Die Landtagswahlen im März und die
damit verbundenen Erfolge der AfD liegen nun einige Wochen zurück. Nachdem sich
der Staub gelegt hat, welcher durch die erste Aufregung aufgewirbelt wurde,
kann man die etablierten Parteien bei der Aufarbeitung des, aus eigener Sicht,
"überraschend eingetretenen Desasters" beobachten. Diese Aufarbeitung
besteht aus zwei Arbeitsschritten. Zunächst versucht man den Erfolg der AfD zu
verstehen, um dann aus diesem Verstehen die richtigen Schlüsse für einen
eigenen, zukünftigen Erfolg zu ziehen. In meiner Beobachtung wird dabei immer
klarer, daß es den etablierten Parteien unmöglich zu sein scheint, den Kern des
AfD Erfolgs zu erkennen, weil dieses Erkennen das eigene Selbstverständnis in
Frage stellen würde. Man zieht daher lieber die falschen Schlüsse, um das eigene
Selbstverständnis zu retten, verprellt damit immer mehr Wähler und stärkt so
weiterhin den politischen Gegner, anstatt ihn zu schwächen.
Die Schlüsse, welche die etablierten
Parteien aus dem Erfolg der AfD ziehen, sind beispielhaft in dem neuen Strategiepapier der SPD zum Umgang mit der AfD
zu erkennen: Man sieht in der AFD eine rechtspopulistische Partei, welche auf
Fremdenfeindlichkeit setzt. Die dadurch bedienten Ressentiments fallen bei
vielen Wählern auf fruchtbaren Boden und machen den Erfolg der Partei aus. Ein
sachlicher, inhaltlicher Umgang zu diesem Thema soll nun die AfD entzaubern.
Die SPD setzt dabei tendenziell auf "den Kampf gegen Rechts", die
CDU/CSU auf das zurück Erobern des „rechten demokratischen Spektrums“.
Wenn diese Analyse auch ein Stück
Wahrheit enthält, greift sie trotzdem viel zu kurz. Es steht außer Frage, daß ein
Teil der AfD und ihrer Wähler von Fremdenfeindlichkeit getragen wird. Diesen
Teil, zumindest die Wählerschaft betreffend, halte ich allerdings für relativ
klein und vor allem auch durch Argumente gemäßigter Parteien nur eher schwer
erreichbar. Rekrutierte sich die Unterstützung der AfD alleine aus diesem
Wähler-Reservoir folgte daraus zweierlei: Zum einen wäre die AfD politische
bedeutungslos zum anderen wäre ein Großteil der AfD Wähler für gemäßigte
Parteien ohnehin nicht zu gewinnen.
Natürlich spielte die
Migrationskrise, die auch fremdenfeindliche Töne erzeugte, eine entscheidende
Rolle für das Erstarken der AfD. Die Umstände der Migrationskrise waren so
etwas wie der "Popularitäts Dammbruch", welcher der AfD politisches
Leben einhauchte. Der momentan andauernde Erfolg der AfD aber gründet sich
meines Ermessens auf weit mehr als das und man kann das Rezept dieses Erfolges
in einem Satz zusammenfassen: Die AfD besetzt in einer aufgeladenen,
politischen Stimmung viele der alternativlosen, politischen Positionen der
vergangenen Jahre mit der exakten Gegenposition und genau dieser einfache
Schachzug treibt ihnen immer mehr Wähler zu.
Diesen Punkt zu erkennen, weigern
sich die etablierten Parteien. Sie sind daher nicht in der Lage den Erfolg der
AFD zu verstehen und so auch nicht in der Lage, etwas gegen den Erfolg des
politischen Gegners zu unternehmen. Um den weit überwiegenden Teil der AfD
Wähler für sich zurückzugewinnen, müssen die etablierten Parteien nicht die
"Rechtsaußen Gesinnung" der AfD offen legen, sondern endlich wieder
unterschiedliche Positionen in der politischen Alternativlosigkeitswüste
anbieten. Aber genau an diesem Punkt geht es an das Selbstverständnis der
modernen, fortschrittlichen, etablierten Parteien, welches sie nicht aufzugeben
in der Lage zu sein scheinen.
