10. November 2016

Die Sache mit der Demokratie

Das man mehrheitlich in Deutschland mit dem amerikanischen Wahlausgang nicht allzu glücklich ist, ist wenig überraschend wie auch naheliegend und das diese Wunde besonders in der öffentlichen Zunft (sprich: Politik und Medien) am meisten blutet ist auch nicht besonders verwunderlich. Wochenlang hat man die Wahl als praktisch gelaufen beschrieben, hat sich in ziemlich wilder Verleumdung des (nun gewählten) Kandidaten versucht gegenseitig zu übertreffen, ist zufrieden mit sich am Dienstag schlafen gegangen. Und nun? 
Steht man ziemlich blöd im Regen. Die Presse muss ihren Lesern (mal wieder) erklären, warum ihre Prognosen allesamt falsch waren und die zumindest aussenpolitisch auftretenden Politiker machen sich Gedanken darüber, ob es wirklich so klug war den zukünftigen amerikanischen Präsidenten zu einem Irren, Sexisten und Hassprediger stilisiert zu haben (auf den Besuch von Steinmeier in Washington freue ich mich wirklich. Wenn er sich denn traut. Was ich bezweifele.).  
Für einen knappen Tag herschte so etwas wie eine Schockstarre. Eine Schockstarre, die nicht zufällig an den Tag nach dem Brexit erinnerte. Und, und das ist der unappetitliche Teil, um den es hier gehen soll, darauf folgte eine ebenso sehr ähnliche Wut- und Trotzreaktion, die weniger dazu geeignet erscheint über den Adressaten dieser Wut etwas auszusagen, als über die Wütenden selbst.
Ich hatte heute das seltene Mißvergnügen einige Stunden Rotfunk (1Live) hinter mich bringen zu müssen und was ich dabei an Ressentiments mitgenommen habe, war eine echte Bestätigung für die grundsätzliche Ablehnung von gebührenfinanziertem Rundfunk. Nun sind Ressentiments gegen einen politischen Gegner in Deutschland nichts besonderes (schon gar nicht im ÖR) und man hat sich lange daran gewöhnt, was aber (zumindest für mich) dann doch etwas erschreckend gewesen ist, ist die völlige Verachtung von demokratischen Prinzipien, die sich zwischen den Beiträgen und Meinungen aufzeigt. Zumal sich ja gerade die ÖR als die grundlegende Institution für die Demokratie ("Demokratieabgabe") betrachten.
Beispielsweise wurde eine Karte diskutiert, auf der das Wahlergebnis stehen sollte, wenn nur Amerikaner zwischen 18 und 25 gewählt hätten (Clinton hätte gewonnen). Von der grundsätzlichen methodischen Kritik mal abgesehen, dass man solche Ergebnisse ja gar nicht hat (weil eine solche Statistik nicht erhoben wird und damit im Endeffekt nichts weiter als die Meinung von Demoskopen darstellt, die in nicht wenigen Swing States locker 5 Prozent daneben lagen): Was für eine Idee von Demokratie soll das sein ? Damit auch der geneigte 1Live Hörer die Intonation richtig versteht, wird dann auch noch die Idee eingeworfen, man solle die Stimmen von jungen Wählern doppelt gewichten. Da hätte ich gleich noch ein paar Vorschläge mehr: Warum nicht auch das Wahlgewicht von Frauen vervierfachen (Männer, noch dazu böse, alte, weisse, haben ohnehin keine Ahnung)? Oder wie wäre es mit einem höheren Stimmgewicht für Leute mit höherem Bildungsabschluss (die wählen schliesslich eher links)? Oder wie wäre es mit einer verzehnfachung von schwarzen Wählern, da es ja fast zehnmal so viel Weisse in den Staaten gibt? 1Live hat da bestimmt noch mehr Ideen, aber mit Demokratie hat das nicht mehr allzuviel zu tun. 
Auch wurde die "Idee" vorgegtragen, dass die Wahlmänner ja gar nicht für Trump stimmen müssten. Sie würden nur eine Ordnungsstrafe bekommen und könnte so doch noch Clinton zur Präsidentin machen. Gute Idee. Demokratie? War da was? Stimmt, wir können das demokratische Votum auch in die Tonne kloppen, schließlich passt das Ergebnis nicht. Gerade diese Idee erinnerte mich deutlich an die Brexit Debatte am folgenden Tag, als man ja genüsslich darauf hinwies, dass die Abgeordneten auch die Abstimmung ignorieren könnten. Klar können die. Genauso wie die Wahlmänner nicht Trump wählen müssen. Aber nennt das nicht Demokratie, denn ist genau das Gegenteil davon.
Ich würde auch zu bedenken geben, das es genau diese Art von Diskussion ist, die mit ein Grund für den Erfolg von Trump und anderen "Populisten" ist. Wer offen darüber nachdenkt, den Wähler zu betrügen, weil einem das Ergebnis nicht passt, der darf sich auch nicht wundern, wenn die Wähler daraus ihre Ideen ableiten, was von Presse und Politik (um nicht wieder den Begriff Establishment einzuwerfen) zu halten ist. Kann sich jemand vorstellen, was in den USA los wäre, wenn Clinton auf diese Art Präsident würde? Ich wills mal ganz doof sagen: Das wäre eine Anleitung zum Bürgerkrieg.
Ebenso aufgefallen ist mir diese teilweise schon absurde kognitive Dissonanz: Als Donald Trump gefragt wurde, ob er das Wahlergebnis anerkennen würde, hat er sich geweigert über diesen Stock zu springen (nach der Schmierenkampagne und den diversen Medienskandale (Mikro, Fragenvorbereitung, etc.)) ist das nicht mal völlig abwegig. In Deutschland war das ein "Riesenskandal". Das sich jetzt ein paar tausend Amerikaner hinstellen und skandieren "Not my president" wird dagegen ausgesprochen süffisant aufgenommen und berichtet. Das diese Leute genau das tun, was bei Trump nur im Konjunktiv stattfand (nicht einmal das, wenn man es genau nimmt), ficht den ÖR nicht an. Das genau diese Leute nicht die Wahl an sich, sondern das Ergebnis (!) nicht anerkennen wollen, ist in Deutschland nicht einmal einen Halbsatz wert. Und wenn wir schon bei konjunktiven Dissonanzen sind: Was hat uns die deutsche Presse gewarnt wie schlimm Trump für die Wirtschaft wäre und wie nervös man an den Börsen sei. Abstürze hat man prophezeit (die aber natürlich nicht eintreten würden, weil ja Clinton sicher gewählt würde). Und was ist passiert? Nix. Tatsächlich geht es dem Dow wohl sogar ganz gut. Berichtet in Deutschland aber nahezu niemand. Was interessiert mich auch mein Geschwätz von gestern?

Lieber Leser, ich glaube es gibt viele Gründe, warum in Deutschland extremistische und radikale Parteien zulauf finden. Aber einer davon liegt m.E. nach auch darin begründet, dass die Demokratie an sich in Deutschland zunehmend zu einer inhaltsleeren Monstranz wird, die Mittel zum Zweck darstellen soll, der aber kein echter Respekt gezollt wird. Demokratie ist nur dann richtig, wenn sie unsere Meinung bestätigt. 

Llarian

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