27. Februar 2014

Welche Gesellschaft wollen wir? Ein Gedankensplitter eines (vielleicht nicht mehr ganz) jungen Vaters zu Kindergärten.


Ein simples Bekenntnis: Vater werden lohnt sich. Es ist die heftigste, einschneidenste, aufwühlendste und schönste Erfahrung, die ich in meinem vielleicht nicht mehr ganz so jungen Leben machen durfte. Über das, was man schon in den ersten Wochen oder auch in den Wochen vor der Geburt erlebt könnte man ganze Bücher schreiben (netterweise haben das auch nicht wenige Leute getan. :) ). Dennoch habe ich auch einige kuriose oder zumindest seltsame Erfahrungen mit staatlicher und halbstaatlicher Meinung gemacht und ein paar wenige davon sind Basis für meinen heutigen Gedankensplitter.

Zunächst muss man vorrausschicken: Die Planung von Nachwuchs war in meinem Haushalt nie an staatliche Überlegungen gebunden, weder war öffentliche Förderung, Kindergeld, Erziehungsgeld, Elterngeld, Kindergärten, Kinderkrippen, Renten- oder Pflegeförderung je bei uns ein Thema. Klar nimmt man das je nachdem mit, aber es war nie ein Grund für die Entscheidung für Kinder. Ich stamme aus einer Familie wo es vollkommen selbstverständlich war, dass man irgendwann Nachwuchs anstrebt und ich denke ich werde meinen Nachwuchs ganz ähnlich erziehen. Das Leben muss weitergehen, daran hat für mich nie ein Zweifel bestanden und der Mensch mit dem ich mein Leben teile hat das glücklicherweise auch immer so gesehen.
 
