief am Grunde des Wassers zubringen, wobei sie der Natur durch die Kunst zu Hülfe kommen. Denn in jenen sehr tiefen Stellen der Gewässer soll ewige Kälte herrschen, während die oberen Schichten von der Sonne durchglüht werden. Was dann an der Oberfläche hängen bleibt, wird Mittags von der Sonne ausgesiedet und dient den herankommenden Schaaren der Wanderthiere als Nahrung. Im Allgemeinen kommt die subvolvane Halbkugel unseren Dörfern, Städten und Gärten, dagegen die privolvane unseren Feldern, Wäldern und Wüsten gleich.

Diejenigen, denen das Athmen mehr Bedürfniss ist, führen heisses Wasser in einem engen Kanal nach ihren Höhlen, damit es durch den langen Weg bis in’s Innerste ihres Schlupfwinkels allmälig abkühle. Dorthin ziehen sie sich während des grösseren Theils des Tages zurück und benutzen jenes Wasser zum Trinken; wenn aber der Abend herankommt, so gehen sie auf Beute aus. Bei den Baumstämmen macht die Rinde, bei den Thieren das Fell, oder was sonst dessen Stelle vertritt, den grössten Theil der Körpermasse aus, es ist schwammig und porös und wenn eines der Geschöpfe von der Tageshitze überrascht worden ist, so wird die Haut an der Aussenseite hart und angesengt und fällt, wenn der Abend kommt, ab. Alles was der Boden hervorbringt – auf den Höhen der Berge naturgemäss sehr wenig – entsteht und vergeht an einem und demselben Tage, indem täglich Frisches nachwächst. Die schlangenartige Gestalt herrscht im Allgemeinen vor. Wunderbarer Weise legen sie [die Mondgeschöpfe] sich Mittags in die Sonne, gleichsam zu ihrem Vergnügen, aber nur ganz in der Nähe ihrer Höhlen, damit sie sich schnell und sicher zurückziehen können. Einige sterben während der Tageshitze ab, aber während der Nacht leben sie wieder auf, umgekehrt wie bei uns die Fliegen. Weit und breit zerstreut liegen Massen von der Gestalt der Tannenzapfen umher, deren Schuppen tagsüber angesengt werden, des Abends aber sich gleichsam auseinanderthun und Lebewesen hervorbringen.


Und die Dämonen können sich nur im Schatten des Mondes bewegen, weil sie nicht direktem Sonnenlicht ausgesetzt sein dürfen (ein gewisser Graf auf Transsilvanien hat in dieser Hinsicht also kein Alleinstellungsmerkmal), sie können die Reise zur Volva (also zur Erde) und zurück zum Mond nur dann antreten, wenn der Schattenkegel des Mondes die Erde trifft.

Totum iter, quantum est, quatuor ad summum horarum spatio absolvitur. Neque enim nobis semper occupatissimis antea constat de tempore eundi , quam Luna ab orientis partibus coeperit deficere; quae ubi tota luxerit, nobis adhuc in itinere haerentibus, irrita redditur nostra profectio. Tara praeceps occasio efficit, ut paucos ex huraana gente, nec alios, nisi nostri observantissimos comites habeamus. Ergo hominem aliquera hujusmodi agminatim invadimus omnesque subtus nitentes, in altum eum tollimus .Prima quaeque molitio durissima ipsi accidit , nec enim aliter torquetur ac si pulvere bombardico excussus montes et maria tranaret . Propterea narcoticis et opiatis statim in principio sopiendus est et membratim explicandus , ne corpus a podice, caput a corpore gestetur, sed ut violentia in singula membra dividatur. Tunc excipit nova difficultas, ingens frigus, et prohibita respiratio , quorum illi ingenita nobis vi , huic vero spongiis humectis ad nares admotis obviara imus .

Confecta prima parte itineris facilior redditur vectio. Tunc libero aeri exponimus corpora raanusque subtrahimus. Atque illa in sese conglobantur ut aranei, quae nos solo fere nutu transportamus , adeo ut denique moles corporea sponte sua vergat in locum propositum .Sed parura nobis est utilis haec ϱοπη quia nimis tarda, itaque nutu ut dixi acceleramus et praecedimus jam corpus, ne durissimo irapactu in Lunam damni quid patiatur. Solent homines, cura expergis cuntur, queri de ineffabili membrorum oranium lassitudine, a qua sero admodum se recipiunt, ut ambulent .