Es gibt in unserem Land etliche
politische Positionen, die dem Prototypen des "umweltbewußten, toleranten und weltoffenen
Bundesbürgers" als rückschrittlich gelten, für die es aber
dennoch viele Wähler gibt. Keine dieser Positionen wird dabei durch unsere
etablierten Parteien mehr angeboten, da sie, im oben genannten Sinne, einem
umweltbewußten, toleranten und weltoffenen Deutschland entgegen stehen. So gibt
es in der Bundesrepublik seit längerer Zeit keine politischen Alternativen
mehr, wenn man sich gegen die Eurorettung, für Atomkraft, gegen die
Energiewende, gegen die "Verspargelung" der Landschaft, gegen einen
überbordenden Sozialstaat, gegen Klimarettung, für eine Stärkung des
traditionellen Familienbildes, für die Freiheit der Forschung, für eine klar
geregelte Einwanderung, für Grenzsicherung, für ein klassisches,
mehrstufiges Bildungssystem ohne Frühsexualisierung oder Inklusion, gegen
frühkindliche „Indoktrination“ in Ernährungs-, Klima- und Umweltfragen, für
mehr Elternverantwortung bei der Erziehung, gegen Genderleitbilder oder vieles
andere mehr positionieren will. Eine Partei braucht sich nur auf diese Felder
zu setzen und den Gegenpol zur Alternativlosigkeit zu bilden und die Wähler
werden ihr in Scharen zulaufen, so inhomogen sie auch sonst in ihren Interessen
sein mögen. Genau das tut die AfD. Sie braucht auch keine Lösungen anzubieten.
Der über Jahre hinweg angestaute Frust bei vielen Menschen ist so groß, dass es
ihnen zunächst einfach nur wichtig ist, ihn (bei Wahlen) artikulieren zu
können. Ich denke keine deutsche Partei hat eine in ihren politischen und
weltanschaulichen Ansichten so inhomogene Wählerklientel wie die AfD, die aber
durch einen Umstand geeint wird: Frustration über die politische
Alternativlosigkeit bei Themen, welche ihnen wichtig sind.
Wie blind die etablierten Parteien
für diese in meinen Augen offensichtliche Wahrheit sind und wie unfähig sie
sind "richtig" zu reagieren, zeigen die Ergebnisse der drei
zurückliegenden Landtagswahlen in Form der ausgehandelten Koalitionsverträge.
Sie versprechen wieder genau das, was die Wähler in Scharen zur AfD treibt: Ein umweltbewußtes, tolerantes und weltoffenes Deutschland.
Die von dem deutschen Philosophen
Hans-Georg Gadamer begründete Hermeneutik geht davon aus, dass jegliches Verstehen an die Sprachlichkeit des Seins vor
dem Horizont der Zeit gebunden ist. In diesem Sinne erscheint es
mir, als daß der Konflikt zwischen den etablierten Parteien und der AfD in
Teilen die Kollision zweier zeitlicher Epochen ist, welchen die Grundlage für
ein gemeinsames Verständnis fehlt. Auf der einen Seite steht eine Wählerschaft,
welche ich inhaltlich affin zur Bonner Nachkriegsrepublik sehen würde, auf der
anderen Seite steht eine gesellschaftliche Elite, die ein "demokratisches,
ökologisches Utopia" zunächst für Europa und dann die ganze Welt erträumt
und deren Sprache und Denken bereits weit in unsere Gesellschaft hineinwirkt.
Für die große Zahl der Wähler ist in
meinen Augen nur von untergeordneter Bedeutung, dass die AfD auch Positionen
vertritt, die in der bürgerlichen Mitte nicht zuhause sind. Für diese Wähler
ist der zentrale Punkt, dass sie in der AfD einen politischen Gegenentwurf des
eigenen, in einer zeitlichen Epoche verankerten Selbstverständnisses zu
erkennen glauben, welcher endlich einem bisher alternativlosen, fremden, sich
modern gerierenden Selbstverständnis entgegen tritt. In diesem Bild wird
deutlich, warum der Umgang mit der AfD den etablierten Parteien so schwer
fällt:
nachdenken_schmerzt_nicht
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