13. März 2020

Warum mir die Corona-Krise Angst macht

Was die medizinische Einschätzung der Gefährlichkeit des SARS-CoV-2 betrifft, so übt sich der Verfasser dieser Zeilen einmal mehr in der für ihn so typischen Agnostik. Zu viel diametral Unterschiedliches hat er in den letzten Tagen und Wochen über dieses Thema gelesen, um dazu eine dezidierte Meinung zu vertreten. Es kann sein, dass hier wieder einmal eine Hysterie entfacht wird wie etwa bei den EHEC-Gurken oder der Schweinegrippe. Es kann freilich auch sein, dass wir einer zweiten Spanischen Grippe in actu zusehen, die nicht nur regional begrenzt die aus Norditalien bereits bekannten Gräuelszenen wie die sogenannte Triage, also den aufgrund zu knapper medizinischer Kapazitäten erfolgenden Behandlungsstopp (lies: Todesurteil) für einen Teil der Patienten, zeitigen wird.
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Was sein unmaßgebliches persönliches Schicksal angeht, so hat der Endunterfertigte zuvörderst Sorge darüber, dass ihm die von der Politik ergriffenen und in nächster Zeit an Intensität wohl noch zunehmenden Maßnahmen seine Erwerbstätigkeit auf einen so langen Zeitraum erschweren oder verunmöglichen könnten, dass eine Fortführung seiner derzeitigen beruflichen Aktivitäten wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll ist. Aber ach, wie sagte Bill Gates doch so schön: Money comes, money goes. Und das Wesen des Kapitalismus besteht ja – wie uns Schumpeter gelehrt hat – in schöpferischer Zerstörung.

Die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem neuartigen Corona-Virus zu infizieren, an diesem nicht nur leicht oder gar asymptomatisch zu erkranken und dann trotz Pole-Position in der Zweiklassenmedizin nicht zweckentsprechend behandelt zu werden, erachtet der Urheber dieses Traktats als eher gering. Aber auch die ziemlich theoretische Möglichkeit seines sozialverträglichen Frühablebens schreckt den Autor dieses Beitrags nicht wirklich, weil ihn wohl seine römisch-katholische Prägung dazu veranlasst, der Abberufung aus diesem Jammertal mit eher positiven Gefühlen entgegenzusehen.

(Wer die beiden vorstehenden Absätze als zynisch und egoistisch empfindet, möge den Beteuerungen des hier Schreibenden glauben, dass ihm das Leid seiner Mitmenschen, die durch die Corona-Pandemie einen Angehörigen verlieren oder schon verloren haben, nicht gleichgültig, sondern im Gegenteil bekannt ist: Mein schwer an Krebs erkrankter, chemotherapiebehandelter Vater erlag vor inzwischen etlichen Jahren in noch nicht gerade biblischem Alter einem Virus, das aber – weil der wenig spektakulären Spezies der Varicella-Zoster-Viren zugehörig – keine mediale Beachtung fand, sondern als schicksalhaft hinzunehmen war.)

Es ist etwas anderes, das mir an der Corona-Krise Angst macht. Heute habe ich zum ersten Mal in meinem Leben vollkommen leere Regale, in denen sich sonst Packungen an traumweichem, vierlagigem Toilettenpapier stapeln, wahrnehmen müssen. (Schon klar: Ich kenne aus meiner fernen Jugend den Zustand, dass an Effizienz orientiertes Supermarktpersonal kurz vor der jährlichen Inventur den Nachschub an Verkaufsartikeln etwas vernachlässigt hat, was aber nie zu Versorgungsengpässen führte.) Ich hätte nie gedacht, während meiner bescheidenen Existenz ein solches DDR-Reenactment erleben zu dürfen (Vorsicht: Sarkasmus). Christoph Lemmer hat in einem exzellenten Artikel das Nötige zu dieser Resozialisierung des Preppertums (Prepperismus?) gesagt.

Weiters befremdet und entsetzt mich, wie kritiklos Menschen aus dem liberal-konservativen Spektrum plötzlich eine Einschränkung fundamentaler Rechte des Einzelnen vorbehaltlos befürworten. Da wird auf einmal nach dem Leviathan gerufen, der das Individuum ohne jegliche Verhältnismäßigkeitsprüfung an die Kandare nehmen und ihm die Ausübung seiner Freiheiten verbieten kann. Der Irrsinn der Situation zeigt sich darin, dass AfD- und Grünen-Politiker in der Einschätzung der Gravität der Lage übereinstimmen und ein heillos für das Edle, Hilfreiche und Gute verlorenes Subjekt wie ich der Quintessenz eines im Freitag [sic!] erschienenen Artikels, wenn man von dessen linksradikalem Firlefanz abstrahiert, zustimmen muss.

Der von mir äußerst geschätzte Kollege Ulrich Elkmann ist in einem seiner Beiträge zu dem Schluss gekommen, dass dies keine Übung, sondern der Ernstfall sei. Aber natürlich ist dies auch eine Übung, und die Gretas und Luisas dieser Welt werden ihre Augen und Ohren spitzen. Denn alle disruptiven Maßnahmen, die – wären sie zur Vermeidung der herbeiphantasierten Klimakatastrophe ergriffen worden – vom bösen (d.h. rechts des Seeheimer Kreises stehenden) Teil der veröffentlichten Meinung Zurückweisung erfahren hätten, werden nun – so scheint es mir – insbesondere von dieser Diskursteilnehmergruppe lebhaft und ohne Kautelen begrüßt.

Man verstehe mich nicht falsch: Ich lehne zum Beispiel Schulschließungen nicht per se ab. Ich wäre allerdings dagegen, wenn es die Rechtslage hergäbe, dass diese zentral durch die Bundesregierung angeordnet würden. An Ort und Stelle kann die Notwendigkeit eines solchen Schritts, der in nicht wenigen Fällen die besonders vulnerablen Großeltern einem intensiven Kontakt mit den aller Wahrscheinlichkeit von schweren Infektionsfolgen nicht betroffenen Enkeln aussetzt, besser beurteilt werden als im Raumschiff Berlin. Aber die herrschende Ansicht geht jetzt wohl dahin, den ohnedies lästigen Föderalismus endlich zu kassieren. 

Goya hatte Recht: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. 

Noricus

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