3. Januar 2020

Diäten und Bewegung: Die guten Vorsätze

Dies ist ein, wie er ab und zu mal vorkommt, persönlicher Artikel, der sich eher um die Banalitäten des Lebens und die nicht immer ganz unendliche Leichtigkeit des Seins dreht, also leider von vernünftigen Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen nur am Rande handelt. Wenn Sie derlei belanglose Dinge nicht wirklich interessieren, lieber Leser, dann kehren Sie in den kommenden Tagen wieder und suchen Sie erneut nach neuen Beiträgen und überlesen diesen.

Sie sind noch da? Sehr gut. Pünktlich zum neuen Jahr nehmen sich manche Leute viel vor: Sie wollen mehr arbeiten (ja, das gibts), sie wollen weniger arbeiten (das gibts auch), sie wollen endlich den Garten bepflanzen, das Haus streichen, ein Kind zeugen oder eine Bank ausrauben (okay, das nehmen sich jetzt dann nicht so viele vor). Und ganz, ganz viele wollen ihr Gewicht reduzieren. Passenderweise hat die Achse des Guten vorgestern einen zeitlich wie thematisch dazu sehr gut passenden Artikel veröffentlicht, der sich mit der Wirkung von Diäten an sich und der Idee beschäftigt, dass eine Diät kein allzu guter Vorsatz sein soll. 

Der Artikel ist stimmig geschrieben und sei jedem Leser empfohlen (vor allem demjenigen, der die weiteren Zeilen besser verstehen möchte), die Grundthese, die sehr überzeugend vorgetragen wird, ist, dass Diäten entweder vollkommen sinnlos oder im Gegenteil eher schädlich sind und man sich (das wird zumindest insinuiert)  mit seinem "genetischen" Gewicht abfinden möge.
Und ich muss sagen, ich finde nur sehr wenige Artikel auf der Achse des Guten (wie auch sonst im Netz), die einerseits gesehen so gut begründet sind, aber dennoch von mir in nahezu jedem Aspekt abgelehnt werden. 

Das fängt -wie könnte es anders sein- erst einmal anekdotisch an. Der Artikel zitiert eine Studie, nach der nicht einmal 0,5 Prozent aller Männer nach einigen Jahren nach einer Diät das Normalgewicht halten konnten. Also einer in 200. Das erscheint mir absurd niedrig. Ich habe zu meinen "besten Zeiten" (besser wäre: fettesten Zeiten) nahezu 40 Pfund mehr gewogen als heute. Und mein heutiges Gewicht halte ich mehr oder minder seit einigen Jahren (mit der Tendenz nach unten) bei einem deutlich gestiegenen Muskelturnus. Jetzt könnte man sich natürlich selbst beweihräuchern, was für eine tolle Ausnahme man doch ist, aber real betrachtet gibt es solcherlei Gründe eher nicht: Ich kenne nicht unbedingt wenige Leute, die irgendwann der Rappel packt und mal ein bischen was an sich ändern. Mehr Sport (oder überhaupt Sport), weniger Alkohol (hilft viel), weniger Junkfood. Mehr Stress funktioniert übrigens auch (und nicht nur deswegen weil Stress der Seele schadet, sondern vor allem auch deswegen weil einem die Zeit zum futtern fehlt). Wenn also in besagter Studie kein halbes Prozent der Männerwelt es schafft sein Gewicht zu normalisieren, dann darf man sich eher fragen was hier als Normalgewicht definiert wird (gerade bei großen Menschen gibt es da eine Menge geradezu grotesker Berechnungsmethoden) und welche Gruppe hier als Vergleich herangezogen wurde. Wenn ich natürlich meine Untersuchung im wesentlichen auf Menschen fokussiere, die Sport für etwas gefährliches halten und meinen eine Crash-Diät von 2 Monaten würde mal eben ihre Disziplinprobleme lösen, dann mag es zu solchen Zahlen kommen.

