Jürgen Flauger, Handelsblatt
Kommentar:
Wie Jürgen Flauger an einer der wenigen richtigen Stellen seines Artikels schreibt, ist das Pfingstwochenende alljährlich die Zeit des niedrigsten Stromverbrauchs in Deutschland. Deswegen wird auch in ökologischen Kreisen nicht mehr die Ausgießung des Heiligen Geistes gefeiert. Da das Pfingstwochenende meteorologisch häufig von Sonnenschein und einer typischen frühlingshaften Brise geprägt ist, versammelt man sich nicht zum feierlichen Pontifikalamt in der Pfarrkirche, sondern verfolgt daheim am Rechner gespannt die Solar- und Windenergieeinspeisung auf den Transparenzseiten der Netzbetreiber und der EEX in Leipzig. Denn an diesem Wochenende ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man zu einem spirituellen Erlebnis ganz moderner Art kommt und, wie Jürgen Flauger laut in die Welt hinausrufen kann: Seht, ich verkündige euch eine große Freude: Deutschland ist grün!
Dass es in einem komplexen Gebilde wie dem europäischen Strommarkt weitgehend aussagefrei ist, einfach die zu einem beliebigen Zeitpunkt (14 Uhr im Artikel) anfallende EE-Einspeisung der vier deutschen Regelzonen zu addieren und mit der gleichzeitig entnommenen Last zu vergleichen, ficht die Prediger der grünen Sache nicht an. Schließlich stellt der Pfarrer im Pfingstgottesdienst in der Regel ja auch keine komplexen trinitätstheologischen Überlegungen über die Personalität des Heiligen Geistes an, insofern stehen solche Ausführung eher in der Tradition einer biblia pauperum.
Und wo es einen Erlöser gibt, muss es auch einen Satan geben, der die Seelen vom Heil fernhält: Das sind die Industrie und die konventionellen Erzeugungsanlagen. Gäbe es die nicht, so lautet die Botschaft, wäre der "Einklang" zwischen Stromverbrauch und Erneuerbaren hergestellt. Als Beleg für den "Missklang" werden dann auch die negativen Strompreise angeführt, Am Sonntag waren das ca. 35 Euro / MWh - das würde bei vergleichbar angenommenen negativen Applestore-Preisen bedeuten, dass ich ungefähr einen Tausender verdienen würde, wenn ich mich erbarme, Herrn Cook ein aktuelles MacBook Pro abzunehmen. Auch hier das beliebte Argument: Widersagten wir der Kohle, wäre alles in schönster Ordnung. Denn ein Elektron aus einem dampfbetriebenen Generator "verstopft das Netz", während eins aus der WKA bestimmt segensreiche Wirkung entfaltet, wie z.B. Herrn Flaugers Rechner betreiben.
Dazu wird noch gern auf das Thema "Strom-Export" verwiesen, meist unter etwas widersprüchlichen Prämisse, dass das deutsche Modell ja so erfolgreich ist, dass "wir" Strom exportieren können - andererseits aber gibt es Empörung, dass die ökologischen Heiden in den anderen Ländern sich nicht oder nur sehr zögerlich zur Heilslehre bekennen - ja sogar gelegentlich den schlimmsten aller Götzendienste verrichten. Überhaupt fällt auf, dass die ganze Energiedebatte streng auf Deutschland fixiert ist.
In den letzten Tagen wurde ja ausführlich auf ZR und im kleinen Zimmer die "anti-grüne" Ausrichtung der neuen nationalistischen Kräfte diskutiert. Dabei gäbe es hier - vergleichbar TTIP - ein erhebliches Einklangs-, ja geradezu ein Allversöhnungspotenzial. Denn alle, die geschlossene Grenzen als Allheilmittel sehen und von der Überlegenheit Deutschlands überzeugt sind, haben hier ein wunderbares Betätigungsfeld, in dem sie garantiert nicht "stigmatisiert" werden. Einreiseverbote für Elektronen aus Tschechien kann man fordern, ohne in die rechte Ecke gestellt zuwerden. Und wenn die EU der Kernkraft weiter treu bleibt, kann man auch gefahrlos proklamieren, dass Brüssel "uns" in den Tod treibt.
Gleichzeitig könnten alle Grünbewegten auch ein Zugeständnis machen: Sie sollten endlich aufhören, dem politischen Gegner "einfache Antworten" vorzuwerfen. Denn wie man an der oben zitierten Rechnung, die so zu bezeichnen eine Beleidigung der mathematischen Kenntnisse jedes Milchmädchens wäre, sieht: Sie sind dafür hochgradig empfänglich.
Meister Petz
© Meister Petz. Titelvignette: Treehugger. Von Joel Makower unter CC BY 3.0 lizenziert. Für Kommentare bitte hier klicken.