Es gibt wohl drei
Hauptzielgruppen linker Politik:
1. Im Staatsdienst, in
der (mit öffentlichen Geldern alimentierten) Sozialindustrie oder in der
Medienbranche beschäftigte, großstadtbewohnenede Akademiker mit einem Abschluss
zumeist in einer Geistes- oder Gesellschaftswissenschaft.
2. In Ausbildungsberufen
tätige Arbeitnehmer.
3. Voll oder überwiegend
von Sozialleistungen lebende Bürger respektive Bezieher prekärer
nichtstaatlicher Einkünfte (zum Beispiel Jobber und Kleinrentner).
Wie es sich für eine gute
Kategorisierung gehört, ist die vorstehende Aufzählung mit dem groben Pinsel
gezeichnet und wird dadurch freilich nicht jedem Einzelfall gerecht. Dies gilt
auch für die folgenden weiteren Ausführungen:
Alle genannten Milieus haben oder hätten eine Veranlassung, zumindest einzelne Aspekte linker Wirtschafts- und Sozialpolitik zu unterstützen: Die Ersterwähnten – die ich fortan griffig als Bobos bezeichnen möchte – befürworten, dass der Staat möglichst viele Aufgaben der Daseinsvorsorge übernimmt beziehungsweise von nominell privaten, jedoch von Steuermitteln abhängigen Organisationen verrichten lässt, weil dies Arbeitsplätze für das eigene Soziotop schafft. Die Facharbeiter (Nummer 2 unserer Liste) wünschen sich eine engmaschige und solide Absicherung gegen die Wechselfälle des Lebens, dies etwa in Form eines ausgebauten Kündigungsschutzes und einer hohen Leistungsdichte der gesetzlichen Sozialversicherung. Die Abgehängten schließlich treten aus naheliegenden Gründen für eine Einkommens- und Vermögensumverteilung von oben nach unten ein.
Es mag Zeiten gegeben
haben, in denen eine linke Partei alle diese Forderungen zugleich glaubhaft erheben
konnte. Heute ist dies freilich anders: Etatismus, der hypertrophe Sozialstaat
und die gut geölte Transfermaschinerie sind dem Grunde nach längst im
parteiübergreifenden Konsens angekommen. Liberale und Konservative stemmen sich
diesbezüglich nicht (mehr) gegen das Ob, sondern nur (noch) gegen ein – aus ihrer
Sicht – Zuviel. Wenn man als linker Politiker die in Rede stehenden
Themenfelder bewirtschaften möchte, muss man mit relativ radikalen Vorschlägen
aufwarten, um angesichts des Status quo überhaupt noch Gehör zu finden.
Doch solche radikalen
Vorschläge laufen den Interessen der anderen Hauptzielgruppen linker Politik
häufig zuwider. Wer etwa für mehr Umverteilung zugunsten der Abgehängten wirbt,
erregt dadurch den Argwohn der Bobos und der Facharbeiter, die befürchten, die
neue soziale Wohltat mitfinanzieren zu müssen. Die Bobos werden überdies
insgeheim denken, dass sie eigentlich nicht bereit sind, diejenigen Kreise auch
noch zu fördern, in denen die AfD dem Klischee nach besonders erfolgreich ist.
Und die Facharbeiter haben keine Lust, Faulenzern und Bildungsversagern eine
noch bequemere Hängematte aufzuspannen. Der von linken Politikern in derartigen
Situationen gerne herangezogene Trick, Belastungen nur für die „Reichen“ in Aussicht
zu stellen, verfängt nicht immer, wie die Grünen im Bundestagswahlkampf 2013
leidvoll erfahren mussten. Und auch Olaf Scholz sollte sich nicht zu sicher
sein, dass seine plumpe Neidrhetorik, mit der seine absurden Steuervorhaben
garniert sind, auf allzu viele vertrauensselige Ohren stößt.