Der Umgang (auch der gesellschaftliche) mit Übergewicht scheint mir an vielen Fronten nicht unbedingt sehr ehrlich zu sein, bzw. immer in ein unnötiges Extrem zu rutschen. So war es früher gesellschaftlich vertretbar auf allem rum zu trampeln was ein paar Pfund zuviel hatte und dieses möglichst intensiv zu beschimpfen (der so alternative "Künstler" Marius Müller Westernhagen hat diesem Phänomen tatsächlich früher mal ein Liedchen gesungen. (Dass ihm heute sehr peinlich ist und dessen er sich so sehr schämt, dass er das übliche Märchen der "Satire" darum zu kleiden sucht.)). Die Stroßrichtung war klar: Dick sein ist selbstgewählt, wer dick ist, ist selber daran schuld, hat keine Selbstkontrolle und ist obendrein eben ein "fettes Schwein". Heute dagegen, bzw. früher vereinzelt, heute häufiger, gibt es auch eine Gegenströmung, die sich auf den Standpunkt stellt: Keiner hat Schuld an seinem Übergewicht. Es sind die Gene, die Erziehung, die Gesellschaft, die Verbrennung, der Zufall. Der oben zitierte Artikel ist ein Vertreter dieser Strömung. Man hat eben sein "genetisches" Gewicht und da kann man auch gar nichts dran machen.

Beide Extrema sind Unsinn. Und beide Extrema sind in ihrer reinen Form sehr schädlich. Fangen wir bei der ersten Seite an, nennen wir Sie die Westernhagen-Seite. Davon ab, dass es sicher nie irgendwo hilfreich ist Menschen zu beschimpfen (vielleicht mal ab davon mehr Platten zu verkaufen), ist das Schicksal für viele Menschen tatsächlich nicht total selbst gewählt. Für den einen ist Essen ein mehr oder minder notwendiges Übel, für den anderen eines der großen Vergnügen seines Alltags. Es ist keine "Leistung" das man am Essen weniger Interesse hat als der andere (überhaupt ist "Dünnsein" in dem Sinne eher keine Leistung, wenn sie keine große eigene Anstrengung verlangt). Genauso werden einige mit der Veranlagung zu viel körperlicher Bewegung geboren (oder es wird ihnen anerzogen), andere dagegen haben diese Veranlagung nicht und auch keine Eltern die hier helfen. Jemanden für seine Anlagen, bzw. seine kindliche Erziehung verantwortlich zu zeichnen ist ähnlich sinnvoll wie jemanden als Idioten zu bezeichnen, weil er bei der Einschulung noch nicht lesen konnte. 
Aber auch die andere Seite hilft nicht, bzw. ist unehrlich. In der schönen Klamotte Dragnet wird festgestellt, dass sich Menschen von Affen durch zwei Dinge unterscheiden: Wir essen mit Messer und Gabel und wir können unsere sexuellen Triebe beherrschen. Dem möchte ich zusetzen: Wir können auch unseren Appetit beherrschen. Und wer wollte das ernsthaft bestreiten? Jede Diät ist ein Beleg dafür, dass dem selbstredend möglich ist. Gewichtsveränderung ist immer(!) (mit ganz, ganz, wenigen krankheitsbedingten Ausnahmen, die kann man aber mit der Lupe suchen) eine direkte Funktion von Nahrungsaufnahme und Bewegung. Und beides sind Dinge, die unserm Willen unterliegen. Hier wird allerdings auch der unfaire Aspekt deutlich: Einem vormals dicken Menschen fällt es schwerer seinen Appetit zu beherrschen als jemandem, der sein Leben lang dünn verbracht hat. Genauso wie es dem unsportlichen Menschen schwerer fällt Sport zu treiben. Ja. Dem ist so. Weil der Dünne in dem Sinne gar nichts beherrscht sondern nur genau das tut, was er ohnehin immer getan hat (genauso wie mancher einen Rappel krieg, wenn er nicht jeden dritten Tag seine 10 Kilometer rennt). Der vormals Dicke muss dagegen Beherrschung üben. Jeden Tag. Dem ist so, und in dem Sinne ist es auch "unfair" (insofern auch eine weitere Wiederlegung der Westernhagen-Position), aber vielleicht mal ganz platt: Life is not always fair. 

In anderen Bereichen sehen wir das auch viel eher ein. Beispielsweise beim Lernen für eine Prüfung. Ich habe Prüfungen abgelegt, für die ich nicht nur ein Jahr gearbeitet sondern auch mehr als vier Wochen jeden Tag intensiv gelernt habe. Für mich war das schwere Arbeit. Ich habe aber auch Mitstudenten gehabt (nicht viele, aber Einzelne), die sind da durchgefegt wie nichts. Vielleicht mal eine Woche mit Lehrbuch und Prüfungsprotokollen hingesetzt und fertig. Ist das jetzt ein Grund für mich meine Hände in den Schoß zu legen, frei nach dem Motto: "Bin ich halt zu blöde für, meine "genetische" Intelligenz reicht halt nicht."? Das wäre nicht allzu klug. Nur weil es Leute gibt, denen etwas leichter fällt, ist das kein Grund es nicht zu tun. Bei der Beherrschung des eigenen Esstriebs gilt genau das selbe: Ich habe durchaus den Trieb mehr zu essen, aber ich kann ihn beherrschen. Ohne zu tief darauf einzugehen (das wäre einen eigenen Beitrag wert): Ich essen nicht vor 18:00 am Abend. Und nicht mehr nach Mitternacht. (Wen das interessiert, das nennt sich intermittierendes Fasten). Damit ist es sehr einfach sowohl sein Gewicht zu kontrollieren als auch den Muskelturnus zu bewahren (radikale Diäten sind oftmals muskelschädlich). Das ist sicher aufwendiger als bei einem von Hause aus dünnem Menschen, der einfach von sich aus weniger isst und damit auch keine Probleme hat. Ich bin aber nicht dieser Mensch, ich habe genug Appetit um wenigstens 50 Pfund oder mehr zuzulegen. Darum muss ich mich beherrschen. Aber das kann ich. Weil ich eben nicht ein simples, triebgesteuertes Tier bin, dass die eigenen Handlungen nicht reflektieren kann. 

Und insofern ist Dicksein schon dann doch zumindest "etwas" selbst gewählt. Als Erwachsener sollte man sich der Folgen des eigenen Handelns und der eigenen Schwäche bewusst sein. Die Moderatorin Vera Int-Veen (die früher mal Werbung für SlimFast machte) hat mal etwas, wie ich meine sehr kluges, auf eine Frage geantwortet, warum sie, nachdem sie nun keine Werbung mehr für den Diät-Drink machte, wieder zugenommen habe und nicht weiter Diät halte: Sie könne das sicher tun, aber der Verlust an Lebensqualität, den sie durch das "diäten" habe, wöge weit schwerer als der Gewinn durch das geringere Gewicht (sehr frei erinnert). Das ist ein Standpunkt, den ich sehr gut akzeptieren kann und der auch für eine durchaus gesunde Reflektion spricht. Aber man sollte darauf achten, wo hier die Betonung liegt: Sie liegt nicht auf "Ich kann nicht" sondern auf "Ich will nicht". Was, wie schon gesagt, völlig in Ordnung ist. Wenn jemand mit einem Körper ala Rainer Calmund (den ich sehr schätze, nicht das da was falsch rüberkommt) rumlaufen möchte, ist das seine Entscheidung. 

Aber zwei Dinge möchte ich dazu feststellen: Erstens, es ist nicht gesund so rumzulaufen. Calmund ist eine extreme Ausnahme, die meisten Menschen mit Adipositas sterben deutlich unterhalb der Lebenserwartung und haben bis dahin auch gewaltige gesundheitliche Probleme. Zweitens, es ist kein Schicksal damit herumzulaufen. Man kann etwas dagegen tun. Man muss es aber auch wirklich wollen.

Und insofern schließe ich zum neuen Jahr: Wenn man sich vornimmt in den nächsten Monaten ein paar Kilo zu verlieren (und das auch dann permanent dort zu lassen), dann ist das völlig in Ordnung und gut und richtig so. Man muss und sollte sich darüber klar sein, was das bedeutet. Aber der Vorsatz ist nicht deswegen schlecht, weil er sehr viel kostet.


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Llarian

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