Multae praeterea occurrunt difficultates, quas longum esset recensere. Nobis nihil admodum evenit mali. Tenebras enim Telluris, quam longae illae sunt, confertim inhabitamus , quae ubi Le vaniam attigerint, praesto sumus, quasi ex navi in terram exscendentes, et ibi nos propere in speluucas et loca tenebrosa recipimus, ne nos Sol in aperto paulo post obruturus optato diversorio ejiciat umbranique discedentem insequi cogat. Dantur ibi nobis induciae exercendorum ingeniorum ex animi sententia, conferimus cum eijus provinciae daemonibus initaque societate, ubi primum locus Sole carere coeperit ^84, junctis agminibus in umbram exspatiamur, et si illa mucrone suo, quod plerumque fit, Tellurem feriat, Terris et nos sociis exercitibus incumbimus, quod non alias nobis licet, quam cum Solem homines viderint deficere. Hinc evenit, ut defectus Solis adeo metuantur.


Der ganze Weg, so lang er ist, wird in einer Zeit von höchstens 4 Stunden zurückgelegt39. Uns Vielbeschäftigten steht die Zeit zum Antritt der Reise nicht frei, wir erfahren davon erst, wenn der Mond in seinem östlichen Theile sich zu verfinstern beginnt. Bevor er wieder in vollem Lichte strahlt, müssen wir die Fahrt beendet haben, wenn nicht ihr Zweck vereitelt werden soll40. Da also die günstige Gelegenheit zur Abreise so plötzlich eintritt, können wir auch nur wenige aus Eurem Geschlechte mitnehmen, und zwar nur die, welche uns besonders ergeben sind. Schaarenweise stürzen wir uns auf den Auserwählten, unterstützen ihn alle und heben ihn schnell empor. Diese Anfangsbewegung ist für ihn die schlimmste, denn er wird gerade so emporgeschleudert, als wenn er durch die Kraft des Pulvers gesprengt über Berge und Meere dahin flöge42. Deshalb muss er zuvor durch Opiate betäubt und seine Glieder sorgfältig verwahrt werden, damit sie ihm nicht vom Leibe gerissen, vielmehr die Gewalt des Rückschlages in den einzelnen Körpertheilen vertheilt bleibt. Sodann treffen ihn neue Schwierigkeiten: ungeheure Kälte43 sowie Athemnoth; gegen jene schützt uns unsere angeborene Kraft, gegen diese ein vor Nase und Mund gehaltener feuchter Schwamm. Wenn der erste Theil des Weges zurückgelegt ist, wird uns die Reise leichter46 dann geben wir unsere Begleiter frei und überlassen sie sich selbst: wie die Spinnen strecken und ballen sie sich zusammen und schaffen sich durch ihre eigne Kraft vorwärts, so dass schliesslich ihre Körpermasse sich von selbst dem gesteckten Ziele zuwendet48. Aber infolge der bei Annäherung an unser Ziel stets zunehmenden Anziehung würden sie durch zu hartem Anprall an den Mond Schaden leiden, deshalb eilen wir voran und behüten sie vor dieser Gefahr. Gewöhnlich klagen die Menschen, wenn sie aus der Betäubung erwachen, über grosse Mattigkeit in allen Gliedern, von der sie sich erst ganz allmälig wieder erholen können, so dass sie im Stande sind zu gehen.

Ausser diesen begegnen ihnen noch viele andere Gefahren, deren Aufzählung indessen zu weit führen würde. Uns Geister trifft nichts Schlimmes. Wir bewohnen die Finsternisse der Erde, so lang sie sind; sobald solche Levania berühren, sind wir sogleich bei der Hand, um, gleichsam wie aus einem Schiffe, an’s Land zu steigen, und dort ziehen wir uns schleunigst in Höhlen und finstere Oerter zurück, damit nicht die Sonne, die bald darauf mit voller Gluth wieder hervorbricht, uns aus unserm erwünschten Versteck heraustreibt und zwingt, dem weichenden Schatten zu folgen50. Dort haben wir nach Wunsch Ruhe vor dieser Gefahr. Die Rückkehr steht uns nur dann frei, wenn die Menschen auf der Erde die Sonne verfinstert sehen; dann warten wir, zu Schaaren vereint, im Schatten des Mondes, bis, wie es häufig geschieht, dieser mit seiner Spitze die Erde trifft und stürzen uns mit demselben wieder unter ihre Bewohner. Daher erklärt es sich, dass diese die Sonnenfinsternisse so sehr fürchten.


Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Bedingung für eine solche Reise, die vor 415 Jahren formuliert worden ist, genau einen Tag eintritt, bevor eine solche Reise ihr (hoffentlich glückliches) Ende findet?

V.



Sergio Solmi (1899-1981), der Keplers „Traum“ zur Grundlage seines Gedichte „Levania“ aus dem Jahr 1954 gemacht hat, hatte sich seit dem Beginn seiner Karriere als Rezensent und Literaturtheoretiker zu Beginn der dreißiger Jahre immer wieder mit der phantastischen Literatur und nach dem ersten Übersetzungen englischsprachiger SF in den frühen 50er Jahren auch mit ihr befaßt. Im fünften Band der achtbändigen Ausgabe der „Opere,“ die 2000 bei Adelphi herausgekommen ist und sich mit dem Themenkomplex „Letteratura e società“ befaßt, sind ein Drittel der 700 Seiten dem Genre gewidmet. In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre war Solmi der einzige namhafte Kritiker, der sich eingehend mit diesem Gebiet befaßt und es nachdrücklich empfohlen hat – als eine „Mythologie des modernen Zeitalters“ (bei uns hat zuerst Jürgen von Scheidt genau diese Auffassung im Nachwort der von ihm herausgegebenen Anthologie „Das Monster im Park“ von 1970 vertreten). Seine erste Lanze für diese Literatur brach Solmi in seinem Aufsatz „Divagazioni sulla science-fiction, l’utopia e il tempo,“ der 1953 im Heft 5 des ersten Jahrgangs der Zeitschrift Nuovi Argumenti erschienen ist, die von Alberto Moravia gegründet worden war und zu deren Redaktionsteam kurz zuvor ein gewisser Pier Paolo Pasolini gestoßen war. Das Magazin war, dem linken Zeitgeist im Westen der Zeit gemäß, streng an der marxistischen Glaubenslehre ausgerichtet, aber für einen bunten Vogel wie Solmi war man bereit, ein Auge zuzudrücken – denn „an sich“ war vor dem Beginn des „Weltraumzeitalters“ mit dem Start von Sputnik I in linken Kreisen als „Fluchtlektüre“ und „Atomkriegstreiberei des kapitalistischen Westens“ zutiefst suspekt. (Bei uns war es übrigens ein anderer „Außenseiter,“ der Volkskundler Will-Erich Peuckert, 1895-1968, der ein Plädoyer für diese Art von „Groschenweltraumoper“ veröffentlicht hat. 1960 hat er einen kleinen Aufsatz in der von ihm redigierten „Zeitschrift für Deutsche Philologie“ publiziert, in dem er sich mit einigen Ausgaben der damaligen Heftserien wie „Terra“ und „Utopia“ beschäftigt: Peuckert hate erwartet, hier die üblichen Versatzstücke „volkstümlicher Kunst“ anzutreffen wie in Bänkelliedern, Schlagern, Arztromanen … und mußte feststellen, daß dies die einzige Literatur war, die sich mit den in der Wirklichkeit abzeichnenden ernsthaften Themen wie Raumfahrt, der Drohung des Atomkriegs, den „Elektronengehirnen“ undsoweiter überhaupt in irgendeiner Weise befaßte – auf welch schlichte und triviale Weise auch immer.

"Levania"

Quinquaginta milibus miliarum Germanicorum
in aeteris profundo sita est Levania insula.
- Johannis Kepleri Somnium seu de Astronomia Lunari (1634)


("Fünfzigtausend deutsche Meilen entfernt liegt im Weltraum die Insel Levania")

...Forse
a Levania approdai nella sepolta
esistenza anteriore, ed era il cono
dell’eclissi che l’algida schiudeva
nera via degli spiriti. Gli unguenti
di Fiolxhilda, la spugna infusa d’acqua
sotto le nari, l’affannoso, morbido
rotolare nel sogno, il cauto scendere
nelle segrete caverne l’orrendo
vindice raggio a sfuggire, ritrovo
oscuramente.