Dennoch habe ich erlebt das der Staat und auch andere Organisationen, die sich irgendwo mit Kindern auseinandersetzen ein ganz bestimmtes Gesellschaftsmodell propagieren und das macht mir so manche Gedanken. Angefangen hat das Ganze damit, dass ich mit meiner Partnerin darin übereinstimmte, dass Eltern zunächst für ihre Kinder da sein sollten. Als ich aufwuchs war es völlig selbstverständlich, dass man Kinder die ersten Jahre zuhause betreut und vielleicht mit drei Jahren in den Kindergarten schickt. Und Kindergarten bedeutete in diesem Zusammenhang, dass man morgens dahingelaufen ist und zum Mittagessen zuhause war. Ich kann es nicht mehr genau sagen, aber das werden so in der Größenordnung von maximal 20 Stunden die Woche gewesen sein.
Nun ist unser erstes Kind in dem Alter, wo es langsam in den Kindergarten gehen sollte, wir sind noch nicht ganz da, aber es wird Zeit sich darum zu kümmern. Dabei gab es eine ganze Reihe von interessanten Erfahrungen:
Erfahrung Nummer eins war die, dass ein Kind von drei Jahren heute spät dran ist, wenn es einen Kindergartenplatz haben soll. Heute gibt es nahezu keine Kindergärten mehr im klassischen Sinne, die allermeisten sind Kombinationen aus Kita und Kindergarten (für die Nichteltern unter uns: Kitas sind Kindertagesstätten und das sind Tagesstätten wo Kinder unter drei Jahren unterkommen). Kinder gehen heute viel früher. Im Extremfall mit einem halben Jahr. Nein, das ist kein Witz. Leider nicht. Auch die Zeiten sind heute anders als früher. Wo ich noch 20 Stunden gegangen bin, gibt es heute sowas gar nicht mehr. Schon 25 Stunden Plätze sind kaum zu bekommen, 35 sind deutlich häufiger und nicht wenige Kindergärten legen auf 45 Stunden wert. Und das wird auch gerne kombiniert: Ich kenne inzwischen Eltern, die ihr Kind mit einem halben Jahr bis zu 45 Stunden pro Woche in die Kita geben. Die Kinder können teilweise kaum robben, geschweige denn laufen. Das wird auch, und hier wird’s zumindest für mich kurios, nicht als negativ gesehen. Aus Not könnte ich mir viel vorstellen, aber der Hintergrund ist oftmals der, dass man sich so an zwei Gehälter gewöhnt hat, dass man davon nicht ab will. In der Konsequenz werden kleine Kinder vorgezogen, mit drei Jahren ist es deutlich schwieriger „noch rein zu kommen“.
Erfahrung Nummer zwei war dann zumindest auch für mich wieder kurios: Kindergärten sind Umverteilungsanstalten. Kostet ein Kitaplatz für eine Familie mit einem Familieneinkommen von 20.000 Euro im Jahr nichts, so kostet er für eine Familie mit einem höheren Einkommen gerne mal 400 Euro im Monat. Ich habe prinzipiell nichts dagegen, dass auch Kinderbetreuung Geld kostet, meinen Babysitter muss ich ja auch bezahlen, aber eine solche Umverteilungskomponente fand ich doch irgendwo erstaunlich. Bei einer durchschnittlichen Familie in Deutschland wird das Kind da zum massiven Kostentreiber, da ist schnell ein erheblicher Teil vom Monatseinkommen weg. „Arme“ Familien können dagegen ihre Kinder problemlos kostenfrei unterbringen, der Staat bezahlt.
Erfahrung Nummer drei war dann schon nicht mehr kurios sondern ärgerlich: Kindergärten sind Sozialingenieure. Glauben Sie nicht, lieber Leser? Ist aber so: Wenn man einen Kindergartenplatz sucht, dann muss man sich darum bewerben. Bei nicht wenigen Kindergärten werden dabei richtige Fragebögen verschickt. Jetzt sollte man meinen der Kindergarten würde vielleicht mehr über die Kinder erfahren wollen. Das ist aber nicht der Fall: Man möchte gerne wissen, ob die Eltern alleinerziehend sind, wer Teil- oder Vollzeit arbeitet und was für Berufen die Familie nachgeht. Der Hintergrund erschließt sich einem zunächst nicht, aber es handelt sich um eine Sozialauswahl. Eltern die beide berufstätig sind, werden bevorzugt. Eltern bei denen einer (oder gar beide) Elternteile sich um das Kind kümmern, werden nach hinten geschoben. Das ist auch keine Verschwörungstheorie, dass ist mir so ganz offen erklärt worden.
Nun kann man all diese Erfahrungen für sich begründen, ich weiß warum die Kindergärten das tun. Aber ich stelle auch mal die Frage welche Wirkung das auf unsere Gesellschaft hat und ob dieses Idealbild wirklich so hilfreich ist.
Erfahrung Nummer eins führt dazu, dass Kinder immer früher in den Kindergarten kommen. Werden die Kinder zunächst lange zuhause betreut haben sie ein deutliches Risiko keinen Platz zu bekommen. Erfahrung Nummer zwei geht schon wieder Richtung Sarrazin, man darf sich nicht wundern, dass irgendwann nur noch diejenigen Kinder bekommen, bei denen der Staat die Kosten trägt. Für eine Mittelklasse Familie sind Kinder ein massives Kostenrisiko, bei Unterschichtfamilien existiert ein solches Risiko deutlich geringer. Erfahrung Nummer drei hat besonders perfide Wirkung: Wer seine Kinder einige Jahre zuhause betreuen will, wird noch zusätzlich bestraft. Frauen (oder in Ausnahmefällen auch Männer), die eine mehrjährige Pause nehmen, um ihre Kinder ins Leben zu führen, werden noch einmal deutlich gegenüber solchen benachteiligt, die ihre Kinder, sorry des fiesen Wortes wegen, möglichst früh verklappen.

Wie schon oben angedeutet, nichts von diesen Erfahrungen hätte etwas daran geändert, dass ich Vater werden wollte und wurde. Ich habe meinen Nachwuchs nicht für den Staat bekommen und wenn wir einen höheren Preis dafür zahlen, ihn individuell zu fördern, dann ist das so. Dennoch frage ich mich, ob das die Richtung ist, in die wir unsere Gesellschaft bewegen wollen. Wollen wir wirklich unsere Kinder mit einem Jahr in der Kita abgeben? Ist nicht die DDR mit genau diesem Erziehungsideal angetreten und ist grandios gescheitert? Ist das wirklich die familienfreundliche Politik von der so gerne geredet wird? Freundlich für wen? Erziehen wir hier ein Heer von Kollektivwesen? Ich habe nicht unbedingt auf jede dieser Fragen eine Antwort. Bis zu einem gewissen Grad muss die auch jeder für sich finden. Ich finde es jedenfalls wichtiger, dass mein Kind das Laufen und Sprechen von mir lernt, bzw. gelernt hat, wichtiger als den zweiten Urlaub im Jahr unbedingt zu haben. Aber das ist meine Meinung. Mancher mag auch die kurios finden.  
Wenn ich mir heute bestimmte Stimmen in der Politik ansehe, habe ich den Eindruck in Zukunft wird man sich dafür rechtfertigen müssen, dass man sein Kind noch selber erziehen will. Als wäre das Kind schon nach seiner Geburt im halben Staatsbesitz. Das finde ich wiederum kurios. Und eigentlich auch gefährlich.

 
Llarian


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