Die Solidarität zwischen
den Hauptzielgruppen linker Politik war vermutlich noch nie überbordend groß – auch
vor 20 Jahren werden Facharbeiter nicht verstanden haben, weshalb sie für den
Lebensunterhalt des Sozialhilfeadels aufkommen sollten –, sie dürfte seit
einiger Zeit allerdings an einem Tiefpunkt angelangt sein. Dieses
Auseinanderdriften der betreffenden Milieus lässt sich zweifellos seit dem
Herbst 2015 in aller Klarheit beobachten, weil damals manifest geworden ist,
was sich schon seit längerem angebahnt hatte: Die Bobos wollen eine bunte,
multikulturelle Gesellschaft, die feministisch, genderfluid und nicht
heteronormativ geprägt ist, während die gesellschaftspolitischen Vorstellungen
der Facharbeiter und der Abgehängten deutlich konservativer ausfallen. Die
Bobos hatten für ihren schleichenden Entliebungsprozess zu Lasten der beiden
anderen Gruppen nun endlich eine Rechtfertigung: Gemäß dem entsprechenden
Narrativ erwiesen sich die Abgehängten (der vermutete Kern des
AfD-Protestpotenzials) als verbohrte Rechte, mit denen man als guter Mensch
nichts zu tun haben möchte, und waren die Facharbeiter stur in ihrer
kleinbürgerlichen, an gesellschaftlichen Traditionen und Routinen haftenden
Mentalität gefangen. Facharbeiter und Abgehängte setzten dem entgegen, dass die
Bobos eine vom Alltag der Mehrheit abgehobene, in selbstbespiegelnder Ignoranz
gefangene Kaste seien, die – was freilich nur die Werktätigen monieren konnten –
einmal etwas Richtiges (sprich: Wertschöpfendes) arbeiten sollten, bevor sie
sich ein Urteil über andere Leute anmaßten.
Die Zeichen für eine
Partei, die den Anspruch hat, die Interessen aller Hauptzielgruppen linker
Politik zu vertreten, stehen also ziemlich schlecht. Am schnellsten haben dies
die Grünen verstanden, die sich völlig unmissverständlich als Repräsentanz des
Bobo-Milieus positionieren und ihre Indifferenz bis Verachtung für die anderen
beiden Gruppen kaum noch zu verhehlen versuchen. Ein zuverlässiger Sockel an
Öko-Hysterikern, die sich, wenn Weltuntergangsszenarien mal wieder Konjunktur
haben, auf wundersame Weise vermehren, sorgt dafür, dass die Grünen im Westen
sehr gesund dastehen und auch im Osten – derzeit – nicht mehr wirklich um das
Überwinden der Fünfprozenthürde bangen müssen.
Die einstmalige
Volkspartei SPD ist hingegen mittlerweile vom Odium des Verfehlens des
Parlamentseinzugs bedroht. Die Alte Tante ist auch diejenige Partei, die immer
noch versucht, alle Hauptzielgruppen linker Politik unter ihren Fittichen zu
vereinen. Die SED hat auch lange genug herumlaviert und sich zwischen den Bobos
(Katja Kipping) einerseits sowie den einkommensschwächeren Facharbeitern und
den Abgehängten (Sahra Wagenknecht) andererseits nicht recht entscheiden
wollen. Jetzt, nach der Ausbootung der Lafontaine-Gemahlin, zieht es die
Linkspartei freilich zu den Bobos, deren Alleinvertretungsanspruch durch die
Grünen inzwischen aber unangefochten sein dürfte. Der Markt für Grüne 2.0 mit
DDR-Flair ist dann halt doch zu klein.
Die AfD hat sich
geschickterweise als Antipode des Bobo-Milieus in Stellung gebracht. Damit
haben die sogenannten Rechtspopulisten in Brandenburg und Sachsen zahlreiche
vormalige Nichtwähler für sich mobilisieren können. Bei der Union und der FDP
hat man den Schuss wohl noch nicht gehört, denn Anzeichen dafür, dass die
einstmals Konservativen und die früher vielleicht Liberalen ihrer Anbiederung
an das Bobo-Milieu entsagen werden, gibt es bislang nicht. Wer die AfD
wirklich, also außerhalb der mittlerweile üblichen Gesinnungsprozessionen,
bekämpfen möchte, täte gut daran, einen wesentlichen Teil der Wählerschaft
nicht einfach denen zu überlassen, die bisher außer als Geist, der stets
verneint, nicht überzeugen konnten und mussten.
Noricus
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