E fu per questo, forse,
che mai la fida lucerna, o l’esangue
sposa d’Endimione in essa vidi,
né la solinga cacciatrice, quando
la miravo fabciullo tra le case
sgorgare in bianca vampa, alta fra i segni
ascendere del cielo. Ma la rupe
nell’inaccesso etere scagliata,
l’isola estrema, sentinella insonne
protesa ai flutti interminati. E l’ansia
mi sommuoveva il cuore di raggiungerla
- ippogrifo, proiettile, astronave -
d’attingere al silenzio del suo lume.

... Era il confine, il mondo
di lava e roccia, il minerale cioco,
il punto fermo apposto alla insensata
fantasia delle forme. Era lo zero
che ogni calcolo spiega, era il concreto,
bianco, forato, calcinato fondo
dell’essere.

E sovento dai supremi
bastioni di Levania il verdiggiante
piantea ho contemplato, l’ombra vaga
di oceani e di foreste, della vita
impetuosa e fuggevole le polle
iridescenti - risalendo l’orlo
dei suoi convulsi crateri, vagando
lungo la sponda di suoi mari morti.

…vielleicht
bin ich auf Levania gelandet, in einem vergessenen
früheren Leben, und es war der Kegel
der Sonnenfinsternis, der mir den eisigen
schwarzen Geisterweg öffnete. Die Salben
der Fiolxhilda, den wassergetränkten Schwamm
unter der Nase, das mühsame, weiche
Rollen im Traum, der vorsichtige Abstieg
in die geheimen Höhlen, um der furchtbaren
Rache der Strahlen zu entgehen, finde
ich undeutlich wieder.

Und vielleicht deshalb habe ich in ihr nie
das stetige Nachtlicht, die bleiche Geliebte
Endymions gesehen oder
die einsame Jägerin, als ich als Kind sah
wie sie weißglühend hinter den Häusern emporstieg
hoch unter die Zeichen des Himmels, sondern den Fels,
In den unerreichbaren Äther geworfen,
die letzte Insel, die schlaflose Wächterin
vor den Ufern der Unendlichkeit. Und die Sehnsucht
schnürte mir das Herz ab, zu ihr zu gelangenen
- Hippogryph, Geschoß, Raumschiff -
die Stille ihres Lichts zu erreichen.

Sie war die Grenze, die Welt
aus Lava und Stein, mineralische Blöcke,
der Schlußpunkt, der der sinnlosen
Vielfalt der Form gesetzt ist. Sie war die Null
die jede Berechnung erklärt, sie war der reale
weiße, durchlöcherte, kalkige Boden
des Daseins.

Und oft betrachte ich von den höchsten
Wällen Levanias den grünen
Planeten, die undeutlichen Schatten
der Meere und Wälder, die schimmernden
Quellen des stürmischen, flüchtigen Lebens
wenn ich die Wälle der aufgeworfenen Krater besteige
und lange am Strand ihrer toten Meere wandere.

* * *

Coda.

Über die Erdlinge, die in die Auswahl für den gefährlichen Flug zum Mond, zur Insel Levania kommen, erklärt der Daemon ex Levania Duracotus (und seiner hexenhaften Mutter):

Inprimis nobis aptae sunt vetulae exsuccae ^60, quibus inde a pueritia trita est ratio, hircos nocturnos, aut furcas, aut trita pallia inequitandi trajiciendique per immania terrarum spatia. Nulli e Germania viri apti sunt, Hispanorum sicca corpora non respuimus.


Die am besten dazu Geeigneten sind ausgemergelte alte Weiber, da sie von Jugend an daran gewöhnt sind, des nachts auf Ziegen zu reiten, oder auf Mistgabeln, und in alten Lumpen über die Weiten der Erde fliegen. Von den Männern aus Deutschland ist niemand dazu geeignet, aber die Körper von Spaniern werden nicht abgewiesen.



Nun, "Männer aus Germanien" vielleicht nicht, aber doch ihre unmittelbaren Nachkommen. Ich mache den Dämon aus Levaina hiermit darauf aufmerksam, daß eine der vier Urgroßväter von Neil Armstrong (mütterlicherseits) aus dem Münsterland stammt, geboren in Ladbergen, 25 Kilometer von dem Platz entfernt, an dem ich diesen Beitrag geschrieben habe.


U.E